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Ende Gelände-Aktion in HamburgKlimaprotest antikolonial

Gegen Rassismus in der Debatte um Klimagerechtigkeit: Die Aktion „Antikoloniale Attacke“ protestiert im Rahmen der Aktionstage von Ende Gelände.

Kämpferisch: Spitze der Demonstration am Samstag vor der Kunsthalle Foto: Michael Trammer

Hamburg taz | Sprühdosen klackern, eine vermummte Person rührt in einem Farbeimer. Am frühen Sonntagmorgen beginnt eine Gruppe von Ak­ti­vis­t*in­nen, das 1936 erbaute Kriegerdenkmal am Dammtor umzugestalten. Von der Inschrift „Deutschland muss leben, und wenn wir sterben müssen“ ist nach kurzer Zeit nur noch zu lesen: „Deutschland … muss sterben“.

Groß steht „Free Afrika“ auf dem Stein, davor auf dem Boden: „Nakam“, das hebräische Wort für „Rache“. So nannte sich eine Gruppe jüdischer Überlebender der Shoah, die Anschläge auf Nazis verübte. Pyros gehen an und kurz sind der Muschelkalkklotz und das Antikriegsdenkmal daneben in rotes Licht gehüllt. Von der Polizei ist nichts zu sehen.

Die Aktion scheint der vorläufige Höhepunkt der „Antikolonialen Attacke“ zu sein, einer von einem Bündnis von Migrant*innen, Schwarzen und Menschen of Color (BIPoC) getragenen Protestaktion im Zuge der diesjährigen Aktionstage von Ende Gelände in Norddeutschland. Neben der Blockade rund um den Chem-Park in Brunsbüttel mobilisierten die Ak­ti­vis­t*in­nen der „Antikolonialen Attacke“ dieses Jahr auch nach Hamburg.

„Die Antikoloniale Attacke ist notwendig, weil wir auch heute noch in unserer Gesellschaft ganz starke koloniale Herrschaftsverhältnisse, sowohl auf einer materiellen als auch einer ideologischen Ebene haben“, sagt Elia Nejem, Pressesprecherin von Ende Gelände gegenüber der taz.

Rassismus und Klimagerechtigkeit

Diese Herrschaftsverhältnisse seien Mitverursacher der Klimakrise, ihre Bekämpfung deswegen grundlegender Teil des Kampfes für Klimagerechtigkeit. Besonders Menschen im globalen Süden seien von den Auswirkungen des Klimawandels betroffen und verlören seit Jahrzehnten ihre Lebensgrundlage aufgrund der Emissionen und Weise des Wirtschaftens im globalen Norden. „Klimagerechtigkeit geht nur mit Antikolonialismus“, so Nejem.

Am frühen Samstagmorgen heißt es noch auf Twitter: „In Hamburg wird es keine Aktion des zivilen Ungehorsams geben.“ Stattdessen demonstrieren vom S-Bahnhof Neuwiedenthal aus rund 130 Aktivist*innen. Neben Redebeiträgen des Kollektivs Black Earth zur Schädlichkeit von LNG-Produktion und den kolonialen Kontinuitäten, die darin erkennbar werden, findet auch ein Vernetzungstreffen für BIPoC-Aktivist*innen während des Protests statt.

„Wir alle wissen: Der deutsche Reichtum wurde mit auf rassistischer Ausbeutung aufgebaut“, ruft Rokaya Hamid über das Mikrofon des Lautsprecherwagens in Neuwiedenthal. „Das ist ein Moment Bewegungsgeschichte, der hier gerade passiert.“

Kritik an weißer Klimabewegung

Dieses Wochenende habe eine zentrale Bedeutung für die Stärkung der Aktionsfähigkeit von BIPoC in Deutschland: „Wir müssen neue Stimmen zentrieren und einen Abolitionismus des 21. Jahrhundert schaffen. Wir als BIPoC in Deutschland werden nicht länger um Integration oder Teilhabe betteln, wir werden dieses faschistische System angreifen: 500 Jahre Kolonialismus reichen. Wir fordern euch auf und laden euch ein, mit uns sämtliche neokoloniale Infrastruktur und das koloniale Erbe, wie es auch hier in Hamburg sichtbar wird, anzugreifen.“

Von der mehrheitlich weißen Klimabewegung fordern die Ak­ti­vis­t*in­nen aktive Unterstützung. „In den letzten zwei Jahren gab es in der Klimagerechtigkeitsbewegung bitter notwendige Kritik von Menschen of Color in Bezug auf den Umgang mit Rassismus“, so Nejem. Einerseits würden unreflektierte internalisierte Rassismen dafür sorgen, dass BIPoC sich in mehrheitlich weißen Räumen sehr unwohl fühlten.

Die soziale Ungleichheit führe außerdem zu einem unterschiedlichen Zugang zu Ressourcen. „Aktivismus machen zu können, ist ein absolutes Privileg“, so Pressesprecherin Nejem.

Am Samstagnachmittag demonstrieren dann nochmals etwa 200 Ak­ti­vis­t*in­nen vom Bismarck-Denkmal aus zum Hauptbahnhof. Vor der Kunsthalle zünden die Ak­ti­vis­t*in­nen Pyrotechnik. Po­li­zis­t*in­nen schubsen, schlagen und treten daraufhin auf die Demospitze. Ziel der Demonstration sei es, die Kämpfe Hamburger Geflüchteter zu unterstützen, so Rokaya Hamid.

Ein fader Beigeschmack am Ende des Tages: Nur ein kleiner Teil der Ak­ti­vis­t*in­nen von Ende Gelände schloss sich der „Antikolonialen Attacke“ an. Auf dem Camp blieb der BIPoC-Camping-Space – gekennzeichnet mit einem Schild – am ersten Tag beinahe leer.

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8 Kommentare

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  • Korrektur: Auf dem Camp hatten sich am Vorabend knapp 200 Ende Gelände Aktivistis gefunden, die zur Aktion nach Hamburg fahren wollten. Da sich die Antikoloniale Attacke doch für eine Demo entschied, blieben die Aktivistis für die Aktionen zivilen Ungehorsams in Brunsbüttel.

    Volle Solidarität mit der Antikolonialen Attacke.

  • Zitat: „Wir alle wissen: Der deutsche Reichtum wurde mit auf rassistischer Ausbeutung aufgebaut“, ruft Rokaya Hamid über das Mikrofon

    Dies ist ein fataler Irrtum. Während der gesamten Kolonialzeit haben die Kolonien keinen "Gewinn" gemacht.



    Quelle: www.statistik-bw.d...natshefte/20171209

    Der deutsche Reichtum beruht auf die Herstellung von Produkten, deren Erlös höher als die Gestehungskosten sind. Da aus den ehemaligen Kolonien auch keine nennenswerte Rohstoffe gewonnen wurden, scheidet dies auch als Quelle des Reichtums aus. Denn neben der Herstellung von wertigen Produkten ist der Besitz von begehrten Rohstoffen die 2. Möglichkeit für natinalen Reichtum.

    • @Puky:

      Wenn Sie den Artikel genau lesen, dürfte Ihnen auffallen, dass von 500 Jahre Kolonialismus und nicht von Kolonieexistenz von bloßen bspw. 31 Jahren von "Deutsch-Südwestafrika" die Rede ist. Kolonien sind ein wichtiger Bestandteil in der Unterdrückung gewesen, um billige Arbeitskräfte, Luxusprodukte und Ressourcen zu gewinnen. Und klar, wurde sich bereichert - auch durch Handel. Siehe auch:



      " Hamburgs Kolonialgeschichte: Einträglicher Schwindel



      Hamburger Kaufleute und Reeder haben im Überseehandel Geld verdient, schon lange bevor das Deutsche Reich förmliche „Schutzgebiete“ in Afrika und Ozeanien errichtete ..."



      taz.de/Hamburgs-Ko...schichte/!5031841/

  • Durchaus berechtigte Anliegen sollten durch Gesprächsbereitschaft, Dialog und gegenseitigem Verständnis voran gebracht werden. Leider erkenne ich bei der "„Antikolonialen Attacke“ eher Konfliktwillen und offen gezeigter Hass: "Deutschland … muss sterben“, „Rache“ und "...wir werden dieses faschistische System angreifen...". Das ist der falsche Weg.

    • @Black & White:

      Hier geht es weniger um Hass als um die Überwindung von Kolonialismus und dessen Kontinuitäten, benennen der Täter und Aufruf zur Positionierung/Solidarisierung, würde ich meinen. Realistischerweise, schätze ich, wenden sich jene nicht an die Rechten sondern eher an jene der Mehrheit, die in Ansätzen vom antikolonialen Diskurs mitbekommen haben. Antikolonialismus ist ja durchaus Bestandteil linker Politik und der Slogan "Deutschland muss sterben" ebenso linksradikaler Grundsatz, beruhend auf Antinationalismus.

      • @Uranus:

        "...geht es weniger um Hass..." Vollkommen richtig! Darum geht es nicht.

        Es geht aber auch darum, auf welche Art und Weise die Aktivisten ihre Ziele anstreben. Nur mit linksradikal denkenden Menschen wird das Thema Kolonialimus nicht zu bewältigen sein. Und eine Mehrheit in der Gesellschaft kann nur dann erreicht werden, wenn auf Hassbotschaften verzichtet wird.

        • @Black & White:

          Wenn die Zahl linksradikaler Menschen klein bleibt, dann wird es wohl schwieriger, würde ich annehmen. Andererseits ist der Diskurs ja durchaus in anderen Teilen der Gesellschaft angekommen bzw. wird dort vorangetrieben. Siehe Postkoloniale Studien.



          Für größere gesamtgesellschaftliche Veränderungen finde ich eine Vielfalt an Aktionen wichtig. Verhältnismäßigkeit wäre wohl ein Knackpunkt. Radikale Aussagen und Markierungen können da durchaus nützlich sein und so sie nicht überzeugen zumindest Aufmerksamkeit erzeugen und Risse im Nationalbild schaffen, Konservative zum Reagieren bewergen. Es ist an jeden Einzelnen, wie sie darauf reagieren. Mensch würde es Ignorant*innen sehr einfach machen, wenn mensch ihnen zubilligte, dass Slogans und Sachbeschädigungen nicht rechtens wären und die Aktivistis Mitschuld an deren Ignoranz-Verbleib hätten. In meiner Schulzeit wurde noch von "Entdeckung" und "Entdecker*innen" gesprochen. Die auch von Deutschland ausgehende Grausamkeit und die Widersprüche und Gewaltrechtfertigung der Aufklärung wurden weniger thematisiert. Hier müssten die Menschen der sogenannten Mitte u.a. Nationalismus, das Bild der Deutschen reflektieren und sich entsprechend bewegen. Bleibt zu hoffen, dass u.a. die Schulbildung heutzutage in diesem Aspekt in der Breite progressiver verläuft.

  • Antikolonialistischer Aktivismus scheint in Deutschland nicht einfach zu sein, nachdem über 100 Jahre die deutsche Kolonialzeit vorbei ist.

    Ein Kriegerdenkmal wird besprüht, dass deutlich nach dem deutschen Kolonialismus und die Gefallenen im 1. Weltkrieg heroisiert.

    Und dann bezieht sich einer von zwei Begriffen noch auf die Nazizeit.

    Die Demo findet dann am Bismarck-Denkmal statt, der erklärtermaßen ein Gegner deutscher kolonialer Großmachtsträume war, auch wenn er schließlich den kolonialistischen Anspruch in seiner Politik umsetzte.