Aktuelle Nachrichten in der Coronakrise: Diskussion um Inzidenz als Kennwert
Politik und Verbände streiten, an welchen Werten sich die Coronaregeln orientieren sollen. Mark Rutte bedauert Lockerungen in den Niederlanden.
Rutte bedauert Lockerungen
Der niederländische Ministerpräsident Mark Rutte hat Fehler bei der Lockerung von Schutzmaßnahmen gegen das Coronavirus eingeräumt. „Wir haben eine Fehleinschätzung gemacht. Das tut uns leid“, sagte Rutte am Montag in Den Haag. Gesundheitsminister Hugo de Jonge erklärte, die Lockerungen, fehlende Abstandsregeln und die Delta-Variante des Virus hätten die Ausbreitung von Corona beschleunigt. „Das kann man im Nachhinein leider sehen.“
Die geschäftsführende Regierung hatte vor drei Wochen fast alle Einschränkungen aufgehoben, nachdem die täglichen Neuinfektionen und Krankenhauseinweisungen wegen Corona zurückgegangen waren. Unter anderem durften Nachtclubs und Diskotheken erstmals seit mehr als einem Jahr wieder öffnen. Am Wochenende danach strömten im ganzen Land Tausende meist junge Leute in die Clubs. Seitdem schießt die Zahl der Neuinfektionen pro Tag wieder in die Höhe. Am Samstag meldete die Gesundheitsbehörde 10 000 neue Fälle – so viel wie noch nie seit Ende Dezember. Rutte sah sich gezwungen zurückzurudern. Am Freitag führte er einen Teil der Restriktionen wieder ein.
In den Niederlanden sind mehr als 77 Prozent der Erwachsenen mindestens einmal geimpft worden. Mehr als 46 Prozent sind vollständig geimpft. (ap)
Bund vergibt Stipendien an Kreative für 90 Millionen Euro
Mit einem Stipendienprogramm stellt die Bundesregierung insgesamt 90 Millionen Euro für solo-selbständige Künstlerinnen und Künstler, Journalisten und andere Kreative zur Verfügung. Adressaten für ein Stipendium in Höhe von jeweils 5.000 Euro seien die mehr als 16.000 Berechtigten der Verwertungsgesellschaften wie beispielsweise Gema, VG Wort oder VG Bild-Kunst, teilte Kulturstaatsministerin Monika Grütters (CDU) am Montag in Berlin mit. Das Stipendienprogramm ist Teil des Rettungs- und Zukunftsprogramms „Neustart Kultur“, das die Bundesregierung zur Linderung der Pandemiefolgen im Kulturbereich aufgelegt hat.
Das Programm starte bei den einzelnen Verwertungsgesellschaften zu unterschiedlichen Zeitpunkten. Über die Vergabe der Stipendien würden unabhängige Jurys entscheiden. (epd)
Empfohlener externer Inhalt
Streit um Relevanz der Sieben-Tage-Inzidenz
Zur Beurteilung des Pandemiegeschehens in Deutschland soll neben der Sieben-Tage-Inzidenz künftig verstärkt auch die Zahl der Coronafälle in den Krankenhäusern eine Rolle spielen. Ein Sprecher von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) nannte am Montag die Hospitalisierung als weiteren Faktor – also die Frage, wieviele Menschen wegen einer Corona-Infektion im Krankenhaus behandelt werden müssen.
Der Sprecher bekräftigte aber auch, dass bei der Beurteilung der Coronalage weiterhin die Sieben-Tage-Inzidenz im Blick behalten wird. „Das ist nicht als eine Abkehr von der Sieben-Tage-Inzidenz zu verstehen.“ Es sei auch keine Änderung der politischen Strategie damit verbunden, unterstrich der Sprecher. Die Inzidenz sei nach wie vor ein wichtiger Parameter, weil sie unter anderem Trends erkennen lasse.
Verschiedene Politiker:innen und Verbände hatten zuvor gefordert, die Sieben-Tage-Inzidenz nicht mehr als Grundlage für die Bewertung der Coronalage zu nutzen.
„Ich glaube, dass es ganz wichtig ist, dass wir in diesem Herbst nicht allein auf die Inzidenz starren“, sagt der saarländische Ministerpräsident Tobias Hans (CDU). Dass die Werte derzeit wegen der Deltavariante nach oben gehen, sehe man in ganz Europa. „Wichtig ist, dass wir verstärkt Faktoren in Betracht ziehen wie zum Beispiel die Belastung des Gesundheitswesens, die Belegung der Intensivstationen, die Art und Weise, wie Patientinnen und Patienten ankommen – all das muss eine Rolle spielen.“
Der Industrieverband BDI hatte von der Politik gefordert, bei den Maßnahmen gegen die Coronapandemie mehr als nur den Inzidenzwert in den Blick zu nehmen und wissenschaftlich geprüfte Informationen zu den verschiedenen medizinischen Möglichkeiten hinzuzuziehen. „Politik muss mit Blick auf Testpflichten, Hygiene-, Impf- und Einreiseregelungen evidenzbasiert vorgehen“, erklärt BDI-Hauptgeschäftsführer Joachim Lang.
Für den Wiederaufschwung der Wirtschaft seien Planbarkeit und Verlässlichkeit entscheidende Stellhebel, so Lang weiter. Die Inzidenz allein dürfe bei einer hohen Impfquote in Deutschland nicht mehr das Maß aller Dinge sein.
Bayerns Ministerpräsident Markus Söder will von der Sieben-Tage-Inzidenz zur Beurteilung der Coronalage dagegen nicht abrücken. Dies hielte er für verfrüht, sagte der CSU-Chef am Montag beim Besuch des Münchner Impfzentrums. Es sei aber „sehr sinnvoll“, etwa die Krankenhauszahlen dazu in Relation zu setzen und zudem einen Koeffizienten zu finden, der die hohe Zahl der Geimpften berücksichtige. Vielleicht müsse man Grenzwerte auch erhöhen.(rtr/dpa/afp)
Coronaregeln in den Niederlanden wieder verschärft
Wegen einer enorm gestiegenen Zahl an Neuinfektionen haben die Niederlande eine Reihe von Coronamaßnahmen wieder verschärft. Clubs und Discos müssen von Samstag an erneut schließen. Für Gaststätten ist um Mitternacht Schluss, wie Ministerpräsident Mark Rutte am Freitag in Den Haag mitteilte. Nach nur knapp zwei Wochen bedeutet das wieder das vorläufige Aus fürs Nachtleben.
Auch Festivals und andere Großveranstaltungen ohne feste Sitzplätze, bei denen kein Sicherheitsabstand gehalten werden kann, werden wieder untersagt. „Wir müssen die schnelle Verbreitung des Virus abbremsen“, mahnte der Regierungschef.
Zuletzt waren in den Niederlanden rund 7.000 Neuinfektionen innerhalb von 24 Stunden registriert worden – etwa sieben Mal soviel wie in der Vorwoche. Allein in einer Diskothek in Enschede nahe der deutschen Grenze hatten sich 200 Menschen infiziert, vor allem Jugendliche. Der Zugang war nur mit einem negativen Testergebnis möglich. Offenbar gab es aber viele Fälschungen.
Bisher führte die Zunahme der Infektionen zwar nicht zu mehr Patienten in Krankenhäusern. Die Regierung ist jedoch äußerst besorgt, dass das Land erneut den Status eines Risikogebiets bekommt und Urlaubsreisen nicht mehr möglich sind. Die Niederlande hatten zum 26. Juni fast alle Coronamaßnahmen aufgehoben. Das war vielfach als zu schnell und fahrlässig kritisiert worden.
Inzwischen liegt die Sieben-Tage-Inzidenz bei etwa 94 – doppelt so hoch wie in der Vorwoche. Die Gesundheitsbehörden machen dafür die sehr ansteckende Deltavariante des Virus verantwortlich. Etwa 40 Prozent der niederländischen Bevölkerung sind inzwischen vollständig geimpft. Zwei Drittel haben zumindest eine Spritze erhalten. (dpa)
Empfohlener externer Inhalt
Spahn: „Bitte impfen lassen!“
Die Impfkampagne in Deutschland stockt. Laut Bundesgesundheitsminister Jens Spahn wurden am Sonntag so wenige Menschen in Deutschland geimpft wie zuletzt im Februar. „Anders als im Februar ist nun aber genug Impfstoff da“, schreibt Spahn auf Twitter und fügt hinzu: „Es bleibt dabei: Bitte impfen lassen!“
Spahns Angaben zufolge haben bislang 35,4 Millionen Deutsche oder 42,6 Prozent den vollen Impfschutz, 48,6 Millionen oder 58,5 Prozent sind mindestens einmal geimpft. (rtr)
Ethikrat-Mitglied für Impfpflicht in manchen Berufen
Ethikrat-Mitglied Wolfram Henn spricht sich für eine Impfpflicht für bestimmte Berufsgruppen aus. „Wir brauchen eine Impfpflicht für das Personal in Kitas und Schulen“, sagt der Mediziner der Zeitung Rheinische Post (Montagausgabe) laut Vorabbericht. Lehr- und Kitakräfte sollten so vor allem Kinder unter zwölf Jahren schützen, die keine Impfung bekommen können.
„Wer sich aus freier Berufswahl in eine Gruppe vulnerabler Personen hineinbegibt, trägt eben besondere berufsbezogene Verantwortung“, so Henn. Zwar hätten Kinder selbst ein geringes Risiko, schwer an Covid zu erkranken, „man muss aber weiter damit rechnen, dass sie das Virus in ihre Familien tragen und Menschen aus Risikogruppen infizieren.“ (rtr)
Sieben-Tage-Inzidenz steigt kontinuierlich
Das Robert Koch-Institut (RKI) meldet 324 neue Positivtests. Das sind 112 mehr als am Montag vor einer Woche, als 212 Neuinfektionen gemeldet wurden. Die Sieben-Tage-Inzidenz steigt weiter auf 6,4 von 6,2 am Vortag. Der Wert gibt an, wie viele Menschen je 100.000 Einwohner:innen sich in den vergangenen sieben Tagen mit dem Coronavirus angesteckt haben.
Zwei weitere Menschen starben im Zusammenhang mit dem Virus. Damit erhöht sich die Zahl der gemeldeten Todesfälle binnen 24 Stunden auf 91.233. Insgesamt fielen in Deutschland bislang mehr als 3,7 Millionen Coronatests positiv aus. Die Montagswerte sind meist weniger aussagekräftig als die an anderen Wochentagen, weil am Wochenende nicht alle Gesundheitsämter ihre Daten an das RKI übermitteln und weniger getestet wird. (rtr)
Taiwanesische Firmen kaufen Biontech-Impfstoff
Die taiwanesischen Unternehmen Foxconn und TSMC unterzeichnen eigenen Angaben zufolge einen Kaufvertrag über zehn Millionen Impf-Einheiten mit dem deutschen Hersteller Biontech im Wert von knapp 300 Millionen Euro.
Foxconn-Gründer Terry Gou schreibt auf seiner Facebook-Seite, er sei „erfreut“ über den Deal, der vorsehe, dass Foxconn und TSMC jeweils fünf Millionen Dosen kaufen, die dann der Impfkampagne der Regierung gespendet werden sollen. Biontechs chinesischer Vertriebspartner Shanghai Fosun Pharmaceutical bestätigt die Vereinbarung. Bislang ist noch kein Lieferzeitraum bekannt.
Taiwans Regierung versucht seit Monaten, den Impfstoff direkt von Biontech zu erwerben und beschuldigt China, das die selbstverwaltete Insel als eigenes Territorium beansprucht, ein entsprechendes Impfabkommen zu blockieren. China streitet die Vorwürfe ab. (rtr)
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei
Erderwärmung und Donald Trump
Kipppunkt für unseren Klimaschutz
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
EU-Gipfel zur Ukraine-Frage
Am Horizont droht Trump – und die EU ist leider planlos
Wirbel um KI von Apple
BBC kritisiert „Apple Intelligence“