piwik no script img

Regierungsbildung in den NiederlandenRutte – die Vierte

Kommentar von Tobias Müller

Die neue Regierung in Den Haag startet mit wenig Vertrauen in der Bevölkerung. Mark Ruttes Koalition steht vor einer schwerer Mission.

„Hört auf mit den Lügen“, fordert die Demonstrantin die Regierung in Den Haag auf Foto: Peter Dejong/ap

W eißer Rauch über Den Haag: Nach neun Monaten finden die längsten Koalitionsverhandlungen der niederländischen Geschichte ein Ende. Eingerechnet der Zeit seit dem Rücktritt der Regierung Mark Rutte III, die im Januar über den Kindergeld- Skandal fiel, ist es fast ein Jahr, dass das Land nur eine kommissarische Regierung hatte. Die Bezeichnung “demissionair cabinet “ ist zum Standard geworden.

An zu viele Dinge hat man sich in dieser Zeit gewöhnt. Da ist die Einsicht, dass das Gesundheitssystem durch den niederländischen Marktfetischismus an den Rand seiner Funktionsfähigkeit gekürzt wurde. Die Zahlen 300.000 fehlende Wohnungen und 220.000 Betroffene von Erwerbsarmut, die das Auseinanderklappen der sozialen Schere in einem der reichsten EU- Länder der EU belegen. Oder 61 % der Teilnehmenden, die bei einer Umfrage im Herbst angaben wenig bis sehr wenig Vertrauen in die Politik zu haben.

Es sind alarmierende Rahmenbedingungen, unter denen die Regierung im Januar ihre Arbeit aufnimmt. Die ProtagonistInnen, Rutte und D66-Chefin Sigrid Kaag, auf die auch viele Linke bei der Wahl im März Hoffnungen setzten, müssen zuallererst verlorenes Vertrauen zurückgewinnen. Als “Reparatur- Kabinett“ wird ihre Regierung im Vorfeld bezeichnet. Sicher ist, dass sie dazu einen gut bestückten Werkzeugkasten braucht.

Der neuen Regierung steht ein ambivalenter Balanceakt bevor: Einerseits gilt es Rutte IV an den sozialen Schieflagen zu messen, für die sie als formale Neuauflage von Rutte III mitverantwortlich ist. Auch sind ihr die eigenen ethischen Versäumnisse vorzuhalten, etwa beim kreativen Verhältnis Ruttes zur Wahrheit, was gerade in diesem langen Verhandlungsjahr sichtbar wurde.

Zugleich muss man sie bisweilen gegen rabiate Komplott- Denker in Schutz nehmen, die im Zeichen von Corona- Protesten den Schulterschluss von Identitären bis hin zu esoterischen Hippies üben.

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!