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Energieagentur für Aus von Kohle und ÖlDie globale Nulldiät

Wie ist eine globale klimafreundliche Energieversorgung zu erreichen? Laut Internationaler Energieagentur ist dafür ein radikaler Schritt nötig.

Der Wandel kommt: Sprengung eines Kohlekraftwerks in China Foto: Xinhua/imago

Berlin taz | Wenn es nach ihrem Vorsitzenden geht, dann hat die nächste UN-Klimakonferenz im November in Glasgow einen Hauptfeind: Die Kohle. „Wenn es uns mit dem 1,5-Grad-Ziel ernst ist, dann muss Glasgow die Konferenz sein, die das Kapitel Kohle abschließt“, sagte Alok Sharma, der ehemalige britische Wirtschaftsminister und designierte COP26-Präsident in der vergangenen Woche. „Das Kohlegeschäft geht in Rauch auf, es ist alte Technologie.“

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Sharma und UN-Generalsekretär Antonio Guterres haben nun in ihrem Feldzug gegen den dreckigsten Brennstoff ein gewichtiges Argument mehr: Am Dienstag veröffentlichte die Internationale Energieagentur IEA, eine Behörde des Industrieländerclubs OECD, auf deren Bitte hin zum ersten Mal eine umfassende Studie, wie der Energiesektor weltweit seine CO2-Emissionen auf Null reduzieren könnte.

Eine der zentralen Aussagen der Untersuchung mit dem Titel „Net Zero by 2050“: Ab sofort darf es keine neuen Öl- oder Gasfelder mehr geben, keine neue Kohlegruben oder Kohlekraftwerke, die ihre Abgase nicht neutralisieren. Und: Alle Investoren werden gewarnt, ihr Geld in die fossilen Rohstoffe zu stecken.

„Unsere Roadmap zeigt die wichtigsten Aktionen, die es heute braucht, damit die schmale, aber immer noch erreichbare Chance auf Null-Emissionen in 2050 nicht verloren geht“, sagt IEA-Exekutivdirektor Fatih Birol. Der Bericht soll zeigen, dass viele Ziele gleichzeitig erreichbar sind: Null Emissionen, sicherer Zugang zu Energie für alle Menschen weltweit bis 2030, bezahlbarer Strom und Wirtschaftswachstum.

Welt muss deutlich sparsamer sein

Dafür brauche es aber eine „bisher nie gekannte Veränderung darin, wie wir Energie herstellen, transportieren und nutzen“, hieß es. Das Gutachten rechnet vor, wie groß die Aufgabe ist, das globale Energiesystem langfristig auf Kohlenstoff-Nulldiät zu setzen: Dafür müssten weltweit jedes Jahr Anlagen von 630 Gigawatt (GW) an Solarstrom und 390 GW Windstrom gebaut werden: viermal so viele wie im Rekordjahr 2020. Zum Vergleich: Alle deutschen Ökostromanlagen kommen derzeit auf eine Leistung von etwa 125 GW.

Auch hier wird keine Kohle mehr verbrannt: Steag-Kraftwerk in Lünen bei seiner Sprengung im März Foto: Eibner Pressefotos/imago

Dazu müsste die Welt deutlich sparsamer mit Energie umgehen: Jedes Jahr müsste die Effizienz um vier Prozent steigen, dreimal so viel wie bisher. Für den Ausstieg aus den Fossilen legt die IEA einen ehrgeizigen Fahrplan vor: Ab sofort keine neuen Kohlekraftwerke ohne CO2-Abscheidung; ab 2025 keine neuen fossilen Heizungen mehr; ab 2030 Kohleausstieg in den Industrieländern und neue Gebäude nur noch mit fossilfreien Heizungen; ab 2035 weltweit keine neuen Autos mehr mit Verbrennungsmotoren, Strom in den Industrieländern muss dann CO2-frei produziert werden.

Ab 2040 fliegen die Hälfte aller Flugzeuge mit kohlenstoffarmen Treibstoffen. Dafür muss viel Geld fließen, mahnt die Behörde. Die Investitionen in das neue Energiesystem, in Netze für Strom und Pipelines für CO2, müssten von jetzt 260 auf 820 Milliarden Dollar jährlich weltweit steigen.

Noch viel Forschung nötig

Gleichzeitig müsse viele mehr Geld in Forschung und Entwicklung fließen: Denn die Techniken, die man auf dem Weg zum sauberen Energiesystem bis 2030 brauche, gebe es schon – aber bis zur Netto Null in 2050 müsste noch sehr viel erforscht und entwickelt werden, etwa in Batteriezellen und Wasserstoff-Technologie.

Das Gutachten ruft ein halbes Jahr vor der COP26 dazu auf, dass alle zusammenarbeiten müssten, wenn diese Vision umgesetzt werden solle. „Alles hängt an einer einzigartigen, festen Fokussierung aller Regierungen“, heißt es, nur alle Regierungen, Investoren und BürgerInnen zusammen könnten den Umschwung schaffen.

Dass das nicht einfach wird, steht ebenfalls in dem Papier: Denn manche Staaten verlieren bis zu 10 Prozent ihrer Wirtschaftskraft bei Verzicht auf fossile Brennstoffe – und manche Regierungen bis zu 40 Prozent ihrer Steuereinnahmen, wenn Öl, Gas und Kohle nicht mehr besteuert werden.

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9 Kommentare

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  • 0G
    02854 (Profil gelöscht)

    Zusammengefasst: Am Ende steht mehr Arbeitslosigkeit und Armut. Nicht nur in Deutschland!

  • Es wäre mal schön zu wissen für die Jahre 2025-2050:

    a) wie viel Strom werden wir brauchen, und



    b) wie wird der produziert? Und zwar realistisch geplant, keine Märchenstunde.

    Die Antworten werden leider sehr unangenehm und umstritten sein, deshalb drücken sich alle um diese Diskussion und posaunen stattdessen lieber großspurig vom Ausstieg aus den fossilen Energieträgern mit möglichst ambitionierten Zielen.

    • @Descartes:

      Also lieber wieder Minimalziele formulieren wie bisher und die werden nichtmal erreicht, weil irgendwelche Ausreden schon bald wieder vergessen werden?

      a) Wenn wir ernsthaft Änderungen sehen wollen, dann heisst das: höchstens 50% des Stroms pro Person in Industrieländern zu verbrauchen, den wir jetzt verbrauchen. Besser noch 40%. Wesentlichen Anteil daran tragen auch effiziente Produktionsänderungsmassnahmen von Unternehmen.



      Also bevor wir weiter über Verbrauch reden, mehr die Einsparungen in die Kalkulationen bringen.

      b) Realistisch, die Ziele betreffend, wäre Dezentralisierung, die dann auch gleichzeitig Märchenstunde ist, solange die Energielobbyisten auch im Bundestag in großer Zahl sitzen. Bis sich der Moloch Deutschland mal bewegt, haben die grossen Firmen sonst längst alles wieder eingefangen und für sich und ihr Image verarbeitet, was zukunftsweisendes Potenzial hätte.

      Man muss nicht gross posaunen um festzustellen, dass ein endliches Angebot von Ressourcen, dessen Abbau immer weiter gesteigert wird, auch immer schneller zur Neige geht. Was ich dann schliesse ist nicht Großspurigkeit, sondern Notwendigkeit. Bevor das der Letzte der Entscheider nicht kapiert hat, bleiben die Diskussionen auch zwangsläufig unangenehm.

      Ähnlich ist es eher eine Märchenstunde von immerwährendem Wachstum zu träumen, im Zusammenhang mit dem Klimwandel insbesondere. Wenn weltweit die Wirtschaftskraft relativ gleichmässig sinkt, bliebe zumindest die so heftigst beäugte Konkurrenzsituation ähnlich. Zu hoffen ist aber eher, dass es die reicheren Länder trifft, solange die sich am Untergang der ärmeren noch bereichern.

  • Fazit: man benötigt viel Geld und die Wirtschaftskraft sinkt. Überall.

    Kein besonders gutes Rezept.

    Zumal nicht jeder mitmachen wird. Es gibt genug Staaten, die ihre eigene Wirtschaft bevorzugen.



    Und das kann man noch nicht mal komplett kritisieren.



    ZB Namibia, sie möchten mit der Ausbeutung eines potentiell riesigen Ölfeldes einen wirtschaftlichen Aufschwung erleben und möchten sich dafür nicht vom globalen Norden hereinreden lassen.

  • Der letzte Satz muss wohl heißen: "Denn manche Staaten verlieren bis zu 10 Prozent ihrer Wirtschaftskraft bei Verzicht auf fossile Brennstoffe – und manche Regierungen bis zu 40 Prozent ihrer Steuereinnahmen, wenn mit dem Wegfall von Öl, Gas und Kohle auch deren Steueraufkommen wegfällt."





  • Alle deutschen Ökostromanlagen kommen derzeit auf eine Leistung von etwa 125 GW.

    Das ist die installierte Leistung! Diese können die Ökostromanalagen aber nur erbringen, wenn gerade entsprechend viel Wind weht und die Sonne entsprechend scheint.



    Wind weht eher unbeständig und kaum planbar um damit Deutschland gesichert dauerhaft zu versorgen, ähnlich ist es mit der Sonne. Wenn diese an einem schönen sonnigen Tag voll scheint, dann ergibt das über den Tag gesehen einen Verlauf von morgens 0 dann in der Mittagszeit ein Maximum, welches wieder zu den Abendstunden und die Nacht durch auf 0 abfällt.



    Von daher Installiert Leistung != Abrufbare Leistung (schon gar nicht nach Bedarf).



    Mit Durchschnittswerten zu rechnen hilft auch nicht weiter.

    Wer das mal nachvollziehen möchte: Fraunhofer Energy-Charts, Link: energy-charts.info...hart.htm?l=de&c=DE



    Man kann die Ansicht auch schön in die Vergangenheit verschieben. Interessant ist welche Energieform die unstete Ökostromlieferung ausgleicht, damit dem Bedarf entsprechend genug Strom zur Verfügung steht. Nein! Doch! Oh!

    ;-)

    • @kick:

      "...welche Energieform die unstete Ökostromlieferung ausgleicht..."



      Ja, so kann's kommen. Auch die IEA rechnet damit:



      "Most of the remainder comes from nuclear".



      Den Aufkleber "Atomkraft? Nicht schon wieder!" lasse ich an meinem betagten Citroen C1 jedenfalls erst mal dran...

      • @sollndas:

        Auf den von mir erwähnten Energy-Charts ist es die Braun- und Steinkohle, welche die Schwankungen ausgleicht.



        Atom-, Wasser- Biogasstrom usw. bilden da eher eine Konstante Linie.

        • @kick:

          "...Braun- und Steinkohle..."



          Noch :-)