piwik no script img

Prozess gegen Neonazis in ThüringenDeals mit den Tätern

Anfang 2014 überfielen Neonazis eine Kirmesgesellschaft im thüringischen Ballstädt. Jetzt stehen sie erneut vor Gericht – und werden milde behandelt.

Ein Angeklagter mit Fußfesseln vor Beginn der Neuauflage des Ballstädt-Prozesses in Erfurt Foto: Martin Schutt/dpa

ERFURT taz | Es war ein konzertierter Angriff. Vermummt stürmte das gute Dutzend Neonazis spätnachts in den Saal des Ballstädter Kulturzentrums, prügelte auf die noch Anwesenden der Kirmesgesellschaft ein, auch als einige schon bewusstlos am Boden lagen. Nach nur zwei Minuten rannten die Angreifer zurück ins „Gelbe Haus“, eine Neonazi-WG im Ort. Zurück blieben Scherben, Blutlachen und zehn teils schwer verletzte Menschen mit Platzwunden im Gesicht, Knochenbrüchen, ausgeschlagenen Zähnen.

Der Angriff vom 9. Februar 2014 löste wegen seiner Brutalität bundesweit Entsetzen aus. Das Erfurter Landgericht verurteilte elf Thüringer Rechtsextreme später zu Haftstrafen bis zu dreieinhalb Jahren, vier wurden mangels Beweisen freigesprochen. Nur: Die Strafen mussten die Verurteilten nie antreten – weil der Bundesgerichtshof die Urteile im Mai 2020 aufhob, da diese mangelhaft begründet seien.

Am Montag nun sitzen die elf Neonazis, zehn Männer und eine Frau, deshalb erneut wegen des Ballstädt-Angriffs in Erfurt vor Gericht. Verhandelt wird diesmal allerdings nicht im Landgericht, sondern coronabedingt in der Messehalle. Vier Reihen braucht es, um die Angeklagten und ihre Anwälte unterzubringen, darunter auch Szeneadvokaten wie Wolfram Nahrath und Martin Kohlmann. Die Beschuldigten erscheinen mit Szenefreunden, breitbeinig und selbstbewusst, mit rechtsextremen Tattoos bis ins Gesicht, die sie teils abkleben müssen. Einer trägt eine Jacke mit „Blood“-Aufdruck, zu deutsch „Blut“. Blut, wie es auch in Ballstädt floss.

Drei der Angeklagten kommen diesmal allerdings in Handschellen, direkt aus der U-Haft: Thomas W., der den Angriff angeführt haben soll, André K. und Rocco B. Das Trio war Ende Februar mit fünf anderen festgenommen worden. Sie sollen noch während des ersten Prozesses die rechtsextreme Kameradschaft Turonen aufgebaut und später in großem Maßstab mit Drogen gehandelt sowie Geldwäsche und ein Bordell betrieben haben. Mitverhaftet wurde in dem Zuge auch einer der Verteidiger aus dem ersten Prozess: der Szeneanwalt Dirk Waldschmidt, kurzzeitig auch mal Verteidiger des Lübcke-Mörders Stephan Ernst.

Die Anklage wird mit Gähnen quittiert

Den elf Beschuldigten wird am Montag nun erneut die Anklage verlesen, sie verfolgen es gelassen, einer gähnt, einer gräbt die Hände in die Hosentaschen. Eine gemeinschaftliche gefährliche Körperverletzung hätten sie in Ballstädt begangen, als selbst erklärte Vergeltung für ein zuvor eingeworfenes Fenster im „Gelben Haus“. Der Steinwurf ist indes bis heute nicht aufgeklärt. Die Kirmesgesellschaft bestreitet, etwas damit zu tun zu haben. Und an dem Stein fand sich nur DNA von einem der Neonazis.

Die Angreifer hätten Tote in Kauf genommen, sie gehörten hinter Gitter, sagen die Opfer

Die lange Verfahrensdauer wird jedenfalls strafmildernd für die Angeklagten wirken. Schon im Vorfeld gab es auf Anregung der Staatsanwaltschaft Gespräche über einen Deal: Geständnisse gegen Bewährungsstrafen. Dies setzt Richterin Sabine Rathemacher am Montag in die Tat um. Reihum bietet sie den Angeklagten nun Deals an, um den Prozess abzukürzen.

Der beschuldigte Hauptangreifer Thomas W. und der vielfach Vorbestrafte Marcus R. sollen für ein Geständnis nun eine Bewährungsstrafe von maximal zwei Jahren bekommen statt der zuvor verhängten dreieinhalb Jahre Haft. Für die anderen sollen es höchstens 14 Monate auf Bewährung sein, für Tim H., der im ersten Verfahren Mitbeschuldigte belastete, nur 9 Monate.

Tim H. und Ariane S. lehnen den Deal ab, da sie eine Einstellung ihrer Verfahren wollen. Die anderen Angeklagten stimmen zu. Drei lassen ihre Geständnisse sofort durch ihre Anwälte verlesen: Pauschal räumen sie ihre Tatbeteiligung ein – das war’s. Was genau sie taten und wer noch mitmachte, wollen sie nicht sagen. Er habe damals einen Filmriss gehabt, erklärt ein Beschuldigter. Mit den anderen Angeklagten will er nach der Tat nichts mehr zu tun gehabt haben. Wie er denn dann sagen könne, dass er bei dem Angriff dabei war, fragt Rathemacher. Das schließe sein Mandant „aus den Gesamtumständen“, antwortet sein Anwalt. Demnach sei es „möglich und sehr wahrscheinlich, dass er an der Tat beteiligt war“.

Die Deals seien nicht nachvollziehbar

Aber die Anwälte der Verletzten des Angriffs, die als Nebenkläger auftreten, intervenieren: Die Kurzgeständnisse seien nicht ausreichend. Und wer sich nicht erinnern könne, könne auch nichts gestehen. Ohnehin seien die Deals bei der Schwere der Gewalttaten nicht nachvollziehbar – insbesondere nicht für das Trio, dem schon wieder neue Straftaten vorgeworfen werden.

Die Nebenklageanwälte stellen im Fall Thomas W. und Marcus R. schließlich Befangenheitsanträge gegen alle RichterInnen. Gerade hier seien Bewährungsstrafen nicht verständlich, das vorgeschlagene Strafmaß wirke „willkürlich“. Ihre Mandanten könnten nicht mehr auf die Unparteilichkeit der Kammer vertrauen, es entstehe der Eindruck, das Verfahren soll „um jeden Preis“ schnell beendet werden.

Die Verletzten des Angriffs hatten sich zuletzt vehement gegen Deals mit den Neonazis ausgesprochen: Die Angreifer hätten Tote in Kauf genommen, sie gehörten hinter Gitter. „Für die Betroffenen wäre es ein Schock, wenn es zu keinen adäquaten Strafen kommt“, sagt ihr Anwalt Alexander Hoffmann. „Und für die Neonazis ein Sieg.“ Schon jetzt seien die Betroffenen „sehr enttäuscht“, dass die Täter auch nach sieben Jahren nicht rechtskräftig verurteilt seien. Einige Opfer lebten weiter in Ballstädt, würden den Angeklagten immer wieder über den Weg laufen und lebten damit in ständiger Bedrohung.

Am Montag fordern deshalb auch UnterstützerInnen mit einer Kundgebung vor dem Gericht: „Kein Deal mit Nazis!“ Zuletzt schon hatten die „Omas gegen rechts“ dem Thüringer Justizminister Dirk Adams (Grüne) knapp 45.000 Unterschriften mit derselben Forderung übergeben. Ein Urteil ist bisher für Juli geplant.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

17 Kommentare

 / 
  • 0G
    05838 (Profil gelöscht)

    Eine Richterin.

    Das überrascht mich nicht.

    • @05838 (Profil gelöscht):

      Erläutern Sie bitte.

      • 0G
        05838 (Profil gelöscht)
        @JaKr:

        Der Trend, Täter zu schützen, findet sich nach meiner Erfahrung, stark bei dieser Richtergruppe.

  • 0G
    05838 (Profil gelöscht)

    In einem Rechtsstaat wäre das undenkbar.

  • Wurden die Roben deutscher Richter eigentlich auch von Hugo Boss entworfen... ?

  • Diese Angeklagten sind erst noch am Anfang. But. Wehret so sojet Anfängen!

    “ - Edenpalast-Prozess von 1931 - “



    & Rechtsanwalt Hans Litten

    “Berühmt geworden ist vor allem der Prozess zum Überfall auf das Tanzlokal Eden in der Kaiser-Friedrich-Str. 24 in Berlin-Charlottenburg. Am 22. November 1930 hatte ein SA-Rollkommando das überwiegend von linken Arbeitern besuchte Lokal überfallen. Die Aktion war planmäßig vorbereitet, die polizeilichen Ermittlungen im Anschluss an die Tat verliefen schleppend.

    Hans Litten vertrat vier der insgesamt 20 verletzten Arbeiter als Vertreter der Nebenklage. In dem Prozess ging es ihm neben der strafrechtlichen Verfolgung der unmittelbaren Täter darum, aufzuzeigen, dass der Terror als planmäßige Taktik der nationalsozialistischen Führung benutzt wurde, um die demokratischen Strukturen der Weimarer Republik zu zerstören. Kurz zuvor hatte Adolf Hitler vor dem Leipziger Reichsgericht die Legalität der „Nationalen Revolution“ beschworen.

    Das Gericht rief Adolf Hitler am 8. Mai 1931 auf Antrag Littens sowie des Verteidigers der Angeklagten in den Zeugenstand. Litten wollte zeigen, dass der Eden-Überfall von der Parteiführung organisiert und inhaltlich mitgetragen wurde, dass es sich bei der NSDAP also nicht um eine demokratische, legitime und sich im Rahmen des Legalen bewegende Partei handelte. Im Lauf der Vernehmung konfrontierte Litten den Zeugen Hitler mit einer Schrift des Reichspropagandaleiters der NSDAP, Goebbels, mit dem Titel Der Nazi-Sozi. In dieser Schrift wurde gefordert, dass das Parlament auseinandergejagt werden solle, um die Macht zu ergreifen und die „Gegner zu Brei zu stampfen“.

    Hitler war durch die Fragen von Litten blamiert und in die Enge getrieben.



    Er schrie Litten mit hochrotem Kopf an:

    „Wie kommen Sie dazu, Herr Rechtsanwalt, zu sagen, da ist eine Aufforderung zur Illegalität? Das ist eine durch nichts zu beweisende Erklärung!“

    ff & Rest

    • @Lowandorder:

      ff & Rest

      “… Die Blamage im Edenpalast-Prozess und die Gefahr für die nationalsozialistische Bewegung durch den Rechtsanwalt hat Hitler nie vergessen. Noch Jahre später durfte der Name Litten in seiner Gegenwart nicht erwähnt werden.“



      & Däh - zum



      Felseneck-Prozess 1932Bearbeiten



      In diesem Prozess wurde ein Überfall von Schlägertrupps der SA am 19. Januar 1932 auf die in Wilhelmsruh gelegene Laubenkolonie „Felseneck“ verhandelt.…“ lesens selbst.



      de.wikipedia.org/wiki/Hans_Litten



      & Däh!



      “ Littens Prozessführung in den zahlreichen Verfahren gegen die Opfer von Polizeiübergriffen und nationalsozialistischen Überfällen zielte darauf ab, den jeweiligen Einzelfall in einen politischen Rahmen zu stellen, die bürgerkriegsähnlichen Methoden der Polizei bloßzustellen und die Verantwortlichkeiten bis in höchste Kreise aufzudecken. Er wollte aber keine sozialistischen Märtyrer schaffen, das heißt, er strebte Freispruch oder gegebenenfalls eine tatangemessene Bestrafung an. Dies führte mitunter zu Konflikten mit der Roten Hilfe und der KPD.“



      ———-



      “ Am 28. Februar 1933, noch in der Nacht des Reichstagsbrandes, wird Hans Litten zusammen mit anderen zahlreichen prominenten Oppositionellen wie Erich Mühsam und Carl von Ossietzky in "Schutzhaft" genommen.“



      “…Mitte August 1937 Überstellung in das KZ Buchenwald, am 16. Oktober 1937 nach Dachau. Er geht an Krücken, hält unter Mitgefangenen Vorträge über Metaphysik, Jura, Literatur und Kunst und zitiert auswendig seitenlange Passagen.



      Alle Bemühungen um seine Entlassung - vor allem durch seine Mutter - scheitern.



      Am 5. Februar 1938 finden Mithäftlinge Hans Litten erhängt in der Dachauer Latrine.“



      www.hans-litten.de/sein-leben/



      “ Die letzte Ruhe fand er auf dem Friedhof Pankow III in der Abt. UWB, Grab Nr. 349.“

      ps “… Den Vorschlag, für eine Zeit ins Ausland zu gehen, lehnte er mit der Begründung ab:

      „Die Millionen Arbeiter können nicht hinaus, also muß ich auch hier bleiben.“

      Fürwahr - Was für ein Hallenser.

      • @Lowandorder:

        😟

  • 8G
    82286 (Profil gelöscht)

    "Die Anklage wird mit Gähnen quittiert"



    Das ist eine unglaubliche Respektlosigkeit vor dem Gericht, Verhöhnung der betroffenen Bürger, wohl im Wissen, daß ihnen nichts passieren wird.



    Und jetzt die Frage aller Fragen: Wer soll die Richter und Staatsanwälte beschützen ...

  • RS
    Ria Sauter

    Dies wird immer unverständlich bleiben. Macht hilflos.



    Werden diejenigen, die solche Mauscheleien mittragen, bedroht?



    Haben sie selbst Angst vor den Folgen durch diese Nazis?

    • 8G
      82286 (Profil gelöscht)
      @Ria Sauter:

      "Haben sie selbst Angst vor den Folgen durch diese Nazis?"



      Davon bin ich felsenfest überzeugt. Richter und Staatsanwälte werden bedroht (NSU-Urteil !!! ). Anders läßt sich diese unüberbrückbare Diskrepanz zwischen Rechtsempfinden und Urteil nicht erklären.

  • 9G
    92489 (Profil gelöscht)

    Ich möchte nicht in einer Gesellschaft leben, in der brutale Gewalttäter mit niederen Beweggründen mit solch milden Konsequenzen davonkommen.

  • Ich verstehe jeden Ermittlungsbeamten, der resigniert aufgibt und nur noch seine Zeit bis zur Pension absitzt. Die Gerichte machen aus guter Ermittlungsarbeit zu oft eine juristische Lachnummer.

    • @m.d.bichlmeier:

      Die Frage ist ja, wie gut wirklich ermittelt wurde.



      Kämen denn solche merkwürdigen Deals zustande, wenn gut ermittelt wurde?

  • Es scheint mal wieder ein Justizskandal zu werden. Wer die Nazis mit Samthandschuhen anfasst, braucht sich nachher nicht über rechten Terror zu wundern.

  • Eine Bewährungsstrafe ist keine Strafe. Es ist im Prinzip ein Freischuss für die begangene Tat und verlangt dem Täter nichts Nennenswertes ab.

  • Danke für die Begleitung!