Bildungsminister über Schulschließungen: „Nicht der richtige Weg“
Wenn die Notbremse kommt, muss Sachsens Bildungsminister Christian Piwarz fast alle Schulen schließen. Er hält das für den falschen Weg.
taz: Herr Piwarz, der Bund scheint bei den Schulen nun doch Ernst zu machen: Erst sollten sie ab einer 7-Tage-Inzidenz von 200 schließen, am Montag dann verschärften Union und SPD den Grenzwert auf 165. Ist das der richtige Weg, um die dritte Welle zu brechen?
Christian Piwarz: Ehrlich gesagt habe ich große Bauchschmerzen bei den Plänen des Bundes. Während in anderen Lebensbereichen die Regelungen im Zuge der Beratungen abgemildert wurden, sollen die Schülerinnen und Schüler nun die Hauptlast der Bundesnotbremse tragen. Das kann nicht der richtige Weg sein. Kinder sind Leidtragende der Pandemie, aber nicht dafür verantwortlich.
Sie halten die Notbremse für falsch?
Wir haben mittlerweile in vielen Bundesländern ein striktes Testsystem aufgebaut, um Präsenzunterricht an Schulen so sicher wie möglich zu gestalten. Kinder und Jugendliche werden aktuell so umfassend getestet wie keine andere Gruppe. Das erlaubt uns, nicht allein auf Inzidenzwerte schauen zu müssen. Wir beobachten die Testergebnisse an Schulen sehr genau. Häufen sich Coronafälle, reagieren wir lokal sehr schnell. Diese Instrumente nimmt uns der Bund nun wieder.
Sollte die Bundesnotbremse beschlossen werden, hieße das aktuell für die meisten Schulen in Sachsen: zurück zum Distanzunterricht. Was machen Sie dann?
Für den Fall setzen wir die Regeln natürlich um, dazu sind wir auch verpflichtet. Ich hoffe aber, dass sich die Parlamentarier an die Bildungshoheit der Länder erinnern, wenn sie über den Gesetzentwurf abstimmen. So, wie sich die Inzidenzzahlen entwickeln, befürchte ich, dass die Schulen in Sachsen vielleicht erst wieder im Juni öffnen könnten. Das kann aber nicht die Lösung sein. Zumal fraglich ist, ob die Bundesnotbremse überhaupt wirkt. Ich hätte es für dringend notwendig gehalten, die Testpflicht, die an den Schulen gilt, auch in anderen Bereichen anzuordnen. Wenn es blöd läuft, müssen die Schülerinnen und Schüler dieses Versäumnis ausbaden.
Wann Schulen schließen, entscheidet jedes Bundesland bislang selbst. Bayern und Schleswig-Holstein machen sie bei einer Inzidenz von 100 dicht, Sachsen selbst über 200 nicht. Können Sie nachvollziehen, dass die Betroffenen das als ungerecht empfinden?
Ich kann durchaus nachvollziehen, dass es den Wunsch nach einheitlichen Regeln gibt. Das wird jedoch der zum Teil sehr unterschiedlichen Lage in den Bundesländern nicht gerecht. Wir haben in Sachsen beispielsweise jetzt ab der fünften Klasse auch eine Maskenpflicht im Unterricht eingeführt. Andere Bundesländer setzen auf andere Maßnahmen. Dennoch sollen Schulschließungen überall stur nach Inzidenz erfolgen. Die Bundesnotbremse ist für mich ein gutes Beispiel dafür, dass eine zentral in Berlin getroffene Entscheidung nicht überall die beste ist.
Die Präsidentin der Kultusministerkonferenz, Britta Ernst (SPD), sieht das offenbar anders. Sie lobt, dass die Bundesnotbremse den Schulen endlich Klarheit bringt.
Meine Kollegin habe ich so verstanden, dass sie lediglich die Planungssicherheit begrüßt, mehr nicht. Wir sind uns in der KMK hingegen einig, dass Schülerinnen und Schüler einen enorm hohen Preis für die Schulschließungen zahlen und diese daher nur die Ultima Ratio sein können.
Sie haben in Sachsen als erstes Bundesland eine Testpflicht an Schulen eingeführt und mittlerweile auch auf Grundschulen und Kitapersonal ausgeweitet. Sind Kitas und Schulen damit sicher?
Grundsätzlich ist klar, dass sich das Infektionsgeschehen außerhalb von Schulen nachfolgend auch innerhalb der Einrichtungen widerspiegelt. Die Virusmutation B 1.1.7., die sich auch bei Kindern und Jugendlichen schnell ausbreitet, tut ihr übriges. Aber angenommen, wir schicken die Schülerinnen und Schüler jetzt für acht Wochen nach Hause: Wer testet und kontrolliert sie dann? Ich halte es für wesentlich sicherer, die Kinder und Jugendlichen zwei Mal die Woche in der Schule zu testen – als wochenweise gar nicht mehr.
Virolog:innen warnen, die Schnelltests seien nicht zuverlässig. Eine Studie aus Österreich bestätigt, dass die Laientests nur ein Fünftel bis ein Viertel der infizierten Schüler:innen entdecken. Besteht nicht die Gefahr, dass sich Jugendliche in falscher Sicherheit wiegen?
Die Testungen sind kein Freifahrtschein. Natürlich müssen die anderen Schutzmaßnahmen – Lüften, Abstandhalten und Maske tragen – genauso konsequent eingehalten werden. Das machen wir auch gegenüber den Schulen und Eltern ganz klar deutlich. Die meisten verstehen das, aber offensichtlich nicht alle. Gerade haben wir in Sachsen große Diskussionen darüber, warum die Schülerinnen und Schüler nach dem Testen immer noch ihre Maske tragen müssen. Der einzige wirkliche Schutz ist aber eine Impfung. Jetzt sind bei uns die Lehrkräfte dran. Bis aber die gesamte Bevölkerung durchgeimpft ist, brauchen wir alle möglichen Schutzmaßnahmen zusammen.
Über die wird zum Teil erbittert gestritten. Die Masken- und Testpflicht beschäftigt die Gerichte. Die GEW Sachsen berichtet von Anfeindungen gegenüber Schulleiter:innen. Wie gehen Sie mit Eltern um, die die Maßnahmen für übertrieben halten oder bestreiten, dass es Corona überhaupt gibt?
Wir stellen fest, dass sich die gesellschaftliche Polarisierung in den vergangenen Wochen noch mal vertieft hat. Ein Großteil der Bevölkerung ist müde. Die Meinungen zu Testpflicht & Co gehen weit auseinander. Manche Eltern halten es für eine Zumutung, wenn ihr Kind vor den Augen der Mitschüler einen Schnelltest macht. Andere wiederum befürchten, dass Schnelltests zu Hause dem Betrug Tür und Tor öffnen. Und natürlich gibt es auch die, die Coronamaßnahmen ganz ablehnen. Wo das jedoch dazu führt, dass Lehrkräfte beleidigt oder bedroht werden, stellen wir uns schützend vor sie – notfalls mit dem Strafrecht.
Die meisten Bundesländer bestehen darauf, dass sich die Schüler:innen unter Aufsicht von Lehrkräften testen lassen. Sie erlauben in Sachsen, dass Eltern ihrem Kind eine Selbstauskunft mitgeben. Wäre Kontrolle hier nicht besser?
Die Regel ist, sich in der Schule zu testen. Die wöchentlichen 1,2 Millionen Schnelltests werden auch an die Schulen geliefert. Über 90 Prozent der Schülerinnen und Schüler testen sich dort. Man darf sich aber auch zu Hause testen. Ich traue allen Eltern zu, diese Regel verantwortungsvoll zu nutzen. Uns sind aber auch schon einzelne Missbrauchsfälle gemeldet worden. Sollten die sich häufen, müssen wir die Option gegebenenfalls streichen.
Wie viele Schüler:innen weigern sich, einen Test zu machen?
An den weiterführenden Schulen sind es bisher zwei Prozent der Schülerinnen und Schüler. Zu den Grundschulen, wo wir die Testpflicht erst nach Ostern eingeführt haben, liegen uns noch keine Zahlen vor.
Schüler:innen, die keinen Test machen wollen, müssen zu Hause lernen. Was passiert, wenn sich eine Lehrkraft weigert?
Grundsätzlich gilt dasselbe wie bei den Schülerinnen und Schülern auch: Ohne negatives Testergebnis darf man die Schule nicht betreten. Das sind Gott sei Dank aber Einzelfälle. Sachsenweit kam das bisher nur bei rund 13 Lehrkräften vor. Je nach Situation erwägen wir aber dienstrechtliche Schritte.
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