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Soziologe über Corona und soziale Spaltung„Armut macht krank“

Je weniger Geld, desto größer das Risiko einer Ansteckung: Nico Dragano zur Frage, warum die Pandemie ganz besonders Menschen mit geringem Einkommen trifft.

Von Armut betroffene Menschen haben ein deutlich höheres Risiko zu erkranken Foto: Michael Gottschalk/photothek/imago-images
Alina Leimbach
Interview von Alina Leimbach

taz: Herr Dragano, oft hört man: Vor dem Virus sind wir alle gleich. Stimmt das?

Nico Dragano: Nein, anhand vieler Studien sehen wir mittlerweile ziemlich klar, dass unterschiedliche Bevölkerungsgruppen unterschiedlich oft und unterschiedlich schwer getroffen werden. Und die Risiken verlaufen hier, wie bei vielen Krankheiten, entlang ökonomischer Faktoren. Das ist in Deutschland der Fall wie in zahlreichen anderen Ländern.

Wer arm ist, hat also eine höhere Wahrscheinlichkeit, an Corona zu erkranken?

Genau. Untersucht wird der Zusammenhang häufig über die regionale Verteilung der Infektionen. Da gibt es verschiedene Faktoren, daher ein Beispiel: Gebiete mit im Schnitt niedrigeren Einkommen haben insbesondere in der späteren Phase der Pandemie oft ein höheres Infektionsrisiko als Regionen, in denen Gutverdienende leben. Die sozioökonomische Lage korreliert also mit den Fallzahlen.

Gibt es auch Unterschiede beim Krankheitsverlauf?

Ja, sogar große. In einer Studie haben wir anonymisierte Datensätze einer großen Krankenkasse zu schweren Coronaverläufen analysiert. Aus denen konnten wir ablesen, dass Langzeitarbeitslose, also Hartz-IV-Beziehende, ein 94 Prozent höheres Risiko aufwiesen, mit einem schweren Coronaverlauf im Krankenhaus behandelt zu werden, als Menschen in einem regulären Beschäftigungsverhältnis.

Auch Kurzzeitarbeitslose und Ergänzer haben ein erhöhtes Risiko. All das sind Menschen, die mit geringen Ressourcen auskommen müssen.

Ein um 94 Prozent erhöhtes Risiko ist ein enormer Unterschied Wie kommt es dazu?

Bild: beyondwork2020
Im Interview: Nico Dragano

48, ist Professor für Medizinische Soziologie an der Universität Düsseldorf. Er forscht dort unter anderem zu sozialer Ungleichheit und Gesundheit.

Da gibt es verschiedene Hypothesen. Eine Erklärung, die wohl einen großen Einfluss haben dürfte, ist, dass Langzeitarbeitslose oft auch chronische Vorerkrankungen wie Diabetes oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen haben. Auch die Versorgung mit und der Zugang zu Gesundheitsdienstleistungen können eine Rolle spielen. Also, ob die Menschen problemlos einen Arzt aufsuchen können, wenn sie Beschwerden haben und, ob sie das rechtzeitig genug tun.

Diabetes und Co. sind lebensstilbezogene Krankheiten. Manche werden da sagen: Da sind die Arbeitslosen selbst schuld dran.

Das ist meist falsch. Dahinter steckt ein ganzes Bündel von Faktoren, die die Einzelnen oft gar nicht in der Hand haben. Beispielsweise die Wohnlage. Es gibt mittlerweile viele Studien, die auf den Einfluss von Umweltfaktoren auf die Gesundheit hinweisen. Beispielsweise wohnen an viel befahrenen Straße mit hoher Schadstoffbelastung eher Menschen mit niedrigerem Einkommen.

Dazu kommen Faktoren wie Erziehung. Aber auch psychische Belastungen, die durch die Arbeitslosigkeit verursacht werden. Was hinter all dem steht ist die Erkenntnis: Armut macht krank.

Derzeit spricht man oft über Risikogruppen, aber selten werden Arme konkret als eine genannt. Wundert Sie das?

Das ist ein Problem, dass wir nicht erst seit der Coronapandemie beobachten, leider. Dabei sind die Zusammenhänge wirklich nicht neu. Es ist seit den 60er-Jahren in Studien für Europa erforscht, dass Armut ein ganz entscheidender Faktor für Gesundheit ist. Das reicht von psychischen und Verhaltensauffälligkeiten im Kindesalter bis hin zu schwerwiegenden Erkrankungen bei Erwachsenem und einem deutlich früheren Tod.

Hat die Politik zu wenig unternommen?

In der Pandemie bekommt das Thema etwas mehr Aufmerksamkeit. Bislang wurde aber versäumt, den Zusammenhang von Armut und Krankheit mit der notwendigen Priorität anzugehen. Das zeigt sich jetzt sehr deutlich.

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Wie sähe eine politische Antwort aus?

Wichtig ist, dass alle Ressorts das Thema adressieren. Im Gesundheitssektor landen diejenigen, die schon krank sind. Die Ursachen dafür müssen dagegen überall, zum Beispiel in der Bildungs- und Umweltpolitik, aber auch im Steuersystem bekämpft werden.

Mit dem Steuersystem Krankheiten bekämpfen?

Untersuchungen zeigen, dass wenn man die Einkommensunterschiede klein hält, in diesen Ländern die Gesundheit der Bevölkerung insgesamt profitiert. Das ist ganz faszinierend. Und darauf hat die Steuerpolitik natürlich einen Einfluss. Wird der Reichtum gerechter verteilt, kann das die Gesundheit verbessern.

Derzeit fordern Wohlfahrtsverbände, den Hartz-IV-Regelsatz auf 600 Euro zu erhöhen. Wäre das auch eine gesundheitsfördernde Maßnahme?

Das wäre aus gesundheitswissenschaftlicher Sicht zu befürworten, auch wenn es nicht die einzige Maßnahme sein sollte. Aber wenn sich die materielle Lage verbessert, hilft das auch der Gesundheit. Und in der Krise ist das noch einmal besonders akut. Vieles fällt weg, das kostenlose Schulessen, die Tafeln. Dazu kommen Zusatzkosten wie für die Masken.

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18 Kommentare

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  • Noch was zu den Tafeln:



    www.scharf-links.d...6&cHash=79f0cfb6f5

  • Besteht ein Verdacht auf ein Myom bedarf es keiner Igelleistung um das mittels US abzuklären, geschweige denn zu operieren. Man muss sich aber darum kümmern, dazu gehören auch regelmäßige kassenpflichtige Vorsorgeuntersuchgen... Und Füße "verkrüppeln" nicht in einer kurzen Zeit, da brauch es schon ein wenig länger schlechtes Schuhwerk... Sorry, aber Ihre Darstellung Ihrer Hartz4 Gesundheitsfolgen sind für mich tatsächlich ein wenig unglaubwürdig und lesen sich für mich eher wie: jahrelang nicht um die eigene Gesundheit gekümmert, die Probleme auflaufen lassen und dann in Hartz4 aufgewacht. Aber schön für Sie, dass dann doch anscheinend Geld zum Auswandern vorhanden war... so ganz mit 0 Euro geht das meines Erachtens nach auch nicht.

  • Herr Dragano ist falsch informiert, Masken sind für Hartz IV Empfänger und Rentner umsonst im Bezirksamt abzuholen!!!



    Die Tafeln gehören sowieso abgeschafft, hier einen Link dazu:



    www.neues-deutschl...-gesellschaft.html

  • Man benötigt prinzipiell ein Umdenken der Wohnstrategie - Privatgrundstücke und Einfamilienhäuser sind teuer und nehmen viel zu viel Fäche ein (geschweige den Autoverkehr der ebenfalls die Umwelt belastet), während typische Sozialbauten zu wenig Platz haben und somit die Psyche und Gesundheit der Bürger belastet. - Die modernen Wohnstrategien (privat und sozial) aus den 50-80er sind generell veraltet.

  • Man sollte auch die Arbeits- und Lebensbedingungen betrachten. Schichtarbeit macht erwiesenermaßen krank: Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Diabetes 2, Schlafstörungen (die dann oft mit Alkohol "behandelt" behandelt werden), Verdauungsstörungen usw.



    Seit Ewigkeiten bekannt: www.baua.de/DE/The...Gefaehrdungen.html,



    aber Schichtarbeit ist in vielen Fällen notwendig (Gesundheitswesen, Rettungsdienste, Polizei), lukrativ (Anlagenauslastung) und beliebt bei vielen Beschäftigten (Schichtzulagen).



    In diesen Berufen ist dann auch kein Homeoffice möglich, und die Löhne sind häufig niedrig.

  • Ins Archiv bin ich geklettert; dort ist es finster, leicht geht die Orientierung verloren:



    "'Soziale Gerechtigkeit muss künftig heißen, eine Politik für jene zu machen, die etwas für die Zukunft unseres Landes tun: die lernen und sich qualifizieren, die arbeiten, die Kinder bekommen und erziehen, die etwas unternehmen und Arbeitsplätze schaffen, kurzum, die Leistung für sich und unsere Gesellschaft erbringen. Um die - und nur um sie - muss sich Politik kümmern.' Peer Steinbrück, Die Zeit, 13.11.2003"



    Entnommen der aktualisierten Ausgabe aus dem Knaur Taschenbuch Verlag, August 2005, Albrecht Müller, "Die Reformlüge, 40 Denkfehler, Mythen und Legenden, mit denen Politik und Wirtschaft Deutschland ruinieren", Seite 315.

  • Warum der Krankheitsverlauf schwerer ist, leuchtet ein. Warum es unter HartzIV Empfängern mehr Infektionen gibt, leuchtet leider nicht ein. Das geht ja nur überdurchschnittlich viele Kontakte oder unterdurchschnittlich eingehaltene Hygieneregeln.

    • @Sylkoia Sal:

      Zu Hartz4-Empfängern gehören auch Hunderttausende (Tendenz steigend) von Aufstockern, also Personen, deren Arbeitseinkommen unter dem Existenzminimum liegt. Diese Jobs sind allesamt prekär: Paketbote, Supermarktkasse in Teilzeit, Putzen, Bandarbeit, Fleischzerteilen usw. Dort sind a) Anwesenheitspflicht, b) häufige/enge Kontakte, c) infektionsfördernde Arbeitsumgebung (feucht, kalt, ungelüftet) die Regel.

    • @Sylkoia Sal:

      .. beengte Wohnverhältnisse in dichtbesiedelten Gebieten an hochfrequentierten Straszen, der zu jeder Tageszeit gut besuchte Discounter, die winzigen Wartezimmer niedergelassener Kassenärztinnen, die vollen Zügen der ÖPNV - danke der Nachfrage, ja, Armut erhöht das Ansteckungsrisiko. "Überdurchnittlicht viele Kontakte" sind auch eher nicht so HartzIV-typisch.. aber gut, der Asi-Stempel ist halt auch schnell gezückt.

      • @kindischekaiserin:

        Genau so sehe ich das auch! Der Artikel ist schlecht gemacht weil er darauf überhaupt nicht eingeht. Aus dem Artikel läßt sich "Immunität dank hohen Kontostand" ableiten

  • Aktuell ist es so das fast alle Beschlüsse unserer Regierung vor allem den Armen in unserer Gesellschaft aufgeladen werden. Wir sollen mehr Geld für gutes Essen ausgeben und unsere Verantwortung bewusst sein. Toll wenn am Monatsende nicht mehr da ist. Die CO 2 Abgabe ist ja nur eine geringe Preissteigerung. Toll wenn am Monatsende nichts mehr da ist. usw.....

  • Ach ja das ganze in Hamburg.



    Die Zähne gammelten in der Zeit auch und von Brillen nicht zu sprechen.

  • Ich war nur kurz Hartz 4 in der Zeit habe ich mir den Fuß verkrüppelt in billigen Schuhen weil ich welche für Einlagen eigentlich tragen müsste die von Finn Comfordt die Passten waren unerschwinglich und kosteten 150 euro. Die Einlagen konnte ich mir auch nicht leisten die Kasse hat die nicht bezahlt sagte der Shutechniker soll die gratis machen der wollte aber nicht hat mir gratis welche aus dem Müll gegeben aus Plastik die niemals gepasst hätten . In die Schuhe für 20 Euro hätte ich auch keine reinstecken können. Und ein Frauenarzt hat mir Ultraschall verweigert weil ich die 35 Euro für IGEL Leistungen nicht hatte. In der Zeit sind da munter Myome gewachsen die hätten entfernt werden können aber bis ich aus Deustchland ausgewandert bin und einen Arzt fand musste die Gebärmutter entfernt werden.

  • "Wie sähe eine politische Antwort aus?"



    Systemfrage stellen?! Aktuelles System produziert Armut genauso wie es Reichtum produziert. Armut und Reichtum bedingen einander. Hiesige Gesellschaft ist hierarchisch aufgebaut. Klar, dass ich sich das auch in der Dimension Gesundheit ausdrückt. Staat und Demokratie spiegeln das auch in verschiedensten Facetten wider. Als Negativbeispiele sind Politiker*innen zu nennen, die sich vorzeitig impfen lassen haben/konnten. Es ist anzunehmen, dass wenn Machtstrukturen vorherrschen durch Reichtum, Ämter u.ä., entsprechend privilegierte Menschen dies ausnutzen werden.

    • @Uranus:

      Andere Systeme führten bereits mehrmals in der Geschichte in die immer gleiche Sackgassen mit noch mehr Armut, Umweltzerstörung und Unterdrückung wieder.

      Das jetzige System ist auch bei der Armutsbekämpfung mit am erfolgreichsten.

      • @Rudolf Fissner:

        Das nehme ich jetzt einfach mal so hin. Ich behalte mir aber vor, Sie nach der kommenden Pleitewelle noch einmal an diese Ihre Worte zu erinnern. Hoffentlich wissen Sie dann auch noch, was genau „das jetzige System“ war.

  • RS
    Ria Sauter

    Was für eine Überschrift!



    Wenn diese Erkenntnis erst jetzt angekommen ist, ja dann braucht es keine weiteren Worte dazu.

  • Stellt Euch mal vor, es ist Kapitalismus und keiner geht hin.