Subunternehmen One Motion Logistic: Schlimmer als Amazon

Der Logistikriese selbst beschäftigt keine Fah­re­r*in­nen, um Pakete auszuliefern, sondern ein Subunternehmen. Dort seien die Bedingungen miserabel.

Ein parkendes Auto mit der Aufschrift "Prime"

Auto abstellen, Paket zustellen, schnell weiter – die Tagestouren sind kaum zu schaffen Foto: Wolfgang Kumm/dpa

HAMBURG taz | In der Konzernspitze ist Bewegung. Anfang Februar gab der zweitreichste Mensch der Welt, Amazon-Gründer Jeff Bezos, seinen Rückzug als Vorstandsvorsitzender bekannt. Während Wirtschaftsblätter vom Ende einer Ära berichteten, ist klar, woran sich nichts ändern wird: an den schlechten Arbeitsbedingungen für Tausende Paketpacker*innen, Sor­tie­re­r*in­nen und Aus­lie­fe­re­r*in­nen im Dienste des Konzerns.

Über Lohndumping oder Überwachung am Arbeitsplatz bei dem Mega­konzern wird regelmäßig berichtet, aber selbst bei Amazon ist noch Luft nach unten: Etwa für ein Subunternehmen, das zwischen Amazon und den Fah­re­r*in­nen steht, die die Pakete an die Haustür bringen. Der Logistikriese selbst beschäftigt keine Fahrer*innen, sondern greift bei der Auslieferung entweder auf DHL, Hermes und Co. zurück oder auf zahlreiche Transport-Subunternehmen.

Eines davon ist „One Motion Logistic“, eine europaweit agierende Firma aus Großbritannien. 69 angestellte Fah­re­r*in­nen holen die Pakete morgens beim Hamburger Amazon-Verteilzentrum Veddel ab und bringen sie an die Haustüren. Laut den Schilderungen mehrerer Beschäftigter sind die Bedingungen dort noch schlechter als im Arbeitsverhältnis mit Amazon selbst.

Francisco Montes (Name geändert) arbeitet seit sieben Monaten für One Motion und kann eigentlich nicht mehr. „Ich arbeite schon wie verrückt, aber dauernd wird der Druck noch weiter erhöht“, sagt er. Anfangs musste er auf einer Tour, für die One Motion acht Arbeitsstunden veranschlagt, rund 130 Pakete zustellen. Jetzt sind es meist 230 oder 250. „Das ist unmöglich in acht Stunden“, sagt Montes. „Bei den Wetterverhältnissen ist es außerdem gefährlich. Unter dem Zeitdruck kannst du nicht vorsichtig sein.“

Abzüge statt Bonuszahlungen

Überstunden bezahle One Motion nicht, sagt Montes. Wer absehen könne, dass er die Paketlieferung nicht in der vorgesehenen Zeit abschließen kann, könne in einer Chatgruppe nach Hilfe fragen – aber die bleibe fast immer aus, sagt Montes.

Der gelernte Ingenieur will zurück nach Panama, wo er geboren ist und sein Studium absolviert hat, bevor er nach Spanien kam und dort die Anzeige von One Motion sah: „Unser wachsendes Team sucht Fahrer für Paketlieferungen, Vollzeit, Teilzeit, Flexibler Urlaub und Freizeit, Gehalt 9,35€/ Stunde plus Leistungsprämien“ – so wirbt das Unternehmen auch auf Facebook. „Von den Prämien habe ich in den sieben Monaten nie etwas gesehen“, sagt Montes. „Im Gegenteil – ständig ziehen sie dir etwas vom Lohn ab.“

Benzin etwa oder Autoreparaturen. Wer einen Unfall hat und einen Schaden am Lieferfahrzeug verursacht, egal wie klein die Schramme oder Delle ist, dem zieht One Motion pauschal 700 Euro ab. Emilio Reyes (Name geändert) bekam deshalb im Januar nur 580 Euro für seine Vollzeitstelle ausgezahlt – das Unternehmen hatte ihm 700 Euro für eine Schramme und 120 Euro für übertriebenen Benzinverbrauch abgezogen.

Das Telefonat mit der taz nimmt Reyes per Kopfhörer an, während er Pakete im Akkord ausliefert. „Ja, hallo, danke, bitte“, sagt er zwischendurch zu wildfremden Menschen, ohne das Gespräch zu unterbrechen. Etwa alle fünf Minuten ist er an einer anderen Haustür. „Wovon soll ich diesen Monat mein Essen bezahlen?“, fragt Reyes. Von den Bonuszahlungen, die One Motion den Ar­bei­te­r*in­nen in Aussicht stellt, habe auch er nie einen Cent gesehen.

Aus einer von One Motion gestellten Unterkunft sei der Spanier nach zwei Wochen ausgezogen. Unzumutbar sei es dort gewesen – vier Personen in einem Raum, alle Raucher. Als er in ein Zimmer mit sieben Personen umziehen sollte, sei er ausgezogen. Im Januar war das – wie man in der Pandemie überhaupt auf Massenunterbringung setzen könne, sei ihm schleierhaft.

Francisco Montes, One-Motion-Fahrer

„Ich arbeite schon wie verrückt, aber dauernd wird der Druck noch weiter erhöht“

Nach der miserablen Lohnzahlung habe er sich bei einem One-Motion-Vorgesetzten beschwert – für die Reparatur der Schramme schulde ihm der Konzern mindestens 450 Euro, da sie niemals 700 Euro gekostet haben könne, und die 120 Euro Benzin habe er sicher nicht verfahren. 1.000 Kilometer monatlich dürfen die Fah­re­r*in­nen verfahren, auf ihren Routen zwischen den Lieferadressen, Arbeitsplatz und Heimweg oder auch auf einem Abstecher zum Supermarkt. „1.000 Kilometer verfährst du nicht in der Stadt, das ist unmöglich“, sagt Reyes. Sein Vorgesetzter habe ihm geantwortet, man werde den Benzinstand und seine Arbeitszeiten überprüfen. Reyes bezweifelt, dass er das Geld jemals zu sehen bekommt.

Gegenüber der taz sagt Grahame Letts, Betriebsleiter bei One Motion, selbstverständlich bekäme jeder Fahrer die Reparaturkosten für Schäden am Auto zurück, wenn sie über dem veranschlagten Betrag lägen: „Das Wohlbefinden unserer Angestellten ist uns extrem wichtig.“ Die Vorwürfe weist Letts von sich: „Sie treffen nicht zu und spiegeln nicht den Respekt und die guten Arbeits- und Unterbringungsbedingungen, unter denen unsere Fahrer für uns unterwegs sind.“

Die von der Firma organisierte Unterbringung sei lediglich als Angebot zu verstehen und sähe höchstens drei Schlafmöglichkeiten pro Raum vor. Aktuell werde dieses Angebot in Hamburg von niemandem beansprucht.

„Acht von zehn Worten, die aus dem Mund eines One Motion-Verantwortlichen kommen, sind gelogen“, schreibt ein ehemaliger Mitarbeiter in einer Whatsapp-Gruppe, in der sich Angestellte austauschen. Auf Englisch und Bulgarisch listet er zehn Vorwürfe an das Unternehmen auf, darunter falsche Gehaltsversprechen, unbezahlte Überstunden und ungerechtfertigte Lohnabzüge. Die meisten Fah­re­r*in­nen kommen aus Bulgarien, Rumänien oder spanischsprachigen Ländern. Deutsche Kol­le­g*in­nen haben Reyes und Montes, soweit sie wissen, nicht.

Und was sagt Amazon zu den Vorwürfen gegenüber seinem Subunternehmen? „Wir gucken uns die Betriebe, mit denen wir zusammen arbeiten, genau an“, antwortet der Unternehmenssprecher Michael Schneider. „Wir denken nicht, dass diese Vorwürfe zutreffend sind oder die Wirklichkeit für Tausende Menschen widerspiegeln, die bei kleinen und mittelständischen Lieferunternehmen beschäftigt sind.“ Aber man werde die Vorwürfe prüfen und gegebenenfalls einschreiten.

Auf seiner Homepage wirbt Amazon dafür, selbst ein Unternehmen zu gründen, das für den Logistik­giganten ausliefert. Mit lediglich 15.000 Euro Startkapital erwarte Interessierte die Aussicht auf 60.000 bis 140.000 Euro Gewinn pro Jahr. Zwar erfordere es „eine starke Führung und jede Menge Fleiß“, denn die tägliche Versorgung einer Vielzahl von Kunden sei nicht immer einfach. Aber: „Das Lächeln, das Sie dafür erhalten, ist es wert.“

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