Linken-Chefin Hennig-Wellsow im Gespräch: „Immerhin haben sie uns gratuliert“
Die Linke hat eine neue Spitze gewählt. Co-Chefin Susanne Hennig-Wellsow über Gemeinsamkeiten mit SPD und Grünen – und die Chancen, bald mitzuregieren.
taz: Frau Hennig-Wellsow, herzlichen Glückwunsch zur Wahl. 70 Prozent der Delegierten haben für Sie gestimmt. Ist das ein gutes oder ein schlechtes Ergebnis?
Ein gutes, wenn man zwei Gegenkandidaten hat.
Die niemand kannte. Ihre Co-Vorsitzende Janine Wissler wurde mit 84 Prozent Zustimmung gewählt.
Dafür, dass ich sehr klar gesagt habe, was ich will, nämlich, dass wir als Linke Verantwortung übernehmen, ist das ein sehr deutliches, positives Signal, dass die Partei gewillt ist, diesen Weg zu gehen.
Hat die Linkspartei hier eine Vorentscheidung getroffen in der Frage, ob man für oder gegen Regierungsbeteiligungen auf Bundesebene ist?
Es war ein Votum, das Mut macht, dass wir den Weg dafür vorbereiten können und das mit gutem Gewissen.
War das Wahlergebnis für den Reformer Matthias Höhn nicht ein Dämpfer? Höhn vertritt Positionen, denen Sie auch zustimmen, etwa in der Außenpolitik.
Matthias hat einen Vorschlag zur Diskussion gestellt, und nicht wenige in der Partei sehen es als nötig an, das Thema zu debattieren. Die Stärkung der UNO zur Wahrung und Durchsetzung des Völkerrechts ist wichtig, Schritte zum Abbau der Spannungen zwischen Nato und Russland sind nötig. Das Ziel, weniger für die Rüstung, mehr für Entwicklung auszugeben, unterschreiben doch bei uns alle. Und natürlich ist es richtig, das völlig falsche 2-Prozent-Aufrüstungsziel der Nato zu Fall zu bringen.
Ich habe da konkret eine andere Antwort als Matthias, der Haushalt für die Bundeswehr sollte noch sehr viel stärker gekürzt werden und die Entwicklungshilfe braucht einen weit größeren Zuschlag. Auch in der Frage der europäischen Armee haben wir unterschiedliche Auffassungen.
Also finden Sie es richtig, dass Höhn nicht in den Vorstand gewählt wurde?
Nein, das nicht. Er vertritt Positionen, die man zu Recht diskutieren kann. Aber vor Parteitagen kann das schwierig sein.
Das war also taktisch unklug?
Er war mutig.
Matthias Höhn meint, die Linke müsse solche Themen diskutieren, bevor sie in eine Regierung geht. Ist die Linke mit ihrer derzeitigen Fundamentalablehnung von Auslandseinsätzen regierungsfähig? Grüne und SPD sind für Blauhelmeinsätze mit Beteiligung der Bundeswehr.
Wir sind gerade dabei eine Tür zu öffnen, um klarzumachen, dass außer Schwarz-Grün auch Grün-Rot-Rot denkbar wäre. Und dann müssen wir erst mal die Gemeinsamkeiten auf den Tisch packen. Die sind ziemlich offensichtlich: in der Klimapolitik, in der Sozialpolitik und sogar beim Thema Umverteilung. Alle drei Parteien denken in eine ähnliche Richtung, wenn es etwa um den Ausbau der Infrastruktur geht, um eine Grundsicherung, um eine solidarische Gesellschaft. Und dann muss man schauen, was man beim Thema Außen und Verteidigung verhandeln kann.
Wenn man sich zu dritt darauf einigen könnte, die Hartz-IV-Regelsätze zu erhöhen – würde das bei der Linken daran scheitern, dass noch deutsche Soldaten im Ausland sind?
Die Soldat*innen, die zurzeit im Ausland sind, wurden von einer anderen Regierung dorthin geschickt.
Die dürften bleiben?
Ich bin dafür, dass alle Soldat*innen zurückkehren, wie schnell das geht, ist eine Frage des Mandats. Aber ein Verhandlungsergebnis wird immer komplett abgestimmt und was wir gesellschaftlich verändern können, wiegt dabei sehr schwer.
43, führt künftig mit Janine Wissler die Linkspartei. Seit 2014 Partei- und Fraktionschefin der Linken in Thüringen.
Grün-Rot-Rot würde also nicht daran scheitern, dass deutsche Soldaten im Ausland sind?
Noch einmal: Alle Soldat*innen müssen zurückkehren.
Janine Wissler ist da viel entschiedener. Sie sagt, sie sehe bei Bundeswehreinsätzen, anders als bei anderen Fragen, gar keine Möglichkeit für Kompromisse. Wie ist bei solch gegensätzlichen Positionen eine Verständigung zwischen Ihnen möglich?
Die ist möglich. Das eine sind laufende Auslandseinsätze, etwas anderes sind neue Entsendungen. Da sind wir der gleichen Auffassung. Ich finde es richtig, dass die Bundesrepublik aus Auslandseinsätzen aussteigt.
Es gibt derzeit aus allen drei Parteien keine nennenswerte Initiative für Grün-Rot-Rot. Spüren Sie bei Grünen und SPD überhaupt Interesse, mit der Linken zu regieren?
Immerhin nehmen uns beide Parteien jetzt wahr.
Haben Sie schon mit Saskia Esken und Annalena Baerbock telefoniert?
Zumindest haben sie uns auf Twitter gratuliert.
Geht die Linke zuversichtlich in die kommenden Landtagswahlen? Die Umfragen sind mau.
Wir sind bundesweit immerhin bei 9 Prozent.
Ist das der erhoffte Aufbruch: von 8 auf 9 Prozent?
Ich nehme vom Parteitag mit, dass unsere Partei wirklich Lust darauf hat, zu kämpfen und jetzt loszulegen. Unsere Genoss*innen vor Ort sehen, dass es im Jetzt und Hier Lösungen braucht und wir nicht mehr warten können.
Welche Themen sollte die Linke in den nächsten Wahlkämpfen nach vorn stellen?
Zum einem die, die Corona uns aufgibt. Wir brauchen kostenlose Masken und Tests für alle, einen Impfschutz für alle – in dem Zusammenhang finde ich übrigens den Vorschlag der Berliner Linken, Obdachlose zu impfen, ziemlich gut. Wir wollen eine Grundsicherung auf den Weg bringen, die den Menschen ihre Würde lässt, aufgestockt, ohne Vermögensprüfung und ohne Sanktionen. Klimapolitik ist ein gesamtgesellschaftliches Thema, das wir als Linke mit Sozialpolitik verbinden wollen. Wenn wir wollen, dass die Kumpel nicht mehr in der Braunkohle arbeiten, dann müssen wir die Regionen entwickeln, damit dort neue Arbeitsplätze entstehen. Das klingt wie Zukunftsmusik, aber wir müssen die Weichen dafür jetzt stellen.
Die Linke will demnächst über ihre Spitzenkandidat*innen für die Bundestagswahl entscheiden. Haben Sie Lust auf die Spitzenkandidatur?
Grundsätzlich finde ich es legitim, wenn Parteivorsitzende sagen, sie wollen auch im Wahlkampf vorne stehen. Die Entscheidung über die Spitzenkandidat*innen trifft aber der Parteivorstand. Wir werden das dort gemeinsam beraten.
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