Wirtschaft und Staat während Corona: Der Unternehmer

Angeblich weiß der Staat nicht, wie man wirtschaftet. Doch ohne ihn gäbe es keine neuen Produkte. Und auch keine Medikamente gegen das Coronavirus.

Hochhaeuser des Bankenviertels in der Innenstadt von Frankfurt am Main

Die deutsche Wirtschaft in Schieflage – das denkt zumindest die Ratingagentur Moody's Foto: Dirk Sattler/imago

Das Coronavirus vernebelt offenbar auch die Gehirne von Analysten. Vor einigen Tagen kam eine eigenartige Mitteilung von der Ratingagentur Moody’s: Die Bonität der deutschen Bundesländer sei nicht mehr „stabil“, sondern „negativ“. Moody’s rechnet also damit, dass Länder wie Baden-Württemberg oder Hamburg demnächst bankrott sein könnten.

Das ist absurd. Bundesländer gehen nicht pleite. Doch Moody’s tut so, als wären Bayern oder Niedersachsen Firmen wie Daimler oder TUI, die Gewinn machen müssen, damit sie überleben können. Moody’s wendet daher das Einmaleins der Buchführung an: Einnahmen und Ausgaben der Bundesländer werden einfach verglichen. Wenig überraschend erkennen auch Moody’s-Analysten, dass die Pandemie zu Defiziten führt. Durch die Lockdowns brechen Wirtschaft und Steuereinnahmen ein, während gleichzeitig die Ausgaben steigen, nicht zuletzt weil die Landesregierungen versuchen, ihre heimischen Betriebe durch die Krise zu schleppen.

Moody’s wiederholt also nur, was Zeitungsleser längst wissen: Wirtschaftskrisen erzeugen Staatsdefizite. Man fragt sich, was Ratingagenturen eigentlich machen – außer Kaffee zu trinken, Zeitung zu lesen und eine Bewertung wie „negativ“ hinzuzufügen. Verschärftes Nachdenken scheint jedenfalls nicht zu den Aufgaben eines Analysten zu gehören.

Sonst wäre Moody’s aufgefallen, dass auch Ratingagenturen indirekt genau von jenen Staatsdefiziten abhängen, die sie jetzt kritisieren. Man stelle sich einmal vor, die Bundesregierung und Länder hätten keine Schulden gemacht, um die Wirtschaft zu stabilisieren. Viele Betriebe wären pleite, und Millionen Menschen arbeitslos. Die meisten Konzerne hätten dann weder Geld noch Lust, um Ratingagenturen anzuheuern. Das Moody’s-Geschäftsmodell wäre tot.

Marketing durch Moody's

Moody’s betreibt letztlich nur Marketing; mit abwegigen und alarmistischen Analysen will man sich ins Gespräch bringen. Das ließe sich ignorieren, wenn es nicht so erfolgreich wäre. Gekonnt bedient Moody’s eine Urangst der Deutschen: Nach zwei Weltkriegen mit zwei Hyperinflationen sind die Bundesbürger jederzeit bereit zu glauben, dass ihr Staat demnächst pleite sein könnte. Da fällt kaum noch auf, dass wir in Friedenszeiten leben – und die Preise nicht etwa steigen, sondern fallen. Im Dezember wurde eine Inflation von minus 0,3 Prozent verzeichnet.

Man kann es nicht oft genug wiederholen: Der Staat ist kein Unternehmen. Er ist das Gegenüber der Wirtschaft. Er stabilisiert die Konjunktur, damit die Firmen nicht in die Pleite treiben. Allerdings ist der Staat weit mehr als nur Retter in der Krise. Ohne den Staat gäbe es fast gar keine Innovationen, die die Firmen erfolgreich vermarkten könnten. Der Staat ist kein Unternehmen – aber der wichtigste Unternehmer.

Doch davon ist bei Moody’s nie etwas zu lesen. Die Analysten hängen der fixen Idee an, dass der Staat nur stört und allein die Firmen wüssten, wie man neue Produkte entwickelt. Dies ist falsch. Es ist der Staat, der für Innovationen sorgt, indem er die Grundlagenforschung an den Universitäten und in öffentlichen Laboren fördert. Die Pandemie ist dafür ein gutes Beispiel.

Die Mainzer Firma Biontech macht jetzt weltweit Schlagzeilen, weil sie einen Impfstoff entwickelt hat, der absolut zuverlässig ist und auf mRNA-Botenstoffe setzt. Doch zur Wahrheit gehört auch, dass die mRNA-Technik in staatlichen Laboren entwickelt wurde.

Staatliche Einrichtungen haben das iPhone erfunden

Die beiden Biontech-Gründer Şahin und Türeci haben ihr ganzes Berufsleben an Universitäten geforscht. Dieses staatlich finanzierte Wissen haben sie dann in eigenen Unternehmen in Medikamente umgewandelt. 2001 gründeten sie die Firma Ganymed, 2008 folgte Biontech. Auch ihre Mitarbeiter sind promovierte Forscher, die an der Universität Mainz ausgebildet wurden und ihr Wissen von dort mitbringen.

Es ist nicht verwerflich, wenn staatlich finanzierte Mediziner eigene Unternehmen starten. Denn wie Şahin und Türeci in einem Spiegel-Interview feststellten, kommt die „Wissenschaft nicht immer am Patientenbett“ an. Neue Erkenntnisse werden nicht automatisch zu Medikamenten, sondern müssen ihren Weg aus den Universitätslaboren in den Alltag finden. Doch die privaten Firmen werden erst am Ende tätig, nicht am Anfang. Konzerne meiden die Grundlagenforschung, weil sie zu teuer und zu unsicher ist.

Diese Beobachtung gilt nicht nur für die Pharmazie, sondern auch fürs Silicon Valley. Die Ökonomin Mariana Mazzucato hat rekonstruiert, wie es zum iPhone kam. Apple-Gründer Steve Jobs war zweifellos genial, aber kein Forscher. Alle wesentlichen Bestandteile des iPhones wurden in staatlichen Laboren erfunden, ob GPS, Touchscreen, Internet, Lithium-Ionen-Batterien oder Mikroprozessoren. Jobs’ Leistung war es, diese verstreuten Erfindungen zu einem neuen Produkt zusammenzuschweißen – eben zum iPhone.

Apple hat seither weit mehr als 500 Milliarden Dollar Gewinn gemacht. Es sei Unternehmen gegönnt, dass sie mit innovativen Produkten enorme Profite einfahren. Aber es wäre nur fair, wenn der Staat an diesen Gewinnen gerecht beteiligt würde – schließlich hat er in Universitäten und Labore investiert, damit das Wissen überhaupt entsteht. Trotzdem zahlt Apple nur geringe Steuern auf die Profite. Etwa 17 Prozent dürften es sein, wie US-Steuerfachleute mühsam ausgerechnet haben. Da zahlt jede Sekretärin mehr auf ihr Einkommen. Die Kosten der Forschung werden sozialisiert – und die Gewinne privatisiert.

Das ist in Deutschland nicht anders. Normales Einkommen wird höher besteuert als Kapitalerträge. Das ist kein Zufall, sondern beruht auf der falschen Erzählung, dass der Reichtum allein den Unternehmern zu verdanken sei – während der Staat angeblich schlecht wirtschaftet. Die Mär von Moody’s ist ja leider kein Einzelfall.

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Der Kapitalismus fasziniert Ulrike schon seit der Schulzeit, als sie kurz vor dem Abitur in Gemeinschaftskunde mit dem Streit zwischen Angebots- und Nachfragetheorie konfrontiert wurde. Der weitere Weg wirkt nur von außen zufällig: Zunächst machte Ulrike eine Banklehre, absolvierte dann die Henri-Nannen-Schule für Journalismus, um anschließend an der FU Berlin Geschichte und Philosophie zu studieren. Sie war wissenschaftliche Mitarbeiterin der Körber-Stiftung in Hamburg und Pressesprecherin der Hamburger Gleichstellungssenatorin Krista Sager (Grüne). Seit 2000 ist sie bei der taz und schreibt nebenher Bücher. Ihr neuester Bestseller heißt: "Das Ende des Kapitalismus. Warum Wachstum und Klimaschutz nicht vereinbar sind - und wie wir in Zukunft leben werden". Von ihr stammen auch die Bestseller „Hurra, wir dürfen zahlen. Der Selbstbetrug der Mittelschicht“ (Piper 2012), „Der Sieg des Kapitals. Wie der Reichtum in die Welt kam: Die Geschichte von Wachstum, Geld und Krisen“ (Piper 2015), "Kein Kapitalismus ist auch keine Lösung. Die Krise der heutigen Ökonomie - oder was wir von Smith, Marx und Keynes lernen können" (Piper 2018) sowie "Deutschland, ein Wirtschaftsmärchen. Warum es kein Wunder ist, dass wir reich geworden sind" (Piper 2022).

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