Ruf nach Demonstrationsverboten: Keine falschen Reflexe

In der CDU wird gefordert, Demonstrationen wie die vom Samstag zu verbieten. Das wäre falsch, aber Auflagen müssen rigide durchgesetzt werden.

Menschen ohne Gescihtsmaskestehen vor im Lustgarten in Berlin und demonstrieren gegen die New World Order

Würden die drei Protestierenden zum schwarzen Block gehören, würde die Polizei brutal durchgreifen Foto: Christian Mang

Kein Zweifel, der Auflauf der Corona-Kreuz- und Querdenker:innen, die am Samstag in Berlin gegen die Vernunft demonstriert haben, war ein verstörendes Ereignis. Die Distanzlosigkeit, mit der dort mehrere Zehntausend vermeintlich Friedensbewegte, Alternativniks, Techno-Fans, Impf­gegner:innen, Esoteriker:innen, Ver­schwörungsideolog:innen und stramme Neonazis Seit an Seit marschiert sind, ist gleich in mehrfacher Hinsicht erschreckend. Aber das darf nicht zu falschen Reflexen führen. So ein falscher Reflex ist, wenn jetzt aus Unionskreisen Stimmen laut werden, Demonstrationen wie die am Wochenende mit strikteren Auflagen zu versehen oder einfach ganz zu verbieten.

Die Demonstrationsfreiheit ist ein Grundrecht, das unter allen Umständen zu verteidigen ist. Dass es am Anfang der Pandemie für mehrere Wochen in der Bundesrepublik weitgehend ausgesetzt war, hatte zwar nachvollziehbare Gründe, war jedoch trotzdem höchst problematisch. Es ist gut und wichtig, dass Menschen jetzt wieder demonstrieren können – auch wenn das, wofür sie demonstrieren, noch so abseitig sein mag.

Ein Messen mit zweierlei Maß darf es da nicht geben. Das gilt auch für die Corona-Kreuz- und Querdenker:innen, obwohl deren Ziele objektiv eine Gefährdung der Bevölkerung bedeuten. Ein Verbot ihrer Veranstaltungen hätte nur den Effekt, dass sie sich in ihrem Wahn, die Grundrechte in Deutschland seien nicht mehr in Kraft, bestätigt sehen würden.

Trotzdem war das, was sich in Berlin abgespielt hat, ein eklatantes Versagen der Polizei, für das der Berliner Innensenator Andreas Geisel die politische Verantwortung trägt. Denn so falsch es gewesen wäre, die Demonstration im Vorfeld zu verbieten, hätte sie trotzdem nie und nimmer starten dürfen. Die von Anfang an demonstrative Missachtung der Auflagen, also konkret der Abstandsregeln und des Tragens eines Mund-Nasen-Schutzes, hätte nicht einfach hingenommen werden dürfen. Die Nichtdurchsetzung des Infektionsschutzes hat einen bedenklichen Präzedenzfall geschaffen.

Weniger gefährlich als Gottesdienste

Wie auch bei anderen Demos kann und darf selbstverständlich auch bei dem absurden Event der Corona-Kreuz- und Querdenker:innen darüber diskutiert werden, ob die verhängten Auflagen notwendig waren. Der Hinweis ist durchaus berechtigt, dass die Ansteckungsgefahr im Freien weitaus niedriger ist als in geschlossenen Räumen, also somit eine Kundgebung auf der Straße des 17. Juni in Berlin potenziell wesentlich weniger gefährlich ist als ein Gottesdienst im Kölner Dom.

Allerdings taugt das nur zur Begründung, bei Gottesdiensten auf die strikte Einhaltung der Hygieneregeln zu achten. Umgekehrt rechtfertigt das aber noch nicht den Verzicht auf entsprechende Auflagen bei einer Außenveranstaltung. Denn eine Gefahr lässt sich gleichwohl auch hier nicht leugnen – wobei das größte Problem die An- und Abreise ohne jegliche Schutzvorkehrungen in Bussen und Bahnen sein dürfte.

Das heißt übrigens noch nicht, dass die Versammlung der Corona-Leugner:innen und -Relativierer:innen tatsächlich ein „Superspreader“-Event gewesen ist. Selbst wenn nicht nur 20.000, sondern tatsächlich die herbeifantasierten 1,3 Millionen gekommen wären, wäre das nur dann problematisch, wenn sich darunter infektiöse Teilnehmer:innen befinden. Doch das weiß man nicht. Aber es besteht die Möglichkeit. Genau deshalb hätten sie sich an die Auflagen halten müssen.

Mögen einem die verkündeten Auflagen auch nicht passen: Es geht auf keinen Fall, sie einfach nicht zu beachten. Wenn Demoorganisator:innen mit einem Auflagenbescheid nicht einverstanden sind, können sie dagegen gerichtlich Widerspruch einlegen. So ist das zum Glück in einem Rechtsstaat. Wenn jedoch stattdessen bewusst und kollektiv Auflagen ignoriert werden, dann darf das die Polizei nicht einfach dulden. Von daher geht die Forderung aus der Union nach strikteren Auflagen daneben. Es hätte schon ausgereicht, wenn die Beamt:innen einfach auf die Einhaltung der bereits bestehenden ausreichend geachtet hätten.

Vermummungsverbot versus Vermummungsgebot

Auch hier gilt: Es darf nicht mit zweierlei Maß gemessen werden. Wer schon einmal erlebt hat, wie eine Antifademo stundenlang nicht loslaufen durfte, bis auch noch die letzten Heinis im schwarzen Block ihre Sonnenbrillen abgesetzt hatten, der kann den fahrlässigen Umgang mit dem Anti-Corona-Aufzug nicht nachvollziehen.

Die Konsequenz, mit der die Polizei – bisweilen unangemessen brachial – Vermummungsverbote durchsetzt, steht in einem bemerkenswerten Kontrast zu ihrem fehlenden Engagement, dem Vermummungsgebot zum Schutz der Gesundheit der Bevölkerung Geltung zu verschaffen. Um zu erkennen, dass die Berliner Polizei auch anders kann, bedarf es nur eines Blicks auf die Jagdszenen am Samstagabend in Neukölln. Aber da ging es ja gegen die böse Autonomenszene – und nicht gegen unverantwortliche Gesundheitsgefährder:innen verschiedenster Schattierungen bis ins Tiefbraune.

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Jahrgang 1966. Arbeitet seit 2014 als Redakteur im Inlandsressort und gehört dem Parlamentsbüro der taz an. Zuvor fünfzehn Jahre taz-Korrespondent in Nordrhein-Westfalen. Mehrere Buchveröffentlichungen (u.a. „Endstation Rücktritt!? Warum deutsche Politiker einpacken“, Bouvier Verlag, 2011). Seit 2018 im Vorstand der taz-Genossenschaft.

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