Feuertod in der JVA Kleve: Gedächtnislücken der Justiz

Eine Staatsanwältin wusste schon vor dem Tod von Amad A., dass es sich um eine Verwechslung handelte. Nun könne sie sich an nichts erinnern.

Gang und Türen im Gefängnis

In der JVA Kleve war Amad A. unschuldig eingesperrt Foto: Markus van Offern/dpa

DÜSSELDORF taz | „Ich kann mich nicht erinnern.“ Keinen Satz sagt die Braunschweiger Staatsanwältin Silke Schaper vor dem Untersuchungsausschuss des nordrhein-westfälischen Landtags, der den Tod des ohne Rechtsgrundlage inhaftierten und in seiner Zelle in der Justizvollzugsanstalt Kleve verbrannten Geflüchteten Amad A. aufklären soll, am Dienstagnachmittag öfter.

Dabei war Ende Mai eine von der Juristin unterzeichnete brisante Verfügung aufgetaucht, die klarmacht, dass Schaper schon Wochen vor dem Zellenbrand wusste, dass der Kurde aus dem syrischen Aleppo mit einem dunkelhäutigen Mann aus Mali verwechselt wurde. Amad A. sei „nicht identisch“ mit der Person Amed G., notierte die Staatsanwältin mit Datum vom 27. Juli 2018, also mehr als zwei Monate vor dem Tod des Geflüchteten. Die Worte „nicht identisch“ hat die heute 50-Jährige unterstrichen. Sie habe deshalb auch mit dem Polizisten Frank G. von der Polizei Kleve telefoniert, hielt Schaper schriftlich fest.

Vor dem Parlamentarischen Untersuchungsausschuss machte die Juristin trotzdem massive Erinnerungslücken geltend. Der Fall sei ihr erst wieder ins Gedächtnis gerückt, nachdem sie ihre eigene Verfügung noch einmal gelesen habe. Vom Tod des Kurden, der aus Verzweiflung über seine unrechtmäßige Inhaftierung am 17. September 2018 ein Feuer in seiner Zelle gelegt haben soll, habe sie erst „vor zwei Wochen durch eine Presseanfrage“ erfahren. Amad A. war bei dem Brand so schwer verletzt worden, dass er zwölf Tage später nach einer Lungentransplantation starb.

„Ich kümmere mich um wesentliche Fälle. Das war für mich kein wesentlicher Fall“, erklärte die niedersächsische Staatsanwältin in Düsseldorf. Sie habe den Malier Amed G. wegen mehrfachen Diebstahls, etwa von „Turnschuhen bei Karstadt“, suchen lassen. Im Nachhinein habe sie rekonstruiert, dass sie wohl von einer „geografisch interessierten Mitarbeiterin“ ihrer Geschäftsstelle darauf hingewiesen worden sei, dass der Geburtsort von Amad A. – Aleppo – nicht in Mali liege.

Beschwerde über Anreise

An das laut ihrer eigenen Verfügung erfolgte Telefonat mit dem Klever Polizisten G., der den Geflüchteten in Haft hielt und gegen den heute wegen Freiheitsberaubung ermittelt wird, könne sie sich aber „nicht erinnern“, sagte Schaper am Dienstag und lachte. „Ihr Lachen spricht Bände“, meinte daraufhin der Vorsitzende des Untersuchungsausschusses, der Christdemokrat Jörg Geerlings.

Warum ihr klar gewesen sei, dass der in Kleve inhaftierte Amad A. nicht die „sehr dunkle Hautfarbe“ des von ihr gesuchten Maliers Amed G. hatte, wisse sie leider auch nicht mehr, erklärte die Braunschweigerin – und beschwerte sich, dass sie „für etwas, an das man sich nicht erinnern kann“, sieben Stunden Anreise- und Arbeitszeit aufwenden müsse.

Vom CDU-Abgeordneten Oliver Kehrl darauf hingewiesen, dass es um den Tod eines Menschen gehe, fing sich Schaper aber wieder – und erklärte, „in 20 Jahren“ nicht einen ähnlichen Fall gehabt zu haben. Sie habe deshalb auch versucht, Kontakt zu der Staatsanwaltschaft Hamburg aufzunehmen, die den Malier Amed G. ebenfalls suchte. „Aber von dort ist nichts gekommen“, so die Juristin. Das sei aber „durchaus üblich“.

Zumindest „widersprüchlich“ seien die Aussagen der Juristin, sagte der Obmann der Grünen im Untersuchungsausschuss, Stefan Engstfeld, nach der Sitzung. „Einerseits soll es sich um ein unwesentliches Verfahren gehandelt haben“, so der Grüne zur taz. „Andererseits telefoniert die Staatsanwältin mit der Polizei eines anderen Bundeslands, wendet sich auch an Hamburg.“

Schmallippiger Polizist

Engstfeld hofft nun, dass niedersächsische Informatiker klären können, wann genau am 27. Juli 2018 die Staatsanwältin mit dem Klever Polizisten G. telefoniert hat. Denn der hat genau an diesem Tag noch einmal in Polizeidatenbanken zum Fall Amad A. recherchiert – und nach Aussagen von LKA-Beamten soll auch daraus innerhalb weniger Minuten erkennbar gewesen sein, dass der Kurde und der Malier nicht identisch sein konnten.

Die Staatsanwaltschaft Kleve geht deshalb erneut dem Verdacht der Freiheitsberaubung nach. Erste Untersuchungen waren eingestellt worden, worauf auch die in Deutschland lebenden Eltern vom Amad. A. Beschwerde eingelegt hatten. Entsprechend schmallippig gab sich im Landtag der unter Verdacht stehende Kriminalkommissar G. „Ich mache von meinem Recht auf Aussageverweigerung Gebrauch“, war der einzige wesentliche Satz, den er außer Angaben zu seiner Person sagte.

Dennoch sei durch die Arbeit des Untersuchungsausschusses schon heute deutlich, dass die Verwechselung des Kurden Amad A. mit dem Malier Amed G. den Behörden Wochen vor dem tödlichen Brand bekannt war, sagte der Sozialdemokrat Sven Wolf nach der Sitzung zur taz. „Wenn das einer geografisch interessierten Mitarbeiterin einer Geschäftsstelle der Staatsanwaltschaft Braunschweig aufgefallen ist, muss das auch den Beamten in NRW aufgefallen sein“, so der SPD-Fraktionsvize. Dass überhaupt wieder wegen Freiheitsberaubung ermittelt werde, sei „eine große Leistung des Untersuchungsausschusses“.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.