Kieler Mief vor Gericht

Die Umwelthilfe klagt gegen die Stadt und das Land wegen zu hoher Stickstoffdioxid­belastung in Kiel. Das Schleswiger Oberverwaltungsgericht schlägt eine Einigung vor

Am Barkauer Kreuz ändert Kiel die Verkehrsführung, um die Stickoxid-Belastung zu senken. Kurzfristige Folge: Mehr Stau – und temporär weniger Schadstoffe Foto: penofoto/imago

Von Esther Geißlinger

Im Streit um die zu hohe Stickstoffdioxidbelastung der Luft in Kiel hat das Oberverwaltungsgericht Schleswig einen Vergleich vorgeschlagen. Ob sich die Deutsche Umwelthilfe (DUH) auf der einen und die Stadt sowie das Land Schleswig-Holstein darauf würden verständigen können, war zu Redaktionsschluss noch offen.

Der Kieler Theodor-Heuss-Ring gehört zu den schmutzigsten Straßen Deutschlands. Der Grenzwert für Stickstoffdioxid von 40 Mikrogramm ist dort in den vergangenen Jahren regelmäßig überschritten worden, was die DUH nicht länger hinnehmen will. Andernorts hat sie sich mit ähnlichen Klagen bereits durchgesetzt.

Am Mittwoch in Schleswig begrüßten sich Ulf Kämpfer (SPD) und Jürgen Resch fröhlich und bedauerten im Chor, dass sie sich nicht die Hände schütteln konnten. Zwar stünden sie vor Gericht auf verschiedenen Seiten, inhaltlich aber, das beteuerten beide, seien sie sich einig: „Alle wollen die Einhaltung der Grenzwerte“, sagte Kämpfer. Nur um das Wie gibt es Streit.

Seit Januar 2020 gilt ein neuer Luftreinhalteplan, den das Umweltministerium verfasst und dem der Stadtrat zugestimmt hat. Er beschreibt eine „Maßnahmenkaskade“, die, so meinen Stadt und Land, den Stickstoffdioxidwert bereits in diesem Jahr unter den Grenzwert drücken wird. In den Folgejahren solle die Belastung im Mittel unter 40 Mikrogramm bleiben.

Die Stadt Kiel hat schon einiges versucht, um die Messwerte am Theodor-Heuss-Ring zu senken: So durften ältere Diesel nur noch auf den mittleren Spuren fahren, um das Stickstoffdioxid von den Fußwegen und den dort abgestellten Messstationen ferner zu halten. Als bundesweit erste Stadt testete Kiel Luftfilter, die am Straßenrand die Abgase ansaugen und säubern. Nach dem Test soll das Verfahren im Oktober im Regelbetrieb starten. Die Stadt hat dafür im Mai sechs containergroße Geräte bestellt.

Für Resch „klingt das mehr nach Schilda als nach Kiel“. Der DUH-Anwalt Remo Klinger nannte die Filter eine „Wünsch-dir-was-Maschine“, kritisierte den Lärm und hohen Stromverbrauch der Geräte. An ihrer Stelle fordert die DUH „wirksame Maßnahmen“, etwa ein Fahrverbot für ältere Dieselfahrzeuge.

Die Vertreter von Stadt und Land widersprachen: Die Prognosen zeigten, dass die Filter wirksam seien. Sinke die Belastung nicht, würde Stufe zwei des Plans starten, nämlich das Fahrverbot. „Das ist ja grade der Gag des Stufenmodells“, sagte Kämpfer.

Ältere Diesel durften nur noch auf den mittleren Spuren fahren, um das Stickstoffdioxid von den Fußwegen und den dortigen Messstationen fern zu halten

Aktuell passen die Werte auf dem Theodor-Heuss-Ring: In den ersten vier Monaten dieses Jahres lag der Durchschnittswert bei 38,3 Mikrogramm Stickstoffdioxid. Auch im Jahresschnitt dürfte der Grenzwert vermutlich unterschritten werden. Allerdings ist das Bild verzerrt: Eine Baustelle sorgt für weniger Fahrten, dazu kommen die Wochen des Corona-Lockdowns, die den Abgas-Ausstoß verringert haben. Aber dürfen solche „externen Faktoren“ überhaupt einbezogen werden? Und kommt die Wirksamkeitsprüfung zu spät?

Diese Fragen wollte die DUH vom Oberverwaltungsgericht klären lassen. Zudem bemängelte der Verein die Standorte der Messstationen – sie entsprächen zwar den Vorgaben, würden aber nicht die reale höchste Belastung zeigen: „Niemand von uns hat seine Nase in 3,50 Metern Höhe“, sagte Klinger. Auch sei es sinnvoll, Daten aus anderen Straßen zu sammeln, um ein Gesamtbild zu modellieren.

Wind, Wetter und örtliche Gegebenheiten spielten eine große Rolle, argumentierten die Vertreter der Stadt, daher sei Kiel nicht vergleichbar mit anderen Städten. Ulf Kämpfer sagte, dass Kiel dank Fördermitteln des Bundes bereits eine Reihe von Maßnahmen umsetzen könne, darunter ein Jobticket und Zuschüsse für Fahrradkäufe. Auch habe die Stadt ein Kohlekraftwerk abgeschaltet.