Karnevalsfeier trotz Mahnwache: Pietätlose Party
Nur einen Tag nach dem Anschlag von Hanau feierten Mitarbeiter im Bundestag ausgelassen Karneval – während nebenan der Opfer gedacht wurde.
BERLIN taz | Nicht ohne Grund wird der Bundestag auch Hohes Haus genannt. Das Parlament ist Volksvertretung und erfüllt damit auch eine wichtige Vorbildfunktion. Ein Vorfall, der nun bekannt geworden ist, weckt jedoch starke Zweifel, ob das allen Mitarbeitern, die im Bundestag arbeiten, bewusst ist.
Die Sache liegt zwar bereits drei Monate zurück, wurde aber jetzt erst öffentlich: Nur 24 Stunden nach dem rassistischen Anschlag von Hanau, bei dem neun Menschen mit Migrationshintergrund ermordet wurden, sollen Bundestagsmitarbeiter eine ausgelassene Karnevalsparty gefeiert haben – und zwar in den Räumen des Parlaments.
Dies geht aus einem Bericht der Süddeutschen Zeitung hervor. Ein Sprecher des Bundestags bestätigte den Vorfall auf taz-Anfrage. Danach sollen am 20. Februar, also einen Tag nach dem blutigen Anschlag, um die hundert Mitarbeiter aus der Bundestagsverwaltung eine private Karnevalsparty in den Räumen eines Bundestagsgebäudes Unter den Linden geschmissen haben.
Dabei hatte der Direktor der Bundestags die am selben Tag geplante offizielle Faschingsfeier in der Parlamentskantine aus Respekt vor den Opfern von Hanau abgesagt. Drinnen Polonaise, während draußen die Flaggen auf Halbmast hingen, das schien undenkbar.
Feiern, während Abgeordnete nebenan der Opfer gedenken
Doch offenkundig wollten sich nicht alle Mitarbeiter im Haus das närrische Treiben deswegen verbieten lassen. Und so organisierten sie, unter ihnen hochrangige Verwaltungsbeamte, eine private Sause. Allerdings nicht etwa in einer Kneipe fernab des Bundestags, sondern mittendrin, zwischen Aktenschränken und Rechnern. An sich ist das nicht verboten. Doch ausgerechnet an diesem Abend?
Immerhin versammelten sich zur selben Zeit vor dem Brandenburger Tor viele Menschen, um bei einer Mahnwache der Terroropfer zu gedenken. Sie bildeten eine Menschenkette, an der auch prominente Bundestagsabgeordnete teilnahmen. Darunter Bundestagsvizepräsidentin Claudia Roth (Grüne) und CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak.
Fröhlich feiern, während nebenan eine Schweigeminute eingelegt wird – für die betroffenen Mitarbeiter schien das kein Problem. Der Sprecher betont zwar, dass es sich bei der Feier um eine „private Zusammenkunft“ gehandelt habe, wie sie auch „an runden Geburtstagen oder vor Weihnachten allgemein üblich sind“. Doch weniger pietätlos wird der Fall deshalb nicht.
Zumal die Angelegenheit neben der Party selbst weitere Fragen aufwirft. So soll die Mitarbeitern, eine Unterabteilungsleiterin, die die Feier maßgeblich organisiert hatte, für das respektlose Verhalten nicht gerügt, sondern im Gegenteil, inzwischen zur Abteilungsleitern befördert worden sein, wie die SZ berichtet.
Sogar die Polizei rückte an
Hinzu kommt, dass die Party offenbar so ausgelassen war, dass Flure zu Tanzflächen umfunktioniert und umgekippte Flaschen eine der Tapeten „durchgeweicht“ hätten, wie die SZ einen hochrangigen Beamten zitiert. Ein Hausmeister, der die Zustände in der betroffenen Etage später beklagt hatte, wurde versetzt. Auch die Polizei soll wegen Lärmbelästigung angerückt sein.
Zu diesen Details wollte sich der Sprecher nicht äußern, er erklärte lediglich: „Über den Verlauf im Einzelnen liegen voneinander abweichende Schilderungen vor.“
Der Fall sorgt jedenfalls auch Monate später noch für reichlich Irritationen. Britta Haßelmann, die Erste Parlamentarische Geschäftsführerin der Grünen spricht gegenüber der taz von einem „empörenden Vorgang“ und einer „pietätlosen Feier“. Vertreter der Hinterbliebenen des Hanauer Anschlags bezeichnen den Vorfall in einer gemeinsamen Erklärung als „Verhöhnung“ der Opferfamilien. „Ausgerechnet an diesem Tag, an diesem Ort“, das mache sie traurig.
Leser*innenkommentare
76530 (Profil gelöscht)
Gast
Wenn ich den vorliegenden Artikel richtig verstanden habe, geht es hier um Mitarbeiter/ "Feierbiester" politischer Funktionsträger. Da halte ich einen anderen Maßstab für angemessen als bei Politikern selbst.
Außerdem ist bekannt, dass Freud und Leid dicht nebeneinander wohnen.
Aus dem Nähkästchen: ich betrauere gerade den Verlust zweier lieber Menschen. Das hält mich aber nicht davon ab, meinen Nachbarn ihren turbulenten Kindergeburtstag zu gönnen.
Apropos gönnen: gönne könne ...
maerz001
Ach bitte. Viele Tage sollen denn bitte nötig sein, um sich nicht mehr heuchlerisch über “wilde parties” zu echauffieren?
Umgefallene Flaschen und ne feuchte Tapete. Wahnsinn. Da gibts echt kein halten mehr. Kann sich das Berghain mal ne Scheibe von abschneiden
Pia Mansfeld
Darf man das jetzt bitte als einen Beweis nehmen, dass Karneval dumm macht? Ja? Bitte!
Peter Lorenz
Scham überkommt mich, ja. Verwunderung? Nein.
Pfanni
Mich würde mal interessieren, welchen Parteien die Party-Teilnehmer zuzuordnen sind und wie diese Parteien reagiert haben? Leider fand ich im Beitrag nichts hierzu (oder ich habe es überlesen).
Karl B
@Pfanni Es ging hier nicht um Politiker, es ging um Mitarbeiter der Bundestagsverwaltung.
Pfanni
@Karl B . . . Aber ich vermute, dass diese Mitarbeiter größtenteils in Büros von Parteien arbeiten. Mich würde demzufolge interessieren, wie die „Arbeitgeber“ dieser Mitarbeiter (d. h. die Parteien) dazu stehen. Außerdem darf es den Parteien nicht egal sein, was im Bundestag vorgeht!
Karl B
@Pfanni Nochmal: Mitarbeiter der Bundestagsverwaltung. Nicht die Mitarbeiter der Fraktionen und Abgeordneten.
Ria Sauter
Gast
Das zeigt mal wieder sehr deutlich, wie volksfern diese Menschen sind.
Sie können sich total daneben benehmen und werden noch befördert.
Irgendjemand, nach dem Vorbild in der Bibel, müsste diese respektlosen Menschen aus dem Volkstempel jagen.
Das macht fassungslos und ist zum fremdschämen.
Karl B
@Ria Sauter ."... wie volksfern diese Menschen sind. " Bitte genau lesen: Es ging hier nicht um Politiker, es ging um Mitarbeiter der Bundestagsverwaltung.
Ria Sauter
Gast
@Karl B Ja,das habe ich schon gelesen.
Sie arbeiten aber mit und in der Politik. Verdirbt anscheinend das Empfinden.
Albertoni
@Ria Sauter Willkommen in der Realität, Frau Flieder. Diese "Menschen" sind alles andere als volksfern. Sie sind das Volk.