Durchsetzung von Coronaregeln: Ohne Shui Ta geht’s nicht

Bislang setzte Berlin auf die Verantwortung der Einzelnen bei der Einhaltung der Coronaregeln. Nun fordert der Regierungschef mehr Druck – richtig so.

Hat seinen Brecht gelesen: Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD) Foto: dpa

Der Mann müht sich echt. Immer noch ein Versuch, an die Verantwortung jedes Einzelnen zu appellieren. Immer wieder der Appell, nur gemeinsam lasse sich die Coronakrise bewältigen. Sogar bei der Maskenpflicht sollte soziale Kontrolle statt Bußgeld ausreichen.

Bei vielen rennt Regierungschef Michael Müller (SPD) damit offene Türen ein: bei jenen, die sowieso auf Wegen rechts am Rand gehen und so ausreichend Platz lassen. Bei jenen, die am Kühlregal mit Abstand warten, bis der ­andere von der Frischmilch weg ist. Die sich freuen, dass sie nun zumindest ­wieder eine andere Familie zu Besuch haben können, und nicht meckern, dass nicht auch gleich die große Party möglich ist.

Aber da sind eben die anderen: die, die wegen der ersten Lockerungen denken oder schon immer meinten, alles sei wieder möglich – und damit riskieren, dass nicht nur sie, sondern auch alle anderen aller Lockerungen wieder verlustig gehen. Jene, die ignorieren, dass nicht nur sie selbst, sondern auch andere Freiheitsrechte haben – etwa das Recht auch eines Älteren darauf, einigermaßen ansteckungssicher im Park spazieren zu können. Bei denen dringt Müller offenbar nicht durch, weil das Ego-Gen zu groß oder soziales Denken nicht vorhanden ist, was auf dasselbe hinausläuft.

Der Regierungschef erinnert dabei an Shen Te aus Brechts Drama „Der gute Mensch von Sezuan“: jene Frau, die trotz schlechter Erfahrungen mit ihren Mitmenschen lange meint, alles nur mit Güte schaffen zu können. Doch alle nutzen sie aus – und nehmen dabei in Kauf, dass Shen Te drauf und dran ist unterzugehen. Bis die einsieht, dass es nur mit Güte nicht geht, und ein Alter Ego entwickelt, ihren vermeintlichen Vetter Shui Ta, den Mann fürs Grobe und Konsequente.

„Wir können nicht akzeptieren, dass einige denken, sie können machen, was sie wollen“

Dieser Punkt scheint bei Müller erreicht. Nach Wochen im Shen-Te-Modus wirkt er bereit, Shui Ta herbeizurufen, um nicht von einer Minderheit das kaputtmachen zu lassen, was die Corona-Ausbreitung verlangsamt und dabei sehr, sehr viel Geld gekostet hat. „Wir können nicht akzeptieren, dass einige denken, sie können machen, was sie wollen“, hat der Regierungschef gegenüber Journalisten am Dienstag gesagt – die Frage war, ob nicht angesichts von so abstands- wie rücksichtslosen Menschenpulks ein robusteres Vorgehen angesagt sei.

Das müsse „kein martialisches Auftreten sein“, sagte Müller – in Frankreich etwa patrouillieren Polizisten mit umgehängter MP. Und er habe immer noch die Hoffnung, auch mit Mahnen und Ermuntern weiterzukommen. Aber eine klarere Ansprache der Polizei in Richtung Corona-Regelbrecher wie schon im März soll es geben. Shui-Ta muss also richten, was Shen Te allein mit dem Glauben an das Gute im Menschen nicht schaffen kann. Das ist so richtig wie schade und erwartbar – Brecht-Leser und -Gucker kennen das schon seit der Uraufführung des „Guten Menschen“ vor fast 80 Jahren in der Schweiz.

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