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Biologin über Pandemien„Auslöser sind Umweltveränderungen“

Die Corona-Pandemie wäre ohne den Menschen nicht entstanden, sagt die Biologin Simone Sommer. Naturschutz sei auch für unsere Gesundheit zentral.

Für Ökosysteme wichtig: Flughunde auf einem Markt in Brazzaville, Kongo Foto: Jiro Ose/Redux/laif
Interview von Andrew Müller

taz: Frau Sommer, das weltweit Chaos auslösende Virus Sars-CoV-2 stammt offenbar von Fledermäusen. Diese gelten als besonders virenverseucht – warum?

Simone Sommer: Fledermäuse tragen oft Erreger, ohne selber krank zu werden. Viele Arten leben in Gruppen eng beieinander, sind langlebig und extrem mobil, kommen also mit vielen Krankheitserregern in Kontakt. Die Fledermäuse standen evolutionär unter hohem Selektionsdruck und haben ein sehr effizientes Immunsystem ausgebildet. All das macht sie zu perfekten Viren-Reservoirs.

Im Interview: Simone Sommer

52,leitet an der Universität Ulm das Institut für Evolutionsökologie und Naturschutzgenomik.

Warum wäre es trotzdem falsch, in Wildtieren die Schuldigen zu suchen – und die aktuelle Pandemie als reines „Naturphänomen“ zu sehen?

Zunächst muss ich eine Lanze für Fledermäuse brechen: Sie sind sehr wichtig für die Ökosysteme und spielen beispielsweise bei der Pflanzenbestäubung eine große Rolle. Man sollte Wildtiere keinesfalls verteufeln. Außerdem wurde diese Übertragung erst durch den Menschen ermöglicht. Auf Märkten wie dem Huanan wet market in Wuhan treffen verschiedenste tote und lebendige Tiere aufeinander, wie es in der Natur nicht passieren würde. Wenn man illegalen Wildtierhandel und Bushmeat, also Fleisch von Tieren aus dem Regenwald oder Savannen, dauerhaft verbieten würde, wäre das ein wesentlicher Schritt.

Spielt auch die industrielle Tierzucht eine Rolle?

Es gibt im Zusammenhang mit der Massentierhaltung immer wieder Probleme mit Schweine- und Vogelgrippe. Bei Covid-19 aber ist es anders – selbst Pangoline, die als mögliche Zwischenwirte diskutiert werden, lassen sich meines Wissens kaum züchten, das sind alles Wildfänge. Die meisten zoonotischen, also zwischen Mensch und Tier übertragbaren Viruserkrankungen wie Ebola, Sars und Mers kommen von Wildtieren. Aber Menschen können auch Wildtiere infizieren, zum Beispiel mit Masern, die bei Menschenaffen meist tödlich verlaufen.

Wie Ihre Untersuchungen zeigen, gibt es einen Zusammenhang zwischen der Zerstörung von Ökosystemen, dem Verlust von Biodiversität und solchen neuartigen Krankheiten.

Ja, wir konnten anhand systematischer Untersuchungen von Fledermäusen und Nagetieren in Panama nachweisen, dass Umweltzerstörung die Infektionswahrscheinlichkeit von Wildtieren mit potenziell auch Menschen gefährdenden Krankheiten fördert. In intakten Ökosystemen leben viele unterschiedlich stark spezialisierte Tiere. Sie reagieren ganz unterschiedlich auf Veränderungen. Werden beispielsweise Wälder abgeholzt, sterben einige Arten aus, die Biodiversität sinkt dann meist. Andere können sich sehr gut anpassen. Derartige Generalisten besetzen frei gewordene Ökosystemnischen und werden häufiger.

Und kränker?

Erreger wie Viren sind zwar ein natürlicher Bestandteil von Ökosystemen – Tiere und Menschen sind in permanentem Kontakt mit ihnen. Sie mutieren ständig und lösen schon immer Erkrankungen aus. Aber sie breiten sich in intakten Lebensräumen nicht so flächendeckend aus, sondern bleiben eher in einer Nische. Man nennt das Verdünnungseffekt – die Krankheit stirbt dann wieder aus. In stark gestörten Ökosystemen mit geringer Biodiversität hingegen wird eine Epidemie wahrscheinlicher – und damit auch eine Mutation, durch die irgendwann mal plötzlich die Artgrenze überschritten wird. Viele Generalisten, also Tiere wie Ratte oder Sperling, kommen zudem gern in die Nähe menschlicher Behausungen – und in Kontakt mit Nutztieren und mit uns.

Menschen und Wildtiere haben doch schon immer Lebensräume geteilt, Wildtiere werden seit Langem gegessen. Was ist nun anders?

Traditionelle Jäger-und-Sammler-Gesellschaften gibt es kaum noch, das ist auch etwas völlig anderes als ein Markt in Wuhan. Bei früheren Übertragungen – über die wir nicht viel wissen – war die Wahrscheinlichkeit viel geringer, andere Gruppen anzustecken. Heute verbreiten sich Krankheiten durch Bevölkerungsdichte und Globalisierung viel schneller – das sieht man momentan. Neben unserer Forschung weisen auch andere Studien darauf hin, dass die Auslöser zunehmend menschengemachte Umweltveränderungen sind.

Intakte Natur und Artenvielfalt sind also ein Schutzpuffer gegen neue Krankheiten wie Covid-19.

Vereinfacht gesagt, ja. Durch den Verlust natürlicher Lebensräume und einhergehender drastischer Abnahmen der Populationen nimmt zudem die genetische Vielfalt ab. Wird eine Tierart selten, sinkt mit dem verringerten Genpool die Immunabwehr. Dabei spielt auch Stress eine Rolle.

Gestresste Wildtiere werden schneller krank?

Wie wir Menschen. Das zeigen unsere Untersuchungen von Nagern in Panama. In gestörten Habitaten gibt es mehr Generalisten, sie sind aggressiver und haben eine höhere Virenbelastung. Selbst die ruhigeren Weibchen beißen und infizieren sich häufiger.

Wie sind Sie bei der Forschung vorgegangen?

Wir haben die Vielfalt der Immungene und Krankheitserreger von Fledermäusen, Nagern und Beutlern aus drei unterschiedlich vom Menschen beeinflussten Landschaftstypen statistisch verglichen. Bei der Virenbestimmung arbeiten wir mit Christian Drosten von der Berliner Charité zusammen, der auch die Bundesregierung berät.

Wie viele gefährliche Viren schlummern noch in der Natur?

Die genaue Zahl weiß keiner, sie dürfte aber hoch sein. Allein an Coronaviren gibt es etliche. Sie existieren schon viel länger auf der Erde als alle höheren Lebewesen. Es werden weitere kommen.

Was können wir tun?

Neben der Vermeidung unnatürlicher Kontakte auf Tiermärkten sollten wir Rückzugsmöglichkeiten von Wildtieren und ihre Ökosysteme erhalten. Hoffen wir, dass bei den ganzen schlimmen Auswirkungen der aktuellen Krise eines klar wird: Arten-, Umwelt- und auch Klimaschutz brauchen einen höheren Stellenwert – auch im Interesse unserer Gesundheit.

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12 Kommentare

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Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

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  • Durch weniger Nutztierhaltung, weitgehenden Verzicht auf Fleisch und Milchprodukte könnten wir den Druck auf die Lebensräume beenden. Es gab hierzu eine Sendung im TV wonach nach zehn Jahren weltweiten Veganismus 50% der derzeit gefährdeten Arten von den roten Listen könnten. 70 bis 80% der Landwirtschaftsflächen werden für die Futterproduktion genutzt. Wir hätten also Platz für extensive Landwirtschaft, Energiepflanzen und Renaturierung im großen Stil.

  • Vieleicht ist es ja auch sinnvoll Tierarten die viele potentiell für den Menschen gefährliche Organismen enthalten zu behandeln wie Ratten.



    Die Pest wird ja unter anderem durch intensive Schädlingsbekämpfung daran gehindert sich aus den den in Asien Afrika und den Amerikas liegenden Naturherden (wo es regelmässig zu kleineren Ausbrüchen kommt ) auszubreiten.



    Aus meiner Sicht muß dringend über 2 Dinge nachgedacht werden:



    1.) Zurückdrängung risikobehafteter Arten in menschfreie oder zumindest menschenarme Lebensräume.



    2.) Falls Menschen solche Arten weiterhin verzehren wollen muß die Fleischhygiene dringend verbessert werden.



    Der Umgang mit Schweinefleisch zeigt ja, das man Tiere genussvoll und mit geringem Risiko essen kann obwohl es mindestens 2 bekannte Zoonosen gibt (Trichinen und Tollwut).

    • @Thomas Dreher:

      Wohin wollen Sie denn die Tiere zurückdrängen? Es gibt doch kaum noch Rückzugsräume. Im Artikel wird doch dargestellt, dass gerade das Gegenteil hilft.



      Weitere Beschleunigung des Artensterbens ist keine Alternative. Das bringt uns auf Zeit auch um.

    • @Thomas Dreher:

      Wie wäre es denn, wenn die Menschen nicht immer weiter und tiefer in die Lebensbereiche der Wildtiere eindringen würden, deren Lebensräume dezimieren und zerstören?

  • „Heute verbreiten sich Krankheiten durch Bevölkerungsdichte und Globalisierung viel schneller – das sieht man momentan“



    Die Globalisierung sollte nicht automatisch für alles verantwortlich gemacht werden, was schiefläuft in unserer Zeit. Auch nicht für Corona! „Globalisierung“ und die heutige Bevölkerungsdichte gab es im Mittelalter noch nicht. Dennoch schaffte es eine andere Pandemie, die Pest („Schwarzer Tod“) im 14. Jh., sich von Zentralasien bis nach Europa auszubreiten und Millionen Menschen den Tod zu bringen!

    • @Pfanni:

      Die Pest war eine Globalisierungsfolge. Die von den Hunnen eingerichteten Versorgungswege durch die asiatischen Steppen, Kanäle mit Binnenschiffen, waren der Weg über den die Pest mit Rattenflöhen nach Europa gelangte. Europa war mit Handelswegen eng vernetzt.



      Sie sehen, Globalisierung gab es schon und sie war der Schlüssel zur Verbreitung.

      • @Klaus Becker:

        Und was wäre Ihre Schlussfolgerung betreffs Globalisierung? Handelswege abbauen, einschl. derjenigen, die seit dem Mittelalter bestehen? Die Chinesen würden es uns nie verzeihen, wenn wir z. B. ihre „Neue Seidenstraße“ sperren würden, mit der Begründung, die Einwanderung weiterer Krankheitserreger zu verhindern!

  • Danke für den guten Artikel!

    Wir sollten die Tiere sehr viel mehr einfach in Ruhe lassen!

    Die Gefangenschaft in den meisten Zoos und Aquarien der Welt ist auch höchst zweifelhaft, besonders für höher entwickelte Säugetiere wie z.B. Menschenaffen.

    Wir wissen viel über Ernährung und Landwirtschaft und seit 1972 (Quelle wikipedia) kann Vitamin B12 künstlich hergestellt werden.



    Deshalb braucht es eigentlich keine Tierhaltung mehr! Sie ist rückwärtsgewandt.

    Mit einer solchen Pandemie habe ich schon seit vielen Jahren gerechnet, weil Experten seit Jahrzehnten darauf hinweisen, wie gefährlich die Massentierhaltung ist, weil dort äußerst günstige Bedingungen dafür herrschen, dass neue Krankheitserreger entstehen und auf den Menschen übergehen.

    Wenn ich mir anschaue, warum die Menschen Massentierhaltung betreiben/unterstützen, dann ...

    • @tsitra:

      Nur hat diese Pandemie ja nun nichts mit Massentierhaltung zu tun.

      Schuppentiere, Fledermäuse und Schleichkatzen finden Sie nicht in Massentierhaltung.

  • So ein shut down bringt auf jeden Fall bessere Luft für Städte und Provinz!



    Unsere Luftwerte sind zzt. phänomenal!

    Gerade lernen wir, was Entschleunigung bedeuten kann: Frust oder last chance...

  • 9G
    90118 (Profil gelöscht)

    ein tier gehört nur sich selbst.



    es ist keine ware. was also soll ein (wild-) tier überhaupt auf einem markt?



    eine ethik mit einer solchen randbedingung wäre human, sicher und ernährungsphysiologisch wertvoll ;)

  • Hausgemachter Schlamassel

    Danke der Redaktion für diese überfällige Klarstellung in der endlosen, ersichtlich am Kern vorbei gehenden Debatte um Ursachen und Schuldige der gegenwärtigen Giga-Krise. Im Umweltprogramm der Vereinten Nationen (UNEP) wird das schon lange so gesehen: „Krankheiten, die von Tieren auf Menschen übertragen werden, nehmen zu, da die Welt weiterhin eine beispiellose Zerstörung freier Lebensräume durch menschliche Aktivitäten erlebt“ (Doreen Robinson, Leiterin des Bereichs Wildtiere beim Umweltprogramm der Vereinten Nationen (UNEP). In seinem Bericht von 2016 verweist das UNEP auf die wachsende Bevölkerung und die verheerenden Auswirkungen des Klimawandels. Abholzung, Urbanisierung, Intensivierung der Landwirtschaft und Rohstoffgewinnung böten mehr Möglichkeiten für Krankheitserreger, von Tieren auf Menschen überzugehen.

    Etwa 60 Prozent der Infektionskrankheiten beim Menschen seien zoonotisch, ebenso wie 75 Prozent aller neu auftretenden Infektionskrankheiten, wobei Landnutzungsänderungen und -verschiebungen in der Agrarindustrie – einschließlich eines intensiveren Anbaus – die Haupttreiber seien, so das UNEP. „Landnutzungs- Änderungen wie der Bau von Straßen oder Städten, in denen früher Wälder waren, führen zu einer Kettenreaktion ökologischer, sozioökonomischer, menschlicher und regionaler Auswirkungen auf die Fauna, sagte Karen Saylors“, so Geschäftsführerin von Labyrinth Global Health, einer in Florida ansässige Forschungsorganisation.

    Ergo: Der ganze Schlamassel, dem wir jetzt ausgesetzt sind, ist ebenso hausgemacht wie der industriebedingte Klimawandel mit all seinen Implikationen. Diese Krise ist eine Krise des obwaltenden Wachstums- und Zivilisationsmusters. Corona-Pandemie und Zerstörung der natürlichen Umwelt sind zwei Seiten derselben Medaille mit denselben Wurzeln. (Vgl. World News Monitor, 13. 03. 2020)