Öffentlich-Rechtliche in Coronazeiten: Die Krisengewinner

In der Corona-Krise ändert sich das Mediennutzungsverhalten massiv. Es profitieren vor allem die Öffentlich-Rechtlichen.

Ein Kameramann mit Atemschutzmaske

Schutzkleidung in jedem Beruf Foto: Fabrizio Bensch/dpa

BERLIN taz | Nachrichten an der Spitze. Auf den Top-Plätzen der täglichen Quotencharts sind seit Wochen verlässlich die 20-Uhr-„Tagesschau“ und das „Heute journal“, auch das frisch erfundene ARD-extra zur Corona-Lage und andere öffentlich-rechtliche Informationsprogramme laufen gut. Und das bei den 14- bis 49-Jährigen, also denen, die ARD und ZDF angeblich schon fast vergessen hatten. Dazu kommen Gesamttraumquoten beinahe wie zu den seligen Zeiten, als es nur drei Programme gab und der Deutschlandfunk noch vorrangig für den Osten sendete.

Mehr als verdreifacht haben sich auch die Nutzungszahlen von tagesschau.de. Der Corona-Live-Ticker wird dort schon seit Mitte März rund um die Uhr bedient. Im März verzeichnete tagesschau.de im Durchschnitt rund neun Millionen Visits. Zum Vergleich: Im März 2019 lagen der sogenannte Tagesmittelwert bei gerade einmal 2,6 Millionen.

Bei den Angeboten des ZDF gibt es ähnliche Steigerungen, die einzelnen ARD-Anstalten haben ebenfalls alle zugelegt. Bei den Privatsendern kann nur RTL mithalten, weil sich die anderen schon länger aus dem nachrichtlich-journalistischen Geschäft, sagen wir mal höflich: teilverabschiedet haben. Doch selbst bei Sat.1 & Co. wird gesteigerter Output mit gesteigerter Nutzung belohnt.

Bei den aktuellen Glaubwürdigkeits-Charts sind die obersten Plätze ebenfalls schwer öffentlich-rechtlich belegt. Doch um es einmal ausdrücklich und mit Respekt zu sagen: RTL und n-tv machen gerade ebenfalls einen verdammt guten Job. Vor allem, wenn man berücksichtigt, dass sie ihr Geld durch Werbung verdienen, die in der Krise immer rarer wird. Doch so richtig einzahlen tut die Coronakrise auf die Öffentlich-Rechtlichen.

Mit Jogginghose in der Regie

Das Einzige, was ARD und ZDF noch fehlt, ist ein journalistisches Big-Brother/Sister-Format wie es die Kolleg*innen vom Österreichischen Rundfunk (ORF) mit ihrer Isolationsbereichs-WG haben. Auch wenn man mittlerweile den Eindruck bekommen könnte, Olaf Scholz wohnt bei Anne Will.

Ja, beim ORF wohnen sie auch im Sender. Und senden, was das Zeug hält. Die tröstlichste Nachricht der Woche war deshalb auch diese hier: Die meisten von denen, für die Osterdienstag schon Schluss mit der internen Isolation gewesen wäre, verlängern um eine Woche. Freiwillig. Und es tut gut, wichtige öffentlich-rechtliche Menschen in Jogginghose in der Regie stehen zu sehen und endlich mal wieder an den Basisgedanken jeder gleichberechtigten Demokratie erinnert zu werden: Auf Toilette müssen wir alle.

Endlich wissen wir ungefähr, wie es bei „3 nach neun“- ModeratorInnen zu Hause aussieht: Corona schafft eben auch kuriose Blüten der Nähe

Sterben auch, aber bitte nicht an Sars-CoV-2. Deshalb senden auch bei uns alle, die es können, aus dem Homeoffice. Und endlich wissen wir zumindest ein bisschen, wie es bei „3 nach neun“-Moderatorinnen und -Moderatoren zu Hause aussieht. Corona schafft bei aller erzwungenen Distanz eben auch kuriose Blüten der Nähe.

Der unbekannte Auftrag

So ganz klammheimlich macht sich der öffentlich-rechtliche Rundfunk auch an das, was man den unbekannten Teil seines Auftrags nennen könnte. Als vor ein paar Jahren WDR-Programmdirektor Jörg Schönenborn von einer „Demokratieabgabe“ sprach und den Rundfunkbeitrag meinte, erntete er nur Hohn und Spott. Doch eigentlich hatte der oberste Wählerwanderungsanalytiker der ARD, der aufgrund einer vermutlich in jungen Jahren erfolgten schlimmen Verwechslung auch Koordinator der TV-Filme im Ersten der ARD ist – recht. Ja, wirklich. Zum Auftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunk gehört nämlich, die FDGO (freiheitlich-demokratische Grundordnung) zu stützen und zu verteidigen sowie die öffentliche Ordnung aufrechtzuerhalten. Was das niedliche „Fury in the Slaughterhouse & Freunde“-Neueinspiel von „Time to wonder“ im Auftrag von WDR 4 vielleicht noch in einem weiteren, anderen Lichtlein leuchten lässt.

Um jeglichem Missverständnis vorzubeugen: Das geht völlig in Ordnung, solange neben solcher gesamtgesellschaftlicher Verantwortung zwei entscheidende Bereiche des öffentlich-rechtlichen Rundfunkauftrags ebenfalls bedient werden. Erstens müssen weiterhin Regierungshandeln und Politik allgemein hinterfragt, analysiert und kritisiert werden. Und zweitens müssen auch nicht mehrheitliche Interessen und Meinungen zu Wort kommen. Das müsste von den Sendern bzw. ihren Verantwortlichen nur etwas deutlicher gesagt werden. Schon deswegen, weil es sonst wieder so verdruckst daherkommt und denen in die Karten spielt, die behaupten, Olaf Scholz sei auch deswegen so oft bei „Anne Will“, weil Angela Merkel ja die Meldungen für die „Tagesschau“ schreiben müsste.

Nein, kein*e Politiker*in schreibt den Sendern oder Zeitungen vor, was sie zu berichten haben. Dass man von Amts wegen für etwas jeden Monat demnächst 18,36 Euro berappen soll und das Ganze nicht auch dafür zuständig wäre, den Laden am Laufen zu halten, wäre andererseits doch auch verkehrte Welt.

Hier irrt denn auch der hoch geschätzte Ottfried Jarren. Der zuletzt in der Schweiz lehrende Medienwissenschaftler hatte im Fachdienst epd medien die Corona-Berichterstattung des öffentlich-rechtlichen Fernsehens in Deutschland kritisiert. Besonders aufgestoßen war Jarren, dass sich die Öffentlich-Rechtlichen nun als „systemrelevant“ titulieren ließen bzw. sich teilweise selbst so bezeichneten. Doch laut Jarren sei der öffentlich-rechtliche Rundfunk „keine kritische Infrastruktur. Wäre er es, würde er von staatlicher Seite eingehegt und bewacht werden müssen. Der öffentliche Rundfunk ist eine unabhängige gesellschaftliche Institution“. Der letzte Satz stimmt.

Dass aber ein System, das mit einem aus mehreren Urteilen des Bundesverfassungsgerichts ableitbaren Verfassungsrang nicht „systemrelevant“ bzw. nicht Teil einer gesamtgesellschaftlichen „kritischen Infrastruktur“ sein soll, überzeugt nicht. Wie sonst ließe sich seine Finanzierung durch den Rundfunkbeitrag rechtfertigen? Und dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk nicht „staatlich eingehegt und bewacht“ wird, kann man trefflich anders sehen. Da genügt nach wie vor meistens schon der Besuch einer x-beliebigen Rundfunk- oder Fernsehratssitzung.

Womit wir endlich beim Thema wären: Was macht eigentlich die Medienpolitik? Sie hat die geplante Reform des öffentlich-rechtlichen Systems und seiner Finanzierung überwiegend verstolpert. Ja, es gibt Fortschritte beim „Medienstaatsvertrag“, der ARD, ZDF und Deutschlandradio neue, erweiterte Möglichkeiten im Netz eröffnet. Sie waren lange überfällig. Und sind schon jetzt durch die Coronakrise und die in ihr freigesetzte Kreativität auch in den Anstalten teilweise schon wieder überholt. „Dass wir das noch erleben dürfen!“, möchte man da mit Blick auf die normative Kraft des Faktischen rufen.

Bei der Finanzierung, wo lange um die Kopplung des Beitrags an einen Index gerungen wurde, blieb de facto aber erstmal alles beim Alten: Die Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs der Rundfunkanstalten (KEF) hat gerechnet und ihre Empfehlung abgegeben. Und die Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten der Bundesländer haben sich auf eine Erhöhung des Rundfunkbeitrags um 86 Cent auf 18,36 Euro ab 2021 geeinigt. Das Ganze passierte schon zu Coronazeiten am 12. März. Auch die jetzt noch ausstehende Ratifizierung dieses Beschlusses durch die 16 Landtage gilt als Formsache. Sars-CoV-2 hat damit der Medienpolitik in die Hände gespielt, die um eine heftige Auseinandersetzung in den Parlamenten herumkommt.

Die bekannten Kritiker

Denn es war mitnichten nur die AfD, die hier ganz anderes im Schilde führte und führt. Auch weite Teile der Union, vor allem in Bayern und im Osten, sowie die FDP wollten dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk eigentlich ans Leder. Der Pragmatismus der Krise bedeutet aber auch, dass diese Auseinandersetzung nicht vom Tisch ist. Spätestens nach Ablauf der nächsten, vierjährigen „Beitragsperiode“ Ende 2024 geht es wieder los. Wer wissen will, was das bedeuten kann, muss sich bloß aktuell mit den Plänen der britischen Konservativen in Sachen BBC beschäftigen.

Doch auch hier lässt sich die Krise als Chance begreifen: Corona und der gesellschaftliche „Lockdown“ verändern gerade noch mal massiv das Mediennutzungsverhalten der Menschen, Produktions- und Arbeitsweisen der Medien und ihrer Macher*innen und vor allem die wirtschaftlichen Verhältnisse im Medienbetrieb. Nach Corona wird nichts mehr so sein, wie es war. Wenn das dann als Startschuss für eine echte gesellschaftliche Debatte über die Rolle von Medien und Journalismus an sich und des öffentlich-rechtlichen Systems im Besonderen wird, haben wir erstaunlicherweise fast alles richtig gemacht. Wenn sich ARD, ZDF & Co. ihre neue Kreativität und Flexibilität erhalten, müssen sie davor nicht mal Angst haben.

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