Medien in Coronakrise: Nutzerboom, Einnahmenflop
Medienhäuser protzen derzeit mit Gratisangeboten – jedenfalls die, denen es gut geht. Denn während die Zugriffszahlen steigen, sinken die Erlöse.

„Tagesschau“ vom 22. März 2020 Foto: Karl-Josef Hildenbrand/dpa
BERLIN taz | Deutschland sitzt zu Hause. Und der Medienkonsum geht durch die Decke. Zugriffe auf Nachrichtenplattformen und Online-Ausgaben der Zeitungen verdoppeln oder -dreifachen sich, die „Tagesschau“ hat 40 Prozent Marktanteil, und Gruner+Jahr stellt bis Ende April die E-Paper-Ausgaben von Stern, Brigitte und Gala kostenlos ins Netz. Chefkoch nicht zu vergessen, schließlich macht immerhin gutes Essen die Isolation etwas erträglicher. Von daher, lieber Jahreszeiten-Verlag, wo bleibt eigentlich der Feinschmecker? Kindle, Amazon und Audible werfen mit Gratis-Hörbüchern um sich, die Liste wird sich fortsetzen.
Kleiner Schönheitsfehler: Es sind die solventen oder anderweitig finanziell abgesicherten Medien, die sich so etwas leisten können. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk gehört dazu, genauso wie Gruner+Jahr. Der in den vergangenen Jahren unter Schmerzen sanierte Magazindampfer aus Hamburg hat den Bertelsmann-Konzern im Rücken. Bei allem Altruismus à la Verantwortung für die Gesellschaft regiert hier auch die Hoffnung, nach Corona ein paar Neukund*innen zu gewinnen.
Blöderweise sind die Auswirkungen der Pandemie eher paradox. Die Nutzungszahlen sind im Aufwind, keine Frage. Bei den Einnahmen sieht es aber eher so aus wie bei den meisten Drogeriemärkten im Klopapierregal. Ja, die Online-Nutzung, zum Beispiel von Zeitungen im Netz, steigt. Wer aber erwartet, dass die Einnahmen aus der Online-Werbung auch nur ansatzweise Schritt halten, glaubt wahrscheinlich auch, dass Corona planmäßig mit Ende der Osterferien vorbei ist.
Denn tatsächlich gehen die Einnahmen zurück. Erstens, weil wegen des gesellschaftlichen Shutdowns gar nicht mehr so viel geworben wird. Und zweitens wollen die, die noch werben, ihre Anzeigen ungern direkt im Umfeld von Hiobsbotschaften rund um Corona sehen. Das gilt nicht nur für Online. Auch bei den deutschen Privatsendern werden Zugriffsrekorde vermeldet. Gleichzeitig schlägt ihr Cheflobbyist Alarm: Die Einnahmen seien teilweise existenzbedrohend eingebrochen, so Hans Demmel, Chef des Privatsenderverbands Vaunet.
Womit wir beim nächsten Schaden in der Krise wären, für den Corona mal so gar nichts kann. Der Bedarf an guten Journalist*innen ist ungebrochen. Um so beschämender ist, dass nun tatsächlich erst mal kein weiterer 14. Jahrgang der Evangelischen Journalistenschule (EJS) ausgeschrieben wird – dies hat der Rat der EKD am Freitag „zustimmend zur Kenntnis genommen“. Der letzte Jahrgang sitzt gerade im Homeoffice und arbeitet am Reportagemagazin Einsichten. Mit solchen scheint es bei der evangelischen Kirche mit Blick auf ihre gesellschaftliche Verantwortung nicht weit her zu sein.
Leser*innenkommentare
Philippe Ressing
Was lernt uns das? Nicht von kommerziellen Zwängen abhängige Medien sind für Demokratie und Gesellschaft unabdingbar. Daher brauchen wir durch eine Abgabe aller haushalte finanzierte öffentlich-rechtliche Medien. Das Gejammere des Vaunet-Funktionärs ist durchsichtig, die Medienkonzerne (Bertelsmann, Funke, Springer und Co) kassieren fette Renditen, dürften aber bald bei der Bundesregierung um finanzielle Unterstützung betteln. Das Aus für die Journalistenschule der EKD hat mit der aktuellen Krise nichts zu tun, die Kirche verabschiedet sich aus der gesellschaftlichen Verantwortung für die Medien schon seit längerem. Das Werbetreibende ihre Anzeigen nicht in negativem publizistischen Umfeld sehen wollen - ein alter Hut. In den 80ern gab es in einem Werbfachblatt eine Anzeige einer Agentur - Foto: Steinewerfer neben Luxusartikel-Anzeige. Text dazu: "Wir schützen sie vor Umfeldverschmutzung".