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AfD-Angriffe auf Fridays for FutureKlimakids gehören nicht zum „Volk“

Timm Kühn
Kommentar von Timm Kühn

Die AfD arbeitet sich besonders an Fridays for Future ab – denn die Klimabewegung stellt ihr Volkskonzept infrage.

Auf dem Kieker der AfD: Fridays-for-Future-AktivistInnen mit Greta Thunberg Foto: Gian Ehrenzeller/KEYSTONE/dpa

S eit über einem Jahr streiken die Schü­ler*in­nen von Fridays for Future gegen das als mangelhaft empfundene Handeln in der Klimapolitik. Doch am anderen Ende des klimapolitischen Spektrums, bei der AfD, sieht man die Gefahren ganz woanders.

Hier erscheint als die wahre Bedrohung, dass die Politik bereits eine Verschwörungspolitik betreibe. Für den AfD-Bundestagsabgeordneten Karsten Hilse dient Klimapolitik vornehmlich zwei Zielen: „Erstens das Volk noch effektiver auszuplündern und zweitens die Gesellschaft in eine ökosozialistische Diktatur zu transformieren“. Dabei sieht Hilse die Klimastreiks als Teil einer „professionell durchgezogenen Kampagne“, in der Politik und Streikende auf derselben Seite stehen.

Gerade an Fridays for Future (FFF) scheint sich die AfD besonders aufzureiben. Aber wieso? Die AfD erklärt den Aktivismus dieser Bewegung in drei möglichen Formen. Zunächst könne FFF, so MdB Andreas Bleck, nur gegen die eigenen Interessen demonstrieren: „Während viele Kinder freitags gegen die deutsche Automobilindustrie demonstrieren, müssen viele Väter, die bei Mercedes-Benz, BMW oder Volkswagen gearbeitet haben, montags stempeln gehen.“

Weiter geht die AfD dazu über, hinter den Schü­le­r*innen deren Eltern und, eigentlich, den Staat zu vermuten. Der AfD-Hausphilosoph Marc Jongen vermutet bei Greta Thunberg gar ein „ex­tre­mis­tisches Elternhaus“. Ihr Vater sei „nicht zufällig ein Drehbuchschreiber und Manager“. Im Zweifelsfall zeigt sich die AfD auch bereit, das Engagement von FFF anhand von Kriterien geistiger Gesundheit anzugreifen. So wird Greta Thunberg im Bundestag als „krankes Kind“ und als „zeichenhaft“ für „eine infantile Politik“ beschrieben.

Timm Kühn wurde in Berlin geboren. Er studiert Politikwissenschaften an der Freien Universität. Er befasst sich insbesondere mit Demokratie, Populismus und Neoliberalismus.

Warum versucht die AfD um jeden Preis, FFF zu verleumden? Die Antwort liegt in der Volkskonzeption des rechtsextremen Populismus begründet – und wir sollten lernen, diese kritisch zu verstehen, wenn uns an der Demokratie etwas liegt.

Reines Volk vs. korrupte Elite

Denn Rechtspopulisten sehen einen tiefen Antagonismus, der die Bevölkerung in ein moralisch reines, homogenes Volk und in eine parasitäre und korrupte Elite spaltet. Außerdem bestehe eine unheilige Allianz zwischen Eliten und gesellschaftlichen Minderheiten. Das wahre Volk befinde sich im Zangengriff zwischen Elite und Minderheiten, drangsaliert und ausgebeutet von allen Seiten.

Doch wer ist dieses wahre Volk? Jedenfalls kann es nicht identisch mit der Menge der im Staat lebenden Menschen sein, denn die das Volk ausbeutenden Eliten und Minderheiten können unmöglich zum Volk dazugehören. Mit dem französischen Philosophen Claude Lefort gilt also, dass das wahre Volk erst geschaffen werden muss, indem es aus der breiten Bevölkerung extrahiert wird.

Außerdem baut der Rechtspopulismus auf der Vorstellung von einem einheitlichen Volk und einem kollektiven Volkswillen auf. Doch genau diese Einheitlichkeit ist es, die in der ­pluralistischen Gesellschaft nirgendwo auszumachen ist. Denn schließlich ist es der Kern der Demokratie, dass die unterschiedlichen Überzeugungen verschiedener Gruppen als legitim anerkannt werden.

Irgendwie müssen die Rechtspopulisten nun aber erklären, wohin die eigentliche Einheitlichkeit des Volkes verschwunden ist. Dies bezeichnet der Politikwissenschaftler Jan-Werner Müller als die Suche nach der „Erklärung des Unerklärlichen“: Wenn die Rechtspopulisten die Stimme des wahren Volkes sind, warum steht das Volk dann nicht geeint hinter der rechtspopulistischen Partei?

Die Antwort kann für die Rechtspopulisten wieder nur bei den Eliten liegen. So zeigt sich für die AfD gerade am Beispiel der Klimapolitik, wie Wissenschaften, NGOs, Medien und die „ganz große Koalition von der Linkspartei bis zur CSU“ (Markus Frohnmaier, MdB) einen in den Worten von Karsten Hilse „ökoindustriellen Komplex“ bilden, der permanent versucht, den wahren Volkswillen zu korrumpieren und zu partikularisieren.

Jeder Bürger, der sich gegen die AfD äußert, muss aus ihrer Sicht als Kollaborateur der Eliten und Verräter des Volkswillens angesehen werden.

Diese Vorstellung hat Folgen: So muss jeder Bürger, der sich gegen die rechtspopulistische Partei äußert, als Kollaborateur der Eliten und Verräter des Volkswillens angesehen werden. Denn es gibt kein wahres und ethnisch reines Volk, weshalb die Volkszugehörigkeit in der Praxis blitzschnell zur politischen Kategorie wird. Wer sich gegen die Rechtspopulisten auflehnt, fliegt aus dem Volk raus.

Dies erklärt, warum die AfD so krampfhaft versucht, FFF zu diskreditieren: Denn hier handelt es sich um eine Gruppe von Akteuren, die als mehrheitlich deutsch gelten muss und auch noch aus Kindern besteht, was eine Zuordnung zu den globalen Eliten äußerst unglaubwürdig macht. Nach jeder herkömmlichen Definition sollte FFF also zum Volk gehören, doch da die Schü­ler­aktivist*innen der AfD widersprechen, können sie keinen Teil des rechtspopulistischen Volks darstellen, das sich vornehmlich entlang politischer Überzeugung rekrutiert.

Hier ist das entscheidende antidemokratische Moment zu finden: Für die AfD kann es keine legitimen politischen Kontrahenten geben, weil jeder Ausdruck von Pluralismus als Teil einer elitären Verschwörung angesehen wird, aus der nur die AfD selbst einen Ausweg darstellen kann: als einzige Akteurin, die die Verschwörung überhaupt erkennt.

Was bedeutet das alles? Erstens, dass wir den rechtsextremen Populismus endlich ernst nehmen müssen. Weder moralische Totschlagargumente noch No-Platforming werden die AfD verschwinden lassen. Wir müssen lernen, ihre innere Logik zu verstehen, um diesen gedanklichen Teufelskreis aufzulösen. Darüber hinaus kann es aber auch kein Zurück zu einem populismusfreien Status quo geben. Es gilt, den Rechtspopulismus als Symptom einer tiefer liegenden Problematik zu begreifen – als Teil eines weltweiten „Backlashs“ gegen die neoliberale Globalisierung und den Kapitalismus.

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Timm Kühn
Redakteur
Schreibt seit 2020 für die taz über soziale Bewegungen, Arbeitskämpfe, Kapitalismus und mehr.
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12 Kommentare

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  • Nun ja. Es gibt eine Große Koalition aus CDU/CSU und SPD, die "Klimaschutz" betreiben will und zu diesem Zweck eine Energiewende und eine Verkehrswende durchführt. Die Grünen und die Linkspartei wollen das auch, fordern aber weitergehende Maßnahmen. Das tut auch FFF. Und alle berufen sich dabei auf die Wissenschaft. Das ist keine Verschwörung, aber es zu benennen, ist auch keine Verschwörungstheorie.

    Und natürlich gibt es Gewinner und Verlierer der Klimapolitik. Die AfD versucht, sich als Interessenvertreter tatsächlicher und vermeintlicher Verlierer der Klimapolitik zu profilieren, z. B. mit Wahlwerbesprüchen wie "Rettet den Diesel". Der im Artikel zitierte Karsten Hilse sagt in der verlinkten Fundstelle, die AfD sei die einzige Partei im Bundestag, die sich gegen die "Klimahysterie" stelle. Und natürlich tut die AfD so, als sei die Bevölkerungsgruppe, deren Interessen sie artikulieren will, das "Volk", wenn sie vor steigenden Strompreisen oder Arbeitsplatzverlusten infolge der Klimapolitik der Regierung warnt.

    Nur: Das ist doch dasselbe wie bei jeder anderen Interessenpolitik hierzulande. In Deutschland hat es eine lange unselige Tradition, dass jeder, der politisch irgendetwas durchsetzen will, behauptet, seine Politik komme der gesamten "Gesellschaft", der "Gemeinschaft", dem "Volk" oder gar der "Menschheit" zugute. Auch die eine "Klimaschutzpolitik" betreibenden Parteien nehmen für sich in Anspruch, damit im Interesse aller zu handeln, oder nicht?

    Der Autor meint, es sei "der Kern der Demokratie, dass die unterschiedlichen Überzeugungen verschiedener Gruppen als legitim anerkannt werden." Das stimmt. Aber jeden, der aus der Reihe tanzt und gegen bestimmte Prognosen zum Klimawandel oder gegen die "Klimaschutzpolitik" Einwände erhebt, als "Klima(wandel)leugner" und/oder als Menschheitsfeind zu ächten, wie es hierzulande inzwischen in Politik und Medien weitgehend üblich ist, ist strukturell letztlich nichts anderes als das, was der Autor der AfD vorwirft.

    • @Budzylein:

      Da ist ein krasser Unterschied: Die "Völkischen" schließen Menschengruppen wegen ihrer Herkunft oder Meinung vom "Volk" aus und wollen sie einsperren oder aus Deutschland verjagen. Die demokratische Mehrheit in diesem Land ächtet die AfD, akzeptiert aber, dass jeder in diesem Land auch die Freiheit hat, Unsinn zu reden, solange er nicht Hass predigt.

  • Wir müssen verstehen und den Teufelskreis auflösen. Aha. Und wenn ich das verstanden habe (was eigentlich nicht sehr schwer ist), löse ich das wie auf? Der Hutbürger als solcher lässt sich bestimmt sofort überzeugen. Nicht. Der hält mich für eine linksgrün versiffte Marionette der Altparteien und Eliten

  • Finde den Artikel inhaltlich gut, frage mich aber ob Dünnbrettbohrer wie Hilse und Konsorte es verdient haben die mediale Aufmerksamkeit zu bekommen die sie leider zu oft bekommen.



    Dass die AFD klimapolitisch auf lachhaft unterirdischem Niveau aggiert ist bekannt. In "noch" Ermangelung der Flüchtlingswelle müssen jetzt die Klimaaktivisten als Feinbild herhalten. Ohne Feindbilder müsste man ja selbst auf Ideen kommen und das wäre echt schwer für viele AFDler.

    • @Opossum:

      "Es gilt, den Rechtspopulismus als Symptom einer tiefer liegenden Problematik zu begreifen – als Teil eines weltweiten „Backlashs“ gegen die neoliberale Globalisierung und den Kapitalismus."



      Völlig richtig! Jedoch blasen auch andere Akteure aus anderen Richtungen in das gleiche Horn. Die Afd und andere rechte Parteien und Gruppierungen als Gegner von Globalisierung anzusehen, gelingt nur, wenn man dabei deren Gesinnung zum unbedingten Nationalstaat betont und das ist eine politische, keine ökonomische Haltung wie es bei bei enderen Gruppen oder Strömungen zu Tage tritt. Gleiches gilt für den Neoliberalismus.

    • @Opossum:

      Die Frage mit der medialen Aufmerksamkeit habe ich mir auch gestellt. Informationen über diese Partei und ihre Ansichten müssen klar und deutlich öffentlich gemacht werden aber jede einzelne Nase aus der zweiten oder dritten Reihe bei denen ist es nicht wert, auch noch namentlich genannt zu werden.

  • Schade ist nur, dass in dieser klugen Analyse der AfD Populismus als "rechtsextrem" und nicht als faschistisch bezeichnet wird. Ich erkenne da kaum einen Unterschied.

  • Guter Artikel.



    TAZ zahl ich.

  • Schulterzuck ... Die AfD sammelt - neben Faschos und anderen Rechtsextremisten - auch Spinner, Wirrköpfe und VT-Anhänger ein. Das gehört zum Existenzprinzip dieser Partei. Und liest man sich die diversen "Manifeste" der diversen rechtsextremistischen Mörder der letzten Jahre durch, haben alle eine Gemeinsamkeit: Die Statements der Rechtspopulisten überall auf der Welt werden nur "zuende gedacht".

  • was soll denn ein globaler "backlash" sein?hätte man das nicht anders formulieren können oder zumindest erklären?wirkt aufjedenfall auf ne blöde art elitär den artikel mit nem verweis auf " .. " zu schliessen. ein altes symptom in modern .. die leserschaft verhöhnen mit unnötigen fremdwörtern

    • @wompastomp:

      Zu Backlash: [1]. Nun liegt alles offen herum und ist auch noch kostenlos. Da wird Bildung zur Pflicht. Nicht jammern, lesen.

      Und überhaupt: Thema verfehlt. Der Kommentar ist durchaus wertvoll, Sie lenken nur vom Kern ab.

      [1] de.wikipedia.org/wiki/Backlash

    • @wompastomp:

      Wikipedia:



      Als Backlash (deutsch „Gegenschlag, Rückschlag“) ist eine Bezeichnung für Bestrebungen, die gegen als fortschrittlich erachtete Entwicklungen gerichtet sind sowie die Rückkehr konservativer Wertvorstellungen und Stärkung solcher politischer Kräfte.