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Hennig-Wellsow über das Thüringer Chaos„Taktieren bis zum Rücktritt“

Rot-Rot-Grün will jetzt schnellstmöglich eine neue Regierung wählen, sagt die Thüringer Linkspartei- und Fraktionschefin Susanne Hennig-Wellsow.

Susanne Hennig-Wellsow mit dem Moment des Jahres 2020, als sie Blumen auf den Boden pfefferte Foto: Landtag Thüringen/dpa
Pascal Beucker
Interview von Pascal Beucker

taz: Frau Hennig-Wellsow, haben Sie sich inzwischen von dem Schock vom Mittwoch erholt?

Susanne Hennig-Wellsow: Davon kann man sich nicht so schnell erholen. Auch wenn wir uns die größte Mühe gegeben haben, die Nerven zu behalten und handlungsfähig zu bleiben, war das doch ein tiefgehender Schock für uns als Demokraten und Parlamentarier. Dass die FDP und die CDU in Thüringen so skrupellos den Pakt mit dem Faschismus eingegangen sind, hätten wir nie erwartet.

Nach seiner Wahl haben Sie Thomas Kemmerich einen Blumenstrauß als „Gratulation“ vor die Füße geworfen, weil Sie die Einhaltung des Protokolls nach solch einem Tabubruch nicht für angemessen hielten. Hat sein Rücktritt Sie jetzt wieder etwas versöhnt?

Nein, überhaupt nicht. Er hat den Tabubruch vollzogen, das ist unverzeihlich. Wir wissen alle nicht, was das noch für Auswirkungen auf andere Bundesländer oder die Bundesrepublik als Ganzes hat.

Aber immerhin ist er ja jetzt wieder abgetreten.

Das war ein übles Taktieren bis zum sofortigen Rücktritt. Auch diesen Schritt unternahm er nur gezwungenermaßen. Nicht aus menschlicher Größe und als Frage der Moral, sondern nur weil der Druck von außen wiederum zu groß geworden ist.

Wie geht es jetzt weiter in Thüringen?

Wir wollen schnellstmöglich eine Regierung wählen, damit Thüringen keinem weiteren Stillstand ausgesetzt ist. Rot-Rot-Grün steht gemeinsam zu Bodo Ramelow als Kandidaten für die Ministerpräsidentenwahl. Er wird allerdings nur antreten, wenn wir wissen, dass wir eine demokratische Mehrheit im Parlament haben.

Bild: dpa
Im Interview: Susanne Hennig-Wellsow

Jahrgang 1977, ist Landes- und Fraktionsvorsitzende der Linkspartei in Thüringen. Die Diplompädagogin war in ihrer Jugend Leistungssportlerin (Eisschnelllauf). Seit 2004 gehört die gebürtige Demminerin dem Thüringer Landtag an.

Woher soll die kommen? Rot-Rot-Grün hat nach wie vor nur 42 Stimmen, zur absoluten Mehrheit fehlen also weiterhin vier Stimmen.

Wir haben die Gespräche mit der CDU wieder aufgenommen. Wenn wir uns aber nicht sicher sein können, dass Ramelow mindestens 46 Stimmen erhält, dann werden wir auf Neuwahlen orientieren.

Das Bundespräsidium der CDU hat am Freitag beschlossen, weil Ramelow offensichtlich keine Mehrheit im Landtag hätte, sollten Grüne und SPD einen Kandidaten oder eine Kandidatin für das Ministerpräsidentenamt aufstellen. Was halten Sie davon?

Ich halte das für ein sehr durchsichtiges Ablenkungsmanöver von dem desaströsen Zustand der CDU auf Bundes- und Landesebene. Sowohl SPD als auch Grüne haben von Anfang klar gesagt, dass wir gemeinsam zu Bodo Ramelow stehen. Daran hat sich nichts geändert, denn wir sind uns mit unseren Koalitionspartnern einig, dass wir mit Bodo Ramelow eine Persönlichkeit haben, die äußerst beliebt in Thüringen ist. Deshalb sollte er auch so schnell wie möglich wieder Ministerpräsident werden.

„Er hat den Tabubruch vollzogen“ Foto: Martin Schutt/dpa

Sie haben unmittelbar nach der Skandalwahl am Mittwoch vorgezogene Landtagsneuwahlen gefordert. Gilt das immer noch?

Wenn wir nicht die Regierung bilden können, die wir eigentlich schon am Mittwoch bilden wollten, dann dürfte es zügig Neuwahlen geben. Wir scheuen uns nicht davor.

Aber auch wenn es die von Ihnen angestrebte rot-rot-grüne Minderheitsregierung mit Verspätung bald geben sollte: Wollen Sie dann einfach weiterregieren, als sei nichts gewesen? Sollte den Thüringerinnen und Thüringern nicht die Chance gegeben werden, an der Wahlurne ihr eigenes Urteil über den Tabubruch der „bürgerlichen“ Parteien zu fällen?

In den aktuellen Umfragen sind wir deutlich im Aufwind. Da liegt Rot-Rot-Grün im Moment bei 53 Prozent. Also gäbe es für uns keinen Grund, da zögerlich zu sein. Trotzdem glaube ich, dass wir erst mal den Auftrag erfüllen müssen, eine stabile Regierung zu bilden. Aber es ist alles im Fluss. Man kann übrigens auch aus der Regierung heraus geordnet Neuwahlen angehen. Wenn es beim Haushalt oder in zentralen Sachfragen eine schwarz-gelb-braune Blockademehrheit geben sollte, würde es ohnehin keinen Sinn mehr machen, nicht auf Neuwahlen zu setzen.

In ihrem am vergangenen Dienstag unterzeichneten Regierungsvertrag haben SPD, Grüne und Ihre Partei die CDU und die FDP zur Zusammenarbeit eingeladen. Halten Sie das jetzt noch für möglich?

Nicht in einer institutionellen Art, dafür ist zu viel geschehen. Mit den gegenwärtigen Fraktionsführungen von CDU und FDP wird das nicht stattfinden. Wer mit Faschisten gemeinsame Sache macht, mit dem können wir nicht zusammenarbeiten. Dabei bleibt es. Es ist tatsächlich unverzeihlich, was da passiert ist. Aber das heißt ja nicht, dass es nicht doch noch genug einzelne Abgeordnete aus beiden Parteien gibt, die die Vorgänge der vergangenen Tage zu einem grundsätzlichen Umdenken gebracht hat.

Wann wird Bodo Ramelow wieder Ministerpräsident von Thüringen sein?

Ich hoffe, noch in diesem Monat.

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18 Kommentare

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  • 8G
    80576 (Profil gelöscht)

    Hm, wenn sich jetzt Ramelow mit Stimmen aus CDU und FDP wählen ließe, wäre das dann unproblematisch? Sich wählen lassen von Paktierern mit Faschisten?

  • Wie zu erwarten war heute die erste Meldung (focus): Die AfD wird geschlossen für Ramelow stimmen - damit der die Wahl ablehnt. Die AfD wird dieses Verfahren in Zukunft anwenden, wo und wann immer es geht - es geht ihr darum die "etablierten" Parteien und die GG-Demokratie lächerlich zu machen und jeden denkbaren Gegenkandidaten zu desavouieren bzw. durch character assassination zu "verbrennen"..



    Die Ost-CDU und noch vorhandene Fragmente der FDP werden - im Chor mit der "Werteunion" nicht nachlassen bei dem Bestreben, mit der AfD die pöhsen Linken zu verhindern - die glauben wirklich, sie könnten sich Höcke und Co. "engagieren". Das ist schon mal schiefgegangen. Es fragt sich, ob das Verhalten der AfD (eigenen Kandidaten hinstellen und ihn dann mit NULL Stimmen zu wählen) nicht doch ein Fall für das BVerfG ist.

    • @borderline:

      Die Linke sollte Enthaltungen in Höhe der Zahl der AFD-Abgeordneten abgeben - in den ersten beiden Wahlgängen.



      Im dritten dann komplett für Ramelow stimmen, so reicht es in jedem Fall und die AFD-Stimmen können nichts entscheiden.

  • Warum wird der Ministerpräsident für Thüringen nicht einfach von den Parteiführungen auf Bundesebene eingesetzt oder gleich von der Kanzlerin ? Wäre doch einfacher.

  • Nuewahlen sind der einzige Weg, dem Bürger das Recht zu geben über den Skandal zu entscheiden. Eine Minderheitsregierung von CDU-Gnaden bedeutet Erstens eine permanente Hängerpartie und Zweitens inhaltliche Zugeständnisse an die Konservativen und eine SPD bzw Grüne, die durchaus auch auch andere Koalitionen im Visier haben könnten. Was nutzt der Gute König Ramelow, wenn die Politik inhaltlich profillos wird? Das zeigt Papa Kretschmann in Baden-Württemberg, Uweltschutz wird Daimler geopfert, Stuttgart 21 brav weitergebaut, Flüchtlinge abgewehrt. Und mit der Hardlinerin Eisenmann - die heißt wirklich so - will die CDU bei der nächsten Wahl den alten Mann vom Thron stürzen. Das sollte sich die Linke in Erfurt mal durch den Kopf gehen lassen....

  • Sie hat den Blumenstrauß nicht "... auf den Boden gepfeffert" sondern ihn schlicht fallen lassen. Sie war nicht wütend, sie war tief geschockt.

  • Wir haben die Gespräche mit der CDU wieder aufgenommen.

    Die Fraktion hat also die Gespräche mit Leuten die nicht nur im Vorfeld logen, dass sich die Balken biegen, sondern dann auch noch mit Faschisten paktieren wieder aufgenommen.

    Ist das Blöd- oder Machtgeilheit?

    • @Duckunwech:

      Tja so ist das in der Demokratie halt... man MUSS miteinander reden. Man kann nicht so lange wählen lassen bis man eine bequeme Mehrheit hat

  • Meine Anerkennung für Frau Hennig-Wellsow und ihre entschlossene, selbstbewußte und klare Haltung.

  • Gauland hat bereits angekündigt. Seine Thüringer Freunde sollen Ramelow wählen.



    Wenn sich dabei einer enthält, kann man es der CDU unterjubeln.

  • Legenden, Legenden. Es gab keinen "Pakt" mit der AfD, keine Zusammenarbeit und keine Zusagen seitens der FDP und CDU. Das hat RRG ganz schön gedreht, und alle - Medien, CDU, FDP - sind darauf hereingefallen.

    Jetzt auch noch die Wahl von Ramelow mit CDU/FDP-Stimmen zu fordern, ist ein starkes Stück, sozusagen die ultimative Demütigung des politischen Gegners.

  • 8G
    82286 (Profil gelöscht)

    Es gäbe die Möglichkeit eines sehr fairen Handelns:



    Bodo Ramelow wird durch Enthaltung der CDU MP.



    Die dadurch defakto wieder in Regierungskraft RRG verspricht (kann es mehr sein?) nach frühestens 12 Monaten (also wenn sich der Staub gelegt hat) durch ein vertrauensvolles(*) Mißtrauensvotum Neuwahlen anzustreben.



    * Vertrauen (das muß wieder hergestellt werden.)

  • RS
    Ria Sauter

    Ist das nicht sehr naiv auf die Zusagen der CDU bei der Wahl zu vertrauen?Mir wird übel bei dem Gedanken. Das geht nicht gut aus.



    Lasst die Thüringer wählen.

    • 6G
      68514 (Profil gelöscht)
      @Ria Sauter:

      Ich würde es mal so sagen: es geht für die Zukunft darum, eine Zusammenarbeit zwischen den Parteien CDU, Linke, SPD, Grüne, FDP, CSU und Piraten sowie Wählervereinigungen, die unter dem Begriff Freie Wähler auftreten, hinzubekommen (hier müßte ich noch viel mehr Parteien und Wählervereinigungen aufzählen, aber definitiv keine solche wie z.B. AfD und NPD). Und das ohne verordnete ideologische Schranken. Erst dann wird eine wirkliche konstruktive Zusammenarbeit möglich. Die bisherige Herangehensweise ist nicht mehr zeitgemäß. Und der jetzige Landtag ist genau dafur geschaffen, dies anzugehen. CDU und FDP haben die Landtagswahl nicht gewonnen und müssen sich endlich auch entsprechend verhalten, ohne Taschenspielertricks. Im Interesse des Landes muß jetzt zügig der MP gewählt werden. In diesem Fall steht als einziger akzeptabler Kandidat nur Ramelow zur Verfügung. Wenn es sich herausstellen sollte, daß Neuwahlen nötig sind, dann soll es auch so sein. Linke, SPD und Grüne stehen dem nicht entgegen.

    • @Ria Sauter:

      In Jena demonstrierten heute die Studenten für Neuwahlen. Das fände ich auch das Beste.

      Ramelow selbst möchte das aber vermeiden, wegen baldiger wichtiger Verhandlungen für die Kali-Werke. Der Mann will arbeiten.

      • RS
        Ria Sauter
        @Elli Pirelli:

        Der Mann soll auch arbeiten! Das ist wünschenwert. Neuwahlen wäre aber die sauberste Lösung,denke ich. Wie es ausschaut hätte rot/rot/grün dann eine Mehrheit. Das wäre so gut.

  • Wieso „ Moment des Jahres 2019 „ ?