Alles wie damals mit Paul

Juso-Chef Kevin Kühnert gegen den JU-Vorsitzenden Tilman Kuban: Was eine heftige Diskussion zu werden versprach, geriet am Ende geradezu harmonisch

Zufrieden: Kevin Kühnert (l.), Tilman Kuban Foto: Gregor Fischer/dpa

Aus Berlin Dorian Baganz

„Oh Gott“, murmelt ein Mitglied der Jungen Union (JU) unentwegt, wann immer Kevin Kühnert das Wort ergreift. „Der Typ macht mich fertig.“ Er sitzt nah an der Bühne, sein Haar ist im Andi-Scheuer-Style nach hinten gegelt. Gemeinwohloffensive? „Oh Gott, oh Gott.“ Kostenloser Nahverkehr? „Oh Gott!“ Ja, hier ist man wirklich bei der Jungen Union.

Kevin Kühnert, Vorsitzender der Jungsozialisten (Jusos), ist an diesem Dienstagsabend der Einladung des Berliner Landesverbands der Jungen Union gefolgt. Neben ihm auf dem Podium in der privaten Quadriga Hochschule sitzt JU-Chef Tilman Kuban.

Beide haben sie gerade für Aufsehen gesorgt: Kuban warb am Wochenende auf dem Parteitag der CDU erfolglos für eine Urwahl in der Kanzlerfrage – ein Affront gegen Parteichefin Annegret Kramp-Karrenbauer. Kühnert wurde auf dem Bundeskongress der Jusos gerade mit 88,6 Prozent erneut zum Vorsitzenden der Jusos gewählt.

Nun sitzt er auf einer Veranstaltung des politischen Gegners, die Jungunionisten sind klar in der Mehrheit. Thema des Abends: „Wie geht es weiter mit der Groko?“ Während Kuban die Koalition als „Zwangsehe“ bezeichnet, gibt Kühnert zu verstehen, er könne mit dem, was die SPD bis jetzt erreicht habe, eigentlich „gut leben.“ Und generell: Während der bevorstehenden deutschen EU-Ratspräsidentschaft ohne funktionierende Bundesregierung dazustehen, wäre eine „vertane Chance“. Applaus im Saal.

Der große Clash bleibt aus

Natürlich geht es an diesem Abend auch um die Frage, wer am Wochenende den SPD-Mitgliederentscheid um den Parteivorsitz gewinnen wird: Das Team Geywitz/Scholz oder Esken/Walter-Borjans? Das Rennen sei „echt offen“, meint Kühnert, das mache es ja so spannend. JU-Mann Kuban verkneift sich ein Urteil darüber, wer künftig die Sozialdemokratie führen solle. Aber auch er habe „nie einen Hehl daraus gemacht“, dass Urwahlen eine gute Ideen sein könnten – eine weitere Spitze gegen die eigene Vorsitzende.

Die Abstimmung über die Urwahl hat Kuban verloren – die Debatte darüber, wer die Union in den nächsten Wahlkampf führen soll, ist damit aber nicht vorbei. Vor allem nicht für den Juso-Chef: „Wer wird denn jetzt Kanzlerkandidat beim nächsten Mal?“, fragt Kühnert. Ein erschöpftes Raunen geht durch den Saal. Allerdings: Jetzt liegt der Ball auf dem Elfmeterpunkt für Kuban. „Stellt ihr überhaupt noch einen Kanzlerkandidaten auf?“ Lachen, Klatschen – das kommt an bei der Jungen Union. Auch Kühnert muss schmunzeln. „Gut gekontert.“

„Stellt ihr überhaupt noch einen Kanzler­kandidaten auf?“

Tilman Kuban, JU-Chef, zu Juso-Chef Kevin Kühnert

Ansonsten geht es auf dem Podium recht harmonisch zu. Nach der Veranstaltung entschuldigt sich Kühnert via Twitter bei den Journalistinnen und Journalisten, die angereist seien, um „kratzen, beißen, Haare ziehen“ zu sehen: „Sorry noch mal“. Aber Meinungsaustausch gehe eben auch respektvoll. Klar, da wo Kuban von „Innovations­agenda“ und „Digitalisie­rungs­offensive“ spricht, wünscht sich Kühnert gebührenfreie Kitas und Nahverkehr – Letzterer solle durch eine Art „Verkehrs-GEZ“ finanziert werden. Doch der große Clash bleibt aus.

Und doch: Wovon Kühnert da rede, klinge arg nach „Sozialismus“, merkt ein Jungunionist aus dem Publikum an. „Kevin, warum reicht euch die soziale Marktwirtschaft nicht?“ Dieser verweist auf die estländische Hauptstadt Tallinn, wo es auch einen fahrscheinlosen ÖPNV gebe. „Es ist nicht so, dass das in Nordkorea erfunden wurde.“

Im Frühjahr dieses Jahres hatte der Juso-Vorsitzende mit dem Vorschlag, die Gewinne großer Firmen demokratisch zu kontrollieren, eine Debatte ausgelöst. Verstaatlichung? Nein, nein, so habe er das nicht gemeint, erklärt er den Anwesenden. Vergemeinschaftung und Verstaatlichung seien zwei verschiedene paar Schuhe. Allein, in den Augen vieler hier ist er der böse Kollektivist.

Kuban will lieber übers Geldverdienen sprechen. „Die Bahnen hier in Berlin fahren auch nicht von alleine“, sagt er, „das wird jemand finanzieren müssen.“ Die Frage, die bei einer Zusammenkunft wie dieser allen unter den Nägeln brennt, hat aber nichts mit Sozialismus zu tun. Auch nicht mit der Groko, Digitalisierung oder dem ÖPNV: Wie verstehen sich Kuban und Kühnert eigentlich privat? „Menschlich“ komme man gut klar, so Kuban, man gehe „auch mal ein Bier trinken“. Das habe er „mit Paul vorher auch so gehandhabt“, sagt Kühnert. Die Rede ist von Paul Ziemiak, Kubans Vorgänger und jetziger Generalsekretär der CDU.