Kurz vor Ladenschluss

Wachsender Onlinehandel, zunehmende Konkurrenz untereinander: Viele Berliner Shoppingcenter haben mit Problemen zu kämpfen. Die Betreiber reagieren mit veränderten Konzepten und großflächigem Umbau – gleichzeitig werden immer noch neue Malls gebaut

Ein recht eingeschränkter Einkaufsbummel: Schluss­verkauf in den Potsdamer Platz Arkaden … Foto: Karsten Thielker

Von Malene Gürgen
und Uwe Rada

Goldene Kugeln hängen in dunkelgrünen Plastiktannenbäumen, von der Decke baumeln sechszackige Sterne und lange Lichterketten. Doch selbst Menschen, die vorweihnachtlichen Shoppingtouren etwas abgewinnen können, dürften hier kaum auf ihre Kosten kommen. Nicht nur dass die Lichterketten an diesem Donnerstagnachmittag ausgeschaltet sind und aus den Lautsprechern keine Musik erklingt: Die Mehrzahl der Geschäfte in den Potsdamer Platz Arkaden ist geschlossen.

Im Obergeschoss stapeln sich abmontierte Küchengeräte auf umgedrehten Tischen und Stühlen, ein an die Wand gelehntes Schild preist noch das asiatische Essen an, das hier bis vor Kurzem verkauft wurde. Auf der gegenüberliegenden Seite kann man dort, wo früher die US-Modekette Forever 21 über zwei Etagen Teenagermädchen mit günstiger Kleidung versorgte, durch heruntergelassene Rollgitter einen Blick auf die leer geräumten Verkaufsflächen erhaschen, geisterhaft erhellt durch die noch nicht abmontierte Leuchttafel an der stillgelegten Rolltreppe.

„See you soon @Mall of Berlin“ steht im Schaufenster eines weiteren geschlossenen Geschäfts, und über die Misere der Postdamer Platz Arkaden ist damit schon viel gesagt: Seit 2014 nur 400 Meter vom Potsdamer Platz entfernt die Mall of Berlin eröffnete – erbaut auch von rumänischen Bauarbeitern, die um ihren Lohn geprellt wurden –, geht es mit den Arkaden bergab.

Der Betreiber des Centers, die ECE Projektmanagement GmbH, will sich auf Anfrage nicht zu der Entwicklung der Besucherzahlen äußern. Wer sich unter den Mitarbeitern in den Geschäften umhört, bekommt aber ein eindeutiges Bild: „Das geht hier seit Jahren bergab“, sagt eine Verkäuferin in einem Modegeschäft. Eine Kellnerin in einem der Cafés im Obergeschoss sieht das ähnlich: „Seit es die Mall of Berlin gibt, ist es hier vorbei“, sagt sie. „Das ist doch auch klar, dass das nicht funktionieren kann.“

Ein Shopping Center kannibalisiert ein anderes – das allein müsste außer den Betreibern der Potsdamer Platz Arkaden kaum jemanden interessieren. Doch dahinter steht eine Entwicklung, die ganz Berlin betrifft: In einer von immer gravierenderem Platzmangel betroffenen Stadt stehen in vielen Einkaufszentren Flächen leer.

Mehr Event beim Shoppen

Das hat natürlich mit dem grundsätzlichen Trend zu tun, dass immer mehr Waren online statt in Geschäften erworben werden. Die Einkaufscenter sind davon stark betroffen, weil das besonders für die Waren gilt, die hier hauptsächlich angeboten werden: Mode, Elektronikartikel, Schuhe, Bücher.

Helfen soll, was als „Eventisierung“ der Einkaufstour beschrieben wird: mehr Veranstaltungen, mehr Unterhaltung, Shopping als Erlebnis. Auch die Potsdamer Platz Arkaden sollen im nächsten Jahr komplett umgebaut werden und im Jahr 2022 als „Erlebniswelt“ wiedereröffnen. Was sich dahinter verbirgt? Weniger Geschäfte, dafür mehr Freizeitangebote und mehr Restaurants. Bis Ende Januar sollen fast alle Geschäfte schließen, damit die Umbauarbeiten beginnen können, die auf zwei Jahre angelegt sind und laut Betreiber einen „zweistelligen Millionenbetrag“ kosten werden.

Auch das erst 2007 eröffnete Alexa wurde zum zehnten Geburtstag bereits mit einer ähnlichen Strategie erneuert: mehr Restaurants sowie Geschäfte, in denen Onlinehändler ihre Produkte präsentieren. So soll auch die internetaffine Kundschaft in die Center gelockt werden. Das neue Management der 2018 eröffneten East Side Mall an der Warschauer Straße – der vorherige Chef musste gehen, nachdem auffiel, dass dem Center die Verbindung zur Warschauer Brücke fehlte – versucht seit dem Sommer, mit Konzerten und anderen Veranstaltungen Publikum anzuziehen.

Aber reichen diese Maßnahmen wirklich, um die Kundschaft zurück in die Einkaufszentren zu bringen? Oder hat Berlin schlicht zu viele Center, oft auch auf zu engem Raum? Könnte es in der Stadt gar ein Mallsterben geben wie in den USA, wo Schätzungen zufolge bereits ein Drittel der Einkaufs­tempel schließen musste?

Klar ist jedenfalls: Auch wenn es einzelne Zentren gibt, die nach wie vor gut laufen, greift der Leerstand in vielen anderen um sich. Das betrifft selbst solche, die erst vor kurzer Zeit eröffnet wurden, wie etwa das Schultheiß Quartier in Moabit: Als das Einkaufscenter im Sommer 2018 eröffnete, versprach Investor Harald Huth, der auch hinter der Mall of Berlin steht, für die noch unvermieteten Flächen würden bald Betreiber gefunden werden.

Heute ist klar, dass aus diesem Versprechen nichts wurde. Rund 20 Geschäfte stehen leer im Schultheiß Quartier, das nun, nicht einmal anderthalb Jahre nach der Eröffnung, bereits umgebaut werden soll: Im Obergeschoss sollen aus den Geschäften jetzt Büroflächen werden.

USA In den USA ist mit dem Southdale Center bei Minnesota 1956 nicht nur die erste Shoppingmall entstanden. Das Land ist auch ein Beispiel für ein sprichwörtliches Mallsterben geworden. Von den ursprünglich 1.500 Einkaufszentren gibt es nur noch 1.200. Und jeder vierten Mall droht in den nächsten fünf Jahren die Schließung. Dead Malls sind aber nicht nur eine Folge des Onlinehandels, sondern auch einer Verkaufsfläche pro Person, die in den USA zehnmal so hoch ist wie in Deutschland.

Europa Auch in Europa stehen die Malls unter Druck. In der Schweiz, mit 191 Shoppingcentern das Land mit der größten Dichte in Europa, sind laut Neuer Zürcher Zeitung zwar fünf neue Center geplant. Gleichzeitig erwartet Marcel Stoffel, Geschäftsführer der Vereinigung Swiss Council Community, dass in den nächsten Jahren ein Viertel der Gesamtfläche umgenutzt werden muss. Das bedeutet, so die NZZ, „dass schätzungsweise 1.000 der rund 5.500 Ladengeschäfte in den Einkaufszentren geschlossen werden“.

Die sind in Berlin nämlich Mangelware: Die Leerstandsquote von Büroflächen ist in Berlin auf einen historisch niedrigen Wert von 1,5 Prozent gesunken. Dass die Vermietung von Büros lukrativer sein könnte als die von Einzelhandelsflächen, haben viele Investoren mittlerweile erkannt. So empfiehlt etwa auch die Berliner Sparkasse in einem 2019 veröffentlichten Marktbericht unter der Überschrift „Der Berliner Handel im Wandel“ Einkaufs­center zumindest teilweise zu Büroflächen umzubauen.

Diesen Weg geht beispielsweise auch das Forum Steglitz: 1970 als eins der ersten Shopping Center Berlins eröffnet, standen auch hier zuletzt viele Flächen leer – immerhin konkurrieren auf der Steglitzer Schlossstraße gleich vier Shoppingmalls auf einem Kilometer um Kunden. 10.000 Quadratmeter ehemalige Einzelhandelsfläche sollen jetzt Büros werden, auch Coworkingflächen sind geplant.

Kein Baustopp in Sicht

Mehr Gastronomie, mehr Events oder gleich der Umbau zu Büroflächen: In dem Versuch, einem Berliner Mallsterben zuvorzukommen, rüsten viele Einkaufs­center um. Doch das Paradox bleibt: Obwohl der Niedergang des stationären Einzelhandels bereits seit Jahren zu beobachten ist, wurden mit der East Side Mall und dem Schultheiß Quartier auch im vergangenen Jahr neue Center eröffnet.

Und immer noch werden neue Malls gebaut: Für 2020 ist die Fertigstellung des neuen Tegel-Centers in Reinickendorf geplant: Inklusive der ebenfalls dort geplanten neuen Fußgängerzone sollen hier 50.000 Quadratmeter Einzelhandelsfläche entstehen, das Bauvolumen beträgt 250 Millionen Euro. Auch hier steht der Millionär Harald Huth dahinter, der gern als „König der Berliner Shoppingmalls“ bezeichnet wird. Die Hallen am Borsigturm, ein etabliertes Einkaufscenter mit 115 Geschäften, liegen 700 Meter entfernt.

Wie kann das sein? Wäre es angesichts der Entwicklungen nicht an der Zeit für ein berlinweites Shoppingcenter-Moratorium?

Einkaufen in Kerngebieten

Doch das gehe gar nicht, sagt Katrin Dietl, Sprecherin der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung. Das Bundesrecht sehe vor, dass Einkaufszentren in Kerngebieten möglich sind. Ein Genehmigungsverbot für die ganze Stadt zu erteilen sei also nicht möglich. Dort, wo vorhandene Bebauungspläne ein Kerngebiet ausweisen, das groß genug ist, kann auch ein Einkaufscenter gebaut werden – die konkrete Genehmigung im Einzelfall ist Sache der Bezirke.

Das Steuerungsinstrument des Senats ist der im März fertiggestellte Stadtentwicklungsplan Zentren, der das gesamtstädtische Konzept für den Einzelhandel festschreibt. Dieser benennt zwar „Herausforderungen für die städtebauliche Integration von Einkaufszentren“ und erwähnt in diesem Zusammenhang auch die Entwicklung hin zu „Dead Malls“ in anderen Ländern. Neue Einkaufscenter, so heißt es im Stadtentwicklungsplan Zentren, müssten sich in die bestehenden Zentren integrieren – dazu gehöre auch, die Verkaufsfläche zu begrenzen oder die Center so zu bauen, dass sie sich nicht nur nach innen, sondern auch nach außen öffnen. Es müsse vermieden werden, „dass die Ströme von Passanten und Passantinnen in innere Passagen umgelenkt und dadurch vorhandene Einkaufsbereiche geschwächt werden“, heißt es beispielsweise.

Nur: Um den Bau eines neuen Einkaufcenters genehmigt zu bekommen, versichern Investoren selbstverständlich, solcherlei Anforderungen zu erfüllen. Und offenbar glaubt ihnen die Politik noch allzu oft, dass ihre Versprechen tatsächlich wahr werden: Stephan von Dassel, grüner Bezirksbürgermeister von Mitte, schwärmte bei der Eröffnung des Schul­theiß Quartiers, das neue Center bedeute „eine deutliche Attraktivitätssteigerung für den gesamten Bezirk, für den Ortsteil insbesondere“. Frank Balzer, CDU-Bürgermeister von Reinickendorf, ist sich sicher, dass das neue Tegel-Center nicht nur für die „Versorgung der Bevölkerung“ wichtig sei, sondern auch „Besucher und Kunden aus anderen Bezirken und aus dem Umland anziehen“ werde.

… aber man muss ja auch nicht immer nur einkaufen in den Arkaden Foto: Karsten Thielker

Hinter dem Bau und Betrieb von Shoppingcentern steht Geld, viel Geld. Nahezu alle Zentren in Berlin sind in der Hand großer, international agierender Konzerne. Hinter der ECE Projektmanagement GmbH, die nicht nur die Potsdamer Platz Arkaden betreibt, sondern auch das Gesundbrunnen-Center, die Hallen am Borsigturm, die Ring-Center und weitere Malls, steht der Otto-Konzern, die ECE ist Einkaufszentren-Marktführer in Europa. Die Arcaden in Neukölln, an der Schönhauser Allee und in der Wilmersdorfer Straße gehören wie auch die Gropiuspassagen, noch knapp vor der Mall of Berlin das größte Einkaufszentrum Berlins, dem weltweit agierenden Investment-Unternehmen Unibail-Rodamco-Westfield, das aus dem Zusammenschluss eines französischen, eines australischen und eines niederländischen Konzerns entstanden ist.

In Mitte schon alles belegt

Der grüne Baustadtrat von Mitte, Ephraim Gothe, ist sich zumindest für seinen Bezirk sicher, dass keine neuen Center mehr genehmigt werden – alle infrage kommenden Standorte seien schließlich schlicht schon belegt. Und auch insgesamt ist klar, dass die Zeiten des großen Centerbooms, wie ihn vor allem Ostberlin nach der Wende erlebte, vorbei sind.

Bleibt die Frage, was mit den bestehenden Zentren passieren soll, wenn dort auch mit größerem Food Court und mehr Events die Besucher ausbleiben. Die Linken-Abgeordnete Katalin Gennburg hat schon im vergangenen Jahr eine Shoppingcenter-Rückbauprämie gefordert. „Wir können uns diese krasse Platzverschwendung in Berlin schon lange nicht mehr leisten“, sagt sie der taz. Berlin müsse „aufhören, diesen steuervermeidenden Konsumketten und ihren Ufos den roten Teppich auszurollen“. Das sei sowohl aus steuer- als auch aus wirtschaftspolitischer und erst recht aus stadtplanerischer Sicht geboten.

Wenn schon die Planung neuer Shopping Center nicht ausgesetzt wird, ist der Abriss der bestehenden wohl erst recht unrealistisch. Nichtsdestotrotz: Es geht, zumindest theoretisch, um eine Menge Platz. Rechnet man allein die Verkaufsfläche aller Berliner Shopping Center zusammen, kommt man auf rund 150 Hektar. Vielleicht fällt Berlin angesichts der wachsenden Zahl von Kindergärten und Handwerksbetrieben, Kleingewerbetreibenden oder Künstlern, die alle verzweifelt auf der Suche nach Platz sind, ja doch noch ein anderer Umgang mit sterbenden Malls als die Umwandlung in Bürogebäude ein.