Film über Landleben in Brasilien: Ein Herz für Rinder

Ländliches Leben, Viehdiebe, Freundschaft und Rodeo: Davon erzählt der Spielfilm „Querência“ von Helvécio Marins Jr.

Ein Mann trainiert auf einem alten Faß Rodeo reiten

Für Branco (beim Rodeotraining) sind die Politiker „die da oben“, Leute aus der Stadt Foto: Arsenal Institut

Als die Dämmerung anbricht und die Sonne für einen kurzen Moment den Himmel noch einmal spektakulär in Farbe taucht, bewegen sich die Silhouetten der Landarbeiter vor dem bunten Hintergrund wie in einem Scherenschnittfilm. Bald wird es stockdunkel sein in der abgelegenen Gegend von Unaí. In dieser von Viehzucht geprägten Region Minas Gerais, im Landesinneren Brasiliens, hat der Filmemacher Helvécio Marins Jr. mit einheimischen Laiendarstellern seinen Spielfilm realisiert.

Mit der zurückhaltenden Beobachtung eines Dokumentarfilms begleitet die Kamera in „Querência – Heimkehren“ den Alltag des dreißigjährigen Marcelo, der als Cowboy meist zu Pferd für einen Farmer arbeitet. Einzelne Nahaufnahmen führen den Blick dicht an die dampfenden Körper der buckligen Nelore-Rinder heran oder verfolgen die geschickten Handgriffe der Rinderhirten.

Tausende Kilometer von den lärmenden Megametropolen Rio de Janeiro und São Paulo entfernt, leben Marcelo, seine Kollegen und Freunde im Landesinneren in enger Verbundenheit mit den Tieren und der Landschaft ein Leben ohne WLAN und mit schlechtem Handyempfang.

Die ländliche Idylle ist nicht paradiesisch

Ihren Kühen geben sie Namen: Keks, Lampion, Lila oder Japan. Doch die ländliche Idylle ist nicht paradiesisch. Marcelos Leben ist im Umbruch, nachdem er Opfer eines brutalen Überfalls geworden ist. Organisierte Viehdiebe hatten den Cowboy mit Waffengewalt gezwungen, die ihm anvertraute Rinderherde in die bereitstehenden Trucks zu verladen.

„Querência/Heimkehren“. Regie: Helvécio Marins Jr. Brasilien/Deutschland 2019, 90 Min.

Danach will Marcelo die Hühner verkaufen und seine eigenen Kühe versteigern lassen. Den Job auf der Rinderfarm hat er gekündigt, und er zieht aus dem Haus, wo sich der Vorfall ereignet hat, aus. In dieser Lebenskrise rettet ihn seine Begeisterung für das Rodeo. Unter ihrem Motto „Treme terra“ („Die Erde soll beben“) organisieren Marcelo und seine Freunde den beim Publikum so beliebten Wettbewerb. Das Gatter öffnet sich, die Reiter preschen für Sekunden auf den wild gewordenen Bullen in die Arena zu.

Ausstaffiert mit neuem Hut und kariertem Hemd, heizt der sonst introvertierte junge Mann die Stimmung der Zuschauer an: „Ich bin Cowboy und Rodeoansager. Ich bin schlau wie ein Fuchs, stark wie ein Pferd. Für die, die mich nicht kennen: Ich bin Marcelo de Sousa!“ Gemeinsam mit seinem Kumpel Kaic rappt er über ihre Herkunft, das Leben auf dem Land und die Politik.

Es ist 2016, das Jahr der umstrittenen Amtsenthebung der brasilianischen Präsidentin der Arbeiterpartei, Dilma Roussef. Die Verbitterung angesichts der politische Situation in dem Land ist deutlich spürbar. Trotzdem deutete sich der dramatische Machtwechsel, wie ihn Brasilien mit der Wahl des rechtsextremen Jair Bolsonaro 2018 erleben musste, noch nicht an.

Politiker, das sind „die da oben“

„Die denken, wir sind dumm.“ Politiker, das sind für Marcelo, Branco und Kaic „die da oben“ – Leute aus der Stadt, die das Leben in der Provinz nicht kennen und nicht verstehen. Nach Feierabend in der Runde machen sie Witze über die „Happy Hour“ der „Yuppies“ in der Stadt. Ihre Realität hier am Rio Urucuia ist eine andere. Im Radio läuft ein Gitarrensong von Tavinho Moura – kein Samba, kein Bossa Nova.

Im Forum der Filmfestspiele in Berlin feierte „Querência“ im Fe­bruar 2019 seine Premiere. In dem überzeugenden Festivalbeitrag lenkt Helvécio Marins Jr. höchst aktuell die Aufmerksamkeit auf eine politisch vernachlässigte, entlegene Region Brasiliens, deren Bewohner in bescheidenen Verhältnissen unbeirrt der täglichen Arbeit auf dem Land und mit dem Vieh nachgehen.

Eine besondere dramaturgische Stärke beweist „Querência“ in seiner narrativen Offenheit. Durch Beobachtung erschließen sich dem Zuschauer die vage formulierten Beziehungen der Protagonisten zueinander. Auch die Zusammenhänge von Marcelos Handeln und die Chronologie des Überfalls werden erst allmählich deutlich. Spannungsvoll werden knappe Andeutungen und Gespräche unter Freunden schließlich am Ende durch eine überraschenden Meldung in den Abendnachrichten ergänzt.

Gemeinsam mit dem Kameramann Arauco Hernández Holz und im Zusammenspiel mit den lokalen Darstellern gelingt es dem 1973 in Belo Horizonte geborene Filmemacher, mit starken Bildern und sparsamen Dialogen eine komplexe und facettenreiche Geschichte über eine abgehängte Gesellschaft in einer Landschaft voll spröder Schönheit zu erzählen. In deren Zentrum stehen Marcelo de Sousa, seine Aufrichtigkeit, seine Freundschaft und Leidenschaft.

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