Schiedsrichter-Streik in Berlin: Wenig Spaß auf dem Spielfeld

Mit ihrem Streik haben die SchiedsrichterInnen darauf verwiesen, dass da viel zu viel Gewalt im Spiel ist auf den Fußballplätzen.

Schiedsrichter mit Pfeife an den Lippen

Einfach mal ganz grundsätzlich nicht pfeifen Foto: dpa

Es mag ein Zufall sein, dass der SchiedsrichterInnen-Streik in Berlin am vergangenen Wochenende mit einer weiteren Streik-Ankündigung zusammenfiel. Die spanischen Erstligaspielerinnen haben einen unbefristeten Streik bei Ligaspielen angekündigt, im Kampf um ein Mindestgehalt und einen Tarifvertrag. Eine Arbeitsverweigerung gab es auch im September im Saarland, Schiris streikten wegen tätlicher Angriffe. Wird der brave Fußball widerständig?

Mindestens auffällig ist, dass die Aktionen nicht in der medial viel beachteten Bundesliga, sondern an den Rändern stattfinden: durch Frauen, die für ihr Profispiel nicht mal den Mindestlohn erhalten, durch Schiris, die sich ehrenamtlich in den unteren Ligen beleidigen, bedrohen und manchmal verprügeln lassen.

Dass ausgerechnet das sonst nicht revolutionär gesegnete Schiedsrichtermilieu auf die Barrikaden steigt, legt einigermaßen glaubhaft nahe, dass der (Männer-)Fußball der unteren Ligen ein Gewaltproblem hat. Spieler schlagen Schiedsrichter bewusstlos, Väter schlagen den Gegenspieler ihrer Söhne. Viel ist zu den Ursachen argumentiert worden, über schrumpfendes Ehrenamt und kriselndes Vereinswesen, aggressive Eltern und gesellschaftliche Spannungen, die sich auf dem Platz wiederfinden.

Ellenbogenmentalität lässt das Vereinswesen an Grenzen stoßen

Viele dieser Ursachen haben einen gemeinsamen Nenner, der in letzter Konsequenz nicht ausreichend benannt wird: die Veränderung der Arbeitswelt. Deregulierter Kapitalismus, Egoismus, steigender Leistungsdruck hinterlassen ihre Spuren im Sport. Weniger Menschen haben unter der Arbeitsbelastung Zeit, sich einem Ehrenamt zu widmen. Weniger Menschen identifizieren sich mit dem Kollektiv Verein, weil das Individuum zählt. Viele sehen den Klub nur noch als Dienstleister. Schnelllebigkeit, Ellenbogenmentalität und Flexibilität lassen das aus dem 19. Jahrhundert kommende Vereinswesen an Grenzen stoßen.

Frei von Kulturpessimismus lässt sich feststellen, dass sich die Akteure verändern: Eltern halten ihr minderbegabtes Kind für den nächsten Ronaldo und rasten am Spielfeldrand aus, Kinder werden wie Profis trainiert und lassen unter Druck ihre Wut an anderen aus. Eindimensional wird bis in die Kreisliga ein Schuldiger am eigenen Versagen gesucht, denn man selbst, der ganz besondere Mensch, kann es ja nicht gewesen sein. Eindrücklich berichten das Menschen aus dem Amateurfußball aller politischen Couleur. Die Gesellschaft und der Fußball haben die Büchse der Pandora vor langer Zeit geöffnet, aber manche Auswirkungen kommen verspätet an. Es wird nicht der letzte unterklassige Streik sein.

Der Berliner Fußball-Verband möchte nun auf die Wünsche der Schiris eingehen. Verpflichtende Ordner bei jedem Spiel soll es geben, auch die Sportgerichtsbarkeit soll professionalisiert werden und ein Forum zwischen Schiris, Trainern und VereinsvertreterInnen geschaffen werden. All das klingt sinnvoll, einiges wird schon lange gefordert. Die Professionalisierung der unteren Ebenen ist im gegenwärtigen System der einzige konstruktive Weg. Aber Ordner in der Kreisliga hinterlassen auch einen sehr bitteren Nachgeschmack.

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Jahrgang 1991, studierte Journalismus und Geschichte in Dortmund, Bochum, Sankt Petersburg. Schreibt für die taz seit 2015 vor allem über politische und gesellschaftliche Sportthemen zum Beispiel im Fußball und übers Reisen. 2018 erschien ihr Buch "Wir sind der Verein" über fangeführte Fußballklubs in Europa. Erzählt von Reisebegegnungen auch auf www.nosunsets.de

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