Comic-Verfilmung „Joker“: Der tragische Killer-Clown

In Todd Phillips’ „Joker“ wird Batmans ewige Nemesis vom sadistischen Psychopathen zum kranken Verlierer. Ist diese Figur eine Zumutung?

Joaquin Phoenix als Joker

Brillant und furchterregend: Joaquin Phoenix als Joker Foto: Warner

BERLIN taz | „I’ve got a condition“, steht auf der Visitenkarte, die der seit Minuten lachende Mann seiner Sitznachbarin im Bus hinhält. Misstrauisch beäugt sie die Karte, der Mann gackert hysterisch weiter, heult, krampft, kriegt keinen geraden Ton mehr heraus. Bis er sich verschluckt und nur noch verzweifelt zuckt und die Fahrgäste angeekelt wegschauen. Jene „Condition“, mit der Batmans späterer Gegenspieler in Todd Phillips’ „Joker“ zu kämpfen hat und die ihm – neben anderen Problemen – auch die unkontrollierbaren Lachanfälle beschert, ist komplex, vielleicht sogar gefährlich.

„Psychopathisch“ sei der Charakter, ferndiagnostizierte ein US-Psychologe nach der Pre­mie­re in Venedig, wo „Joker“ einen Goldenen Löwen gewann. Und empfahl der Geschichte eine „Trigger Warnung“: In einem Land wie den USA, wo Vertreter einer männlichen Subkultur für sich selbst den Terminus incel benutzen („involuntary celi­bacy“, unfreiwilliges Zölibat), sich als von Menschenhass, Misogynie und Angst getrieben sehen, weil sie keinen Erfolg bei Frauen haben, und bei Schießereien und Amokläufen immer wieder als Täter auffallen, sei ein Drama mit einer solchen Travis-Bickle-Figur nicht nur eine Zumutung. Es berge auch die Gefahr der Nachahmung.

Schon in Colorado hatte im Juli 2012 ein Mann mit orangegefärbten Haaren und einem Faible für Batman-Devotionalien während einer Aufführung von „Batman – The Dark Knight Rises“ zwölf Menschen in einem Kino erschossen. Angehörige der Opfer des „Aurora-Attentats“ appellierten vor dem Filmstart von „Joker“ an das Verantwortungsgefühl der Produktionsfirma. Allerdings forderten sie keinen Filmstopp: In einem Brief baten sie Warner Bros., ihren „massiven Einfluss“ dazu zu nutzen, „sichere Gemeinschaften mit weniger Waffen“ aufzubauen – und mitzuhelfen, die Waffengesetze in den USA zu verschärfen.

Im September dieses Jahres wurde der Start von Craig Zobels umstrittener Menschenjagd-Satire „The Hunt“ nach zwei Massenschießereien verschoben – unter anderem, nachdem Trump sich gegen den Filmstart ausgesprochen hatte. Der Film könne Gewalt evozieren, lautete die Befürchtung. Die gleiche Sorge findet sich nun auch in der Diskussion um „Joker“.

Eindringliche Spannung

Phillips’ „Joker“-Vision beschreitet einen Passionsweg, an dessen düsterem und längst bekannten Ende die Batman-Geschichten beginnen: Arthur Fleck, so heißt die von Joaquin Phoenix gespielte Figur, versucht nach längerem Psychiatrieaufenthalt, sich in der Grausamkeit der Großstadt Gotham zurechtzufinden, die – wie in den Comics – eine starke Nähe zu einem sozial eingefrorenen New York aufweist.

In Straßenfluchten der Stadt, die an die harte 80er-Jahre-Realität der Prä-Giuliani-Ära erinnert, arbeitet er im Clownskostüm als Koberer für Geschäfte. Ein heruntergekommenes Management namens „Haha-Agency“ vermittelt ihn und andere Unglücksraben zudem als karg bezahlte Miet-Clowns.

Gleich der Auftakt in Phillips’ Film verbreitet eine so eindringliche wie hoffnungslose Spannung: Flecks Schild, mit dem der Werbeclown auf der Straße steht, wird ihm von ein paar Jungen gestohlen. Bei einer anschließenden Verfolgungsjagd lauern sie ihm in einer Sackgasse auf, verprügeln ihn brutal – als letzte Szene dieser verstörenden Eingangssequenz spritzt dem schwer traktierten Mann eine Flüssigkeit aus der Plastikblume entgegen.

Wenn die Waffe gezeigt wird, wird sie später auch benutzt

Klar, dass der Verlust des Schildes Fleck in weitere Schwierigkeiten bringen wird. Klar, dass sich das Außenseitertum, das nur durchbrochen wird, wenn sich Fleck um seine bettlägerige Mutter kümmert, wie eine kalte Krake immer weiter ausbreitet.

Fleck hat von Anfang an fast nichts – außer der unrealistischen Hoffnung, als Stand-up-Comedian so erfolgreich wie sein Vorbild Murray Franklin, gespielt von Robert De Niro, zu werden. Und sogar das wird ihm genommen, indem die bereits mangelhafte psychologische Beratung, bei der sich Flecks kaputtes Inneres in Teilen offenbart, gestrichen wird. Und indem die wenigen Vertrauten, die er zu haben meint, sich als Lügner*innen herausstellen.

Die Pistole, die ein Kollege ihm zukommen lässt, knallt bei einer „Kinderclown-Nummer“ im Krankenhaus aus der zu großen Jacke zunächst nur auf den Boden. Aber natürlich weiß Phillips, dass man eine Waffe im dritten Akt benutzen muss, wenn man sie im ersten Akt zeigt.

Vom Huhn zum Bösewicht

Das Perfide an Phillips’ Film ist einerseits die Gewissheit des Publikums, dass diese Abwärtsspirale nicht aufgehalten werden kann – denn der Joker ist Batmans ältester Feind, seine tragische Figur ist etabliert und das Prequel „Joker“ nur der Auftakt. In den 60ern wurde er vom vielbeschäftigen Cesar Romero als albernes, weißgeschminktes Huhn interpretiert.

Seit Jack Nicholsons lustvoller Darstellung aus dem Jahr 1989 wanderte das Böse zunehmend aus dem Gesicht in die Psyche, und der Joker mutierte zu Batmans unheimlichen Alter Ego. Heath Ledger wurde für die Darstellung in Christopher Nolans Batman-Adaption posthum ein Oscar verliehen. Der „Joker“ verwandelte sich zum „Killer-Clown“ – einer Figur, die fast so alt ist wie der Zirkusclown und deren irres Lachen den Gegenpart zum missmutigen Batman symbolisiert.

Konsequent zeigt Phillips Gewalt in all ihrem Schrecken – und rückt den Film damit an eine Grenze

Andererseits legt Phillips den üblicherweise leicht artifiziellen Superheldenkosmos direkt in die Realität und nimmt den Zuschauer*innen damit die Möglichkeit der Distanzierung. „Joker“ hat nichts mit der klar erkennbaren Realitätsferne üblicher DC- (oder Marvel-)Werke zu tun. (Super-)Held*innen gibt es nicht, nur Verlierer*innen. Radikal hat Phillips seinen Film dramaturgisch, ästhetisch und motivisch in einen Psychothriller verwandelt. Dem gibt Phoenix mit seiner windschiefen und hageren Physis und seinem Talent, die Verletzungen vor allem mit den Augen zu zeigen, ein brillantes, furchterregendes Gesicht.

Traumatisierter Antiheld

Konsequent zeigt Phillips auch die Gewalt (von und an Fleck) in all ihrem Schrecken – und rückt den Film damit tatsächlich an eine Grenze. Denn mit den real wirkenden Prügeleien und Morden, die „Joker“ in den USA ein R-Rating (ab 17) und in Deutschland die Kennzeichnung FSK 16 bescherten, mit der nervös-brillanten Musik der isländischen Cellistin Hildur Guanadóttir und mit seinem exzellenten Hauptdarsteller ragt der Film aus dem fantastischen Genre-Umfeld heraus.

Und die Frage keimt, wieso es nötig ist, die Bildebene derartig drastisch zu gestalten – wenn allein schon die Traumata, die Fleck erlebt (und in der Kindheit erlebte), ausreichen würden, um die nötige Fallhöhe zu erzeugen. Doch Phillips ästhetisiert nichts und lässt zudem keinen Zweifel daran, dass sein Protagonist ein Antiheld ist, einer, der nicht als Vorbild taugt.

"Joker". Regie: Todd Philips. Mit Joaquin Phoenix, Robert DeNiro u.a., USA 2019, 122 Min.

Die Psychopathen-Diagnose ist nicht richtig. Phoenix und Phillips siedeln die Figur des Fleck fern eines sadistischen Psychopathentums an, stellen ihn als traumatisierten, kranken Verlierer hin, dem die Hoffnung ausgetrieben wurde – ähnlich wie dem Frauenmörder Fritz Honka in Heinz Strunks ­Roman „Der goldene Handschuh“, dessen Sensibilität von Fatih Akin in der Verfilmung ignoriert wurde. Die musste sich dann ebenfalls für nicht handlungsrelevante Gewalt verantworten.

„Joker“ aus Respekt gegenüber Opfern echter Gewalt nicht zu zeigen, so wie einige Kinos in Colorado, ist also nicht die richtige Lösung. Denn das Problem entsteht nicht im Kino, bei Betrachtung der Abenteuer eines ausgedachten Schurken. Wenn, dann ist es bereits viel, viel früher entstanden.

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