Hunderte Orte im Klimanotstand: Heißer Scheiß

Für die Uno ist die Welt im „Klimanotstand“ und kämpft ums Überleben. Dem SPD-geführten Umweltministerium ist dieses Wort zu drastisch.

Sonne überm Bodensee

Konstanz setzte als erste Gemeinde das Zeichen: „Notstand“ Foto: imago-images/imagebroker

BONN taz | Bei der „kleinen Klimakonferenz“ der Uno am Bonner Rhein­ufer geht auf den ersten Blick alles seinen gewohnten Gang. Zum 50. Mal treffen sich die Unterhändler von knapp 200 Staaten, um in immer gleichen Runden mit immer gleichen Argumenten über die immer gleichen Fragen zu streiten: Wie wird der Handel mit CO2-Zertifikaten geregelt? Wer muss wie viel gegen die Erderhitzung tun? Und wer soll das bezahlen? Der Fortschritt ist zäh, die Stimmung gereizt. Aber das unterbricht die Routine: Draußen ist es so heiß wie noch nie. Die Sicherheitsleute vor dem Gebäude schützen sich mit Regenschirmen gegen die Sonne. Am Mittwoch werden in Bonn 37 Grad Celsius erwartet.

Die Uno hat prompt reagiert: Sie warnt alle Teilnehmer, viel Wasser zu trinken, die Klimaanlagen in den Büros immer laufen zu lassen, die Vorhänge zu schließen und „angemessene Kleidung“ zu tragen. Heißt: Männer dürfen die Krawatte abnehmen und das Jackett ausziehen. Und die Chefin des UN-Klimasekretariats, Patricia Espinosa, sagt im gekühlten Konferenzzentrum: „Wir befinden uns im Klimanotstand. Wir kämpfen um unser Leben und alle sollten sich beteiligen.“

Die scharfen Worte beziehen sich nicht nur auf die Hitze vor der Tür. Und sie sind kein Zufall. Im Mai hat UN-Generalsekretär Antonio Guterres die Pazifikstaaten besucht. Danach, beeindruckt von der akuten Gefahr des Klimawandels, habe er intern die Order ausgegeben, „die Sprache zu verschärfen“, sagt ein UN-Sprecher. Guterres drängt die zögerlichen Staaten noch mehr, im September bei einem Sondergipfel in New York Verpflichtungen gegen die Erderhitzung zu verkünden. Die britische Zeitung Guardian, eines der globalen Leitmedien im Klimageschäft, hat ebenfalls im Mai entschieden, man werde zukünftig eher von „Notstand, Krise oder Zusammenbruch“ schreiben als von „Klimawandel“, weil es die Situation besser beschreibe. Indien durchlebte gerade eine Hitzewelle mit Temperaturen bis 50 Grad. Und weltweit und in Deutschland wächst die Liste der Staaten, Städte und Gemeinden, die den „Klimanotstand“ ausrufen.

658 Gemeinden in 15 Ländern mit 119 Millionen Menschen haben laut Website „Climate Emergency Declaration“ den Hitzenotstand ausgerufen, viele Universitäten und Unternehmen. Auch auf den Demonstrationen von „Fridays for Future“ mahnen viele Plakate den Klimanotstand an. Vor allem in Großbritannien, Australien und Kanada treiben die Menschen so ihre Regierungen vor sich her: Inzwischen haben auch die Parlamente und Regierungen in Irland, Großbritannien und Kanada dieses Alarmsignal gesendet, Frankreich debattiert noch. Im Bundestag will der Klimaexperte der Linksfraktion, Lorenz Gösta Beutin, am Freitag namentlich abstimmen lassen, ob auch Deutschland den Klimanotstand ausrufen soll. Das Umweltministerium will allerdings lieber einen kühlen Kopf bewahren: „Wir sind froh über jede Gemeinde, die im Klimaschutz aktiv wird“, heißt es. Aber der Begriff „Notstand“ ist dem Haus von SPD-Ministerin Svenja Schulze zu drastisch.

Was ist „Notstand“ beim Klima?

Das sehen über ein Dutzend Städte und Gemeinden anders: Erlangen, Marl, Lübeck, Münster, Kiel sind darunter, aber auch Tönisforst und Horstmar. In Konstanz, das als erste Gemeinde dieses Zeichen setzte, erklärte CDU-Bürgermeister Uli Burchardt, was das mit dem Notstand bedeute: „Bisher fragen wir bei jeder Vorlage im Gemeinderat, ob sie haushaltsrelevant ist“, sagte er der Zeitschrift Neue Energie. Jetzt werde man sich bei jedem Beschluss im Voraus fragen, „ob es eine quantifizierbare Auswirkung auf den Klimaschutz gibt“. Die Stadt am Bodensee will mehr in öffentlichen Verkehr investieren, das Stadtwerk bietet 100 Prozent Ökostrom, der Bürgermeister verzichtet auf den Dienstwagen. Alles gut wird dadurch aber nicht; Konstanz, gibt Burchardt zu, ist nicht auf Kurs, sein eigenes Klimaschutzkonzept zu realisieren.

Stefan Rahmstorf, forscher

„Hitzerekorde auf der ganzen Welt treten heute fünfmal häufiger auf, als es bei einem stabilen Klima der Fall wäre“

Was ist ein „Notstand“ beim Klima? Im deutschen Begriff schwingt die Abschaffung von Grundrechten und der erste Schritt in die (Öko-)Diktatur mit. Der englische Begriff „emergency“ hat diese Untertöne nicht: Hier sehe man eine Notlage, in der man die Feuerwehr oder den Krankenwagen rufe, sagen Klimaaktivisten und UN-Mitarbeiter.

Die Allianz „Klimawandel und Gesundheit“ (Klug), ein Zusammenschluss von MedizinerInnen, warnt davor, das deutsche Gesundheitssystem sei auf Hitzewellen nicht vorbereitet, es stürben dabei bis zu 12 Prozent mehr Menschen. Vor allem Alte, Kleinkinder und chronisch Kranke seien gefährdet. „Anstrengende Tätigkeiten im Freien sollten unterbrochen werden, auf Baustellen werden Kühlcontainer bereitgestellt, Kinder sollten sich in Innenräumen aufhalten.“

Stefan Rahmstorf, Co-Leiter der Abteilung Erdsystemanalyse am Potsdam Institut für Klimafolgenforschung, sagt: „Die heißesten Sommer in Europa seit 1500 waren 2018, 2010, 2003, 2016, 2002. Hitzerekorde auf der ganzen Welt treten heute fünfmal häufiger auf, als es bei einem stabilen Klima der Fall wäre. Diese Zunahme entspricht genau dem, was von der Klimawissenschaft als eine Folge der globalen Erwärmung vorhersagt wurde.“ Auch hätten sich die Luftströmungen durch den Klimawandel so verändert, dass heiße und trockene Bedingungen begünstigt würden. Für Rahmstorf bezeichnet „climate emergency“ die Tatsache, „dass so viel Zeit verstrichen ist. Nun ist es fast schon zu spät, um Schäden zu vermeiden.“

Viele KlimaschützerInnen auf der UN-Konferenz finden: Den Notstand auszurufen, sei sinnvoll, wenn ein entschlossenes Handeln folge – also das, was die Regierungen seit 50 Sitzungen vermissen lassen. „Aber es erhöht den Druck auf die Politik zu handeln“, sagt Alden Meyers vom Climate Action Network. „Du kannst nicht sagen: Das Haus brennt, aber ich rufe die Feuerwehr erst in fünf Jahren.“

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