Kommentar Algerien nach Bouteflika: Die Opposition muss zuhören

Der Abtritt des algerischen Präsidenten Bouteflika ist eine große Chance für die Opposition. Doch die ist seit jeher zersplittert und kaum organisiert.

Hunderte Demonstranten klettern auf ein Gebäude, viele tragen algerische Fahnen, ein Schild mit dem Konterfei von Abdelaziz Bouteflika und der Aufschrif "No you can't" wird nach oben gehalten

Das Hauptproblem der Opposition ist die Opposition selbst Foto: ap

Le pouvoir – „die Macht“ –, wie die Algerier das undurchsichtige Interessengeflecht nennen, das sie regiert, hat den greisen Präsidenten Abdelaziz Bouteflika endgültig von der politischen Bühne geschoben. Eine erneute Kandidatur für eine fünfte Amtszeit war nach Massenprotesten nicht mehr haltbar. Premier Ahmed Ouyahia nahm ebenfalls den Hut, die Wahlen werden verschoben. Die Frage ist, wie es jetzt weitergeht. Eine Nationale Konferenz soll Grundlagen für eine neue Republik ausarbeiten.

Wenn die Nationale Konferenz wirklich für alle Strömungen der Gesellschaft offen ist und unabhängig arbeiten wird, wie es im Abtrittsschreiben das von Bouteflika stammen soll, heißt, ist dies eine große Chance für die Opposition. Erstmals seit der Unabhängigkeit von Frankreich können die Interessenclans gezwungen werden, aus dem Schatten der Macht zu treten. Denn mit Bouteflikas und Ouyahias Rücktritt haben sie ihr Schutzschild verloren. Ein neues gibt es nicht. Es sei denn die Armee, die ein Staat im Staate mit völlig eigener Dynamik und eigenen Interessen ist, versucht einen demokratischen Prozess erneut einzuschränken oder gar abzuwürgen, wie in der Vergangenheit.

Doch das Hauptproblem der Opposition ist die Opposition selbst. Sie ist in Algerien von jeher zersplittert, zerstritten. Und die jungen Menschen, die in den vergangenen Wochen die Proteste nicht unerheblich mitgestalteten, sind kaum organisiert. Sie könnten im Laufe einer Nationalen Konferenz an Einfluss verlieren. Wie schnell das gehen kann, zeigt das Nachbarland Tunesien: Dort wurde die Revolution von denen unter 30 Jahren getragen, das neue Regime maßgeblich von denen über 50 und älter gestaltet.

Soll tatsächlich ein Übergang zu einer neuen Republik ohne Gewalt möglich werden, muss die Opposition denen zuhören, die, wie einige Menschenrechtsanwälte und Intellektuelle, Einheit fordern. Nur dann können der trotz des Rückschlags immer noch starken Macht entscheidende Zugeständnisse abgerungen werden.

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Reiner Wandler wurde 1963 in Haueneberstein, einem Dorf, das heute zum heilen Weltstädtchen Baden-Baden gehört, geboren. Dort machte er während der Gymnasialzeit seine ersten Gehversuche im Journalismus als Redakteur einer alternativen Stadtzeitung, sowie als freier Autor verschiedener alternativen Publikationen. Nach dem Abitur zog es ihn in eine rauere aber auch ehrlichere Stadt, nach Mannheim. Hier machte er eine Lehre als Maschinenschlosser, bevor er ein Studium in Spanisch und Politikwissenschaften aufnahm. 1992 kam er mit einem Stipendium nach Madrid. Ein halbes Jahr später schickte er seinen ersten Korrespondentenbericht nach Berlin. 1996 weitete sich das Berichtsgebiet auf die Länder Nordafrikas sowie Richtung Portugal aus.

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