Debatte Parität im Parlament: Die Axt an der Freiheit
In den Parlamenten sitzen zu wenige Frauen. Ein Paritégesetz wie in Brandenburg ist aber der falsche Weg, diesen Missstand zu bekämpfen.
D as Paritégesetz Brandenburgs, das Parteien dazu verpflichtet ihre Wahllisten paritätisch mit Männern und Frauen zu besetzen, hat in der linken und liberalen Öffentlichkeit ein überwiegend positives Echo gefunden. Die taz verglich es mit der Einführung des Frauenwahlrechts vor 100 Jahren und bezeichnete es als „Meilenstein für die deutsche Politik“. Ein Meilenstein ist dieses Gesetz gewiss, allerdings einer auf dem Weg zur Aushöhlung politischer Gleichheit als demokratischen Grundprinzips.
Die positiven Kommentare zum Brandenburger Gesetz weisen in der Regel darauf hin, dass der Anteil von Frauen in den deutschen Parlamenten deutlich unter 50 Prozent liegt, im Bundestag sogar bei der letzten Wahl wieder leicht auf nun 30,9 Prozent gesunken ist. Dies lässt sich mit guten Gründen als ein zu bekämpfender Missstand sehen.
Aber ist es legitim und politisch richtig, ihn zu beseitigen, indem man die Parteien per Gesetz verpflichtet, ihre Listen paritätisch mit Männern und Frauen zu besetzten? Der damit verbundene Eingriff in die demokratische Willensbildung der Parteien und damit indirekt auch in die Wahlfreiheit der Bürger wird in der Regel mit dem Gleichberechtigungsgebot des Grundgesetzes gerechtfertigt. Vor allem ein Satz in Artikel 3 des Grundgesetzes wird hierfür herangezogen. Er lautet: „Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.“
Nun ließe sich darüber streiten, ob dieser Satz tatsächlich den staatlichen Auftrag enthält, in allen gesellschaftlichen Bereichen eine strikte Geschlechterparität durchzusetzen. Schließlich steht der Artikel 3 unter der Überschrift „Gleichheit vor dem Gesetz“. Gleichberechtigung verbietet mit Sicherheit Benachteiligung und Diskriminierung. Ob sie Parität in allen gesellschaftlichen Bereichen verlangt, ob also etwa alle Stellen im Erziehungs- und Bildungsbereich oder alle Technikerstellen zu jeweils 50 Prozent mit Männern und Frauen zu besetzen sein müssten, dürfte gesellschaftlich, rechtlich und politisch höchst umstritten sein.
Aufgelöst in Gruppenzugehörigkeiten
Bei Parlamentswahlen haben wir es jedoch mit einem anderen Fall zu tun. Hier geht es um die politische Repräsentation der Gesellschaft und damit auch um die Verteilung von Machtpositionen. Darauf bezogen, lautet die Argumentation, das Parlament sollte gerechterweise die Zusammensetzung der Bevölkerung widerspiegeln. Die ehemalige Verfassungsrichterin Christine Hohmann-Dennhardt formulierte gerade erst in der Süddeutschen Zeitung, Frauen wollten sich „als die eine Hälfte des Volkes im Parlament entsprechend repräsentiert sehen“.
Ein solches Plädoyer für eine die Struktur der Bevölkerung möglichst genau widerspiegelnde Repräsentation im Parlament wirft selbstverständlich die Frage auf, warum sie nur für Frauen gesetzlich durchgesetzt werden sollte, nicht aber auch für andere benachteiligte Gruppen. Die amerikanische Feministin Iris Marion Young forderte deshalb für die USA auch bereits in den 1990er Jahren besondere Repräsentationsrechte für eine lange Reihe historisch unterdrückter Gruppen: für „women, blacks, Native Americans, Chicanos, Puerto Ricans and other Spanish-speaking Americans, Asian Americans, gay men, lesbians, working-class people, poor people, and mentally and physically disabled people“.
Die Konsequenz, mit der Young ihre Konzeption von Gruppenrepräsentation und differenzierter Staatsbürgerschaft ausbuchstabiert, enthüllt zugleich deren Kehrseite: Die rechtliche und politische Gleichheit, auf der moderne Demokratien basieren, wird aufgelöst in Gruppenzugehörigkeiten.
Anders als in traditionalen Gesellschaften entsteht mit der modernen Demokratie eine politische Ordnung, die nicht mehr der Ordnung der Gesellschaft entspricht. Die Gleichheitsordnung bildet hier einen eigenen, gewissermaßen künstlich geschaffenen Bereich, in dem Konflikte unter Abstraktion von gesellschaftlichen Hierarchien politisch, das heißt durch Diskussionen und letztlich durch Wahlen und Abstimmungen, entschieden werden.
Gewiss hebt die rechtliche und politische Gleichheit, wie schon vor mehr als 150 Jahren Marx kritisierte, die weiterbestehenden gesellschaftlichen Ungleichheiten nicht auf. Die Arbeiter blieben Arbeiter, auch als sie das allgemeine und gleiche Wahlrecht erkämpft hatten. Ihre Parteien konnten jedoch, sofern sie Mehrheiten gewannen, über Arbeitsgesetze, Bildungspolitik und staatliche Umverteilung auf den Abbau dieser Ungleichheiten hinwirken. Und grundsätzlicher: Gerade die Abstraktion von weiterbestehenden gesellschaftlichen Ungleichheiten schafft einen Bereich, in dem sich Menschen als Gleichberechtigte begegnen und frei entscheiden können. Deshalb setzt er auch eine Handlungslogik frei, die derjenigen von Markt und Herrschaft entgegensteht.
So steht es politischen Parteien selbstverständlich frei, Maßnahmen zu fordern, mit denen existierende Diskriminierungen beseitigt und Hindernisse für eine politische Repräsentation benachteiligter Gruppen abgebaut werden sollen. Eine Partei kann auch beschließen, mehr Kandidatinnen als Kandidaten zur Wahl zu stellen – ein Recht, das die Grünen seit Jahren so wahrnehmen.
Ein Gesetz jedoch, das es Parteien verbietet, zur Wahl zu stellen, wen sie wollen, und ihnen vorschreibt, in welchem Umfang sie bestimmte Bevölkerungsgruppen auf ihre Listen zu setzen haben, beschränkt die demokratische Willensbildung der Parteien und die Wahlfreiheit der Bürger. Es regelt die Zusammensetzung des Parlaments zunächst in einer, potenziell jedoch in vielerlei Hinsichten statt durch Wahlentscheidungen durch gesellschaftlichen Proporz. Damit legt es die Axt an den Kernbereich politischer Gleichheit und Freiheit.
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