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Kommentar WachstumsprognoseDen Börsen nicht vertrauen

Ulrike Herrmann
Kommentar von Ulrike Herrmann

Altmaiers Schätzung zum Wirtschaftswachstum ist vorsichtig. Zu Recht: Europa starrt auf den Brexit, dabei steht ein anderes Risiko vor der Tür.

Risikofaktor Eurozone: Kann die EZB den italienischen Banken helfen? Foto: Jens Büttner/ZB/dpa

W achstsumsprognosen sind schwierig und fast immer falsch. Niemand weiß dies besser als Wirtschaftsminister Peter Altmaier, der schon öfter danebengelegen hat. Im vergangenen Frühjahr verkündete er beispielsweise, dass das Wachstum im Jahr 2018 bei 2,3 Prozent liegen werde.

Am Ende waren es aber nur 1,5 Prozent. Also ist er diesmal vorsichtiger. Am Mittwoch gab Altmaier die neueste Schätzung für 2019 bekannt: Das Plus soll ein Prozent betragen. Diese Angabe klingt zwar hypergenau, ist aber so unsicher wie immer.

Noch ist die Stimmung jedenfalls besser als Altmaiers Prognose: Die Börsianer haben sich gerade entschieden, wieder auf Optimismus zu machen. Seit einem Kurssturz im Dezember sind die Aktien um 15 Prozent gestiegen. Allerdings tut die Bundesregierung gut daran, der Börse nicht zu vertrauen.

Zum Teil sind die Investoren nur in die Aktien zurückgekehrt, weil sie nicht wissen, wo sie ihr Geld sonst lassen sollen. Zudem sind die Gefahren offensichtlich: Wer weiß schon, wie der Brexit ausgeht? Oder was dem Handelskrieger Trump als Nächstes einfällt? Auch die Türkei ist ein permanentes Risiko, weil sich dort eine gigantische Immobilienblase aufgepumpt hat.

Jede Wachstumsprognose für Deutschland bleibt Makulatur

Das größte Gefahr dürfte allerdings direkt vor der Haustür liegen: Die Eurokrise ist nicht vorbei, sondern frisst sich weiter durch die Währungsunion.

Besonders sichtbar ist dieses Drama in Italien, das immer wieder Banken retten muss. Die italienischen Kreditinstitute geraten nicht ins Schlingern, weil sie korrupt und unfähig wären – sondern weil die italienische Wirtschaft stagniert, Firmen pleitegehen und ihre Kredite nicht zurückzahlen können.

Während ganz Europa noch auf den Brexit starrt, ist hinter den Kulissen längst ein anderer Kampf im Gange: Es geht um die Frage, ob und wie die EZB den italienischen Banken helfen könnte.

Bei aller Unsicherheit ist sicher: Jede Wachstumsprognose für Deutschland bleibt Makulatur, solange nicht geklärt ist, wie es mit der Eurozone weitergehen soll.

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Ulrike Herrmann
Wirtschaftsredakteurin
Der Kapitalismus fasziniert Ulrike schon seit der Schulzeit, als sie kurz vor dem Abitur in Gemeinschaftskunde mit dem Streit zwischen Angebots- und Nachfragetheorie konfrontiert wurde. Der weitere Weg wirkt nur von außen zufällig: Zunächst machte Ulrike eine Banklehre, absolvierte dann die Henri-Nannen-Schule für Journalismus, um anschließend an der FU Berlin Geschichte und Philosophie zu studieren. Sie war wissenschaftliche Mitarbeiterin der Körber-Stiftung in Hamburg und Pressesprecherin der Hamburger Gleichstellungssenatorin Krista Sager (Grüne). Seit 2000 ist sie bei der taz und schreibt nebenher Bücher. Ihr neuester Bestseller heißt: "Das Ende des Kapitalismus. Warum Wachstum und Klimaschutz nicht vereinbar sind - und wie wir in Zukunft leben werden". Von ihr stammen auch die Bestseller „Hurra, wir dürfen zahlen. Der Selbstbetrug der Mittelschicht“ (Piper 2012), „Der Sieg des Kapitals. Wie der Reichtum in die Welt kam: Die Geschichte von Wachstum, Geld und Krisen“ (Piper 2015), "Kein Kapitalismus ist auch keine Lösung. Die Krise der heutigen Ökonomie - oder was wir von Smith, Marx und Keynes lernen können" (Piper 2018) sowie "Deutschland, ein Wirtschaftsmärchen. Warum es kein Wunder ist, dass wir reich geworden sind" (Piper 2022).
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2 Kommentare

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  • wie den italienischen Banken helfen? Ist doch ganz einfach: Geld drucken oder erfinden oder was auch immer. Es klappt doch schon so lange in Griechenland, Portugal, Spanien etc. Warum nicht weiter machen. Wir haben doch genug:)

    • @joaquim:

      Wer ist Ihrer Meinung nach "wir"?



      Bei mir ist da nichts angekommen.

      Die Wirtschaft ist ja bereits aus dem Ruder.

      Und das weil nicht mehr derjenige investieren kann, der besonders gut wirtschaftet, sondern ausschließlich die Finanzinsitutionen, weil sie quasi umsonst an Geld rankommen - und damit erstere aufkaufen können.