Katja Kipping über Hartz-IV-Diskussion: „Abschaffung braucht starke Linke“

Die Linken-Vorsitzende Katja Kipping begrüßt den grünen Vorschlag einer „Garantiesicherung“. Sie kritisiert aber, dass Aussagen zur Erhöhung des Regelsatzes fehlen.

Katja Kipping spricht und gestikuliert dabei mit einer Hand

Katja Kipping Foto: reuters

taz: Frau Kipping, sind Sie froh, dass SPD und Grüne sich jetzt von Hartz IV abwenden?

Katja Kipping: Ja, klar. Vor zwölf, dreizehn Jahren musste ich einst in meiner Partei die völlige Sanktionsfreiheit als Ziel durchsetzen. Das ist inzwischen auch die Position einiger Wohlfahrtsverbände geworden. Und nun fordert dies auch Robert Habeck.

Alles wird gut?

Man muss genau hinschauen. Habeck hat ein differenziertes Programm vorgelegt. Bei der SPD klingt es eher nach unverbindlichen Absichtserklärungen. Es fehlen konkrete Zahlen und Ansagen, welche Gesetze geändert werden sollen.

Grünen-Chef Robert Habeck schlägt in der Debatte um die Zukunft des umstrittenen Hartz-IV-Systems eine grundlegend neue „Garantiesicherung“ vor. Ein Zwang zur Arbeitsaufnahme und Sanktionen entfallen dabei, wie aus einem Papier hervorgeht, über das zuerst Zeit Online berichtete. Damit gelte es, das „Hartz-IV-System hinter uns zu lassen“. Im Gegensatz zu Ideen für ein bedingungsloses Grundeinkommen solle es aber bei einer Prüfung der Bedürftigkeit bleiben. Der Vorstoß solle nun in die Diskussion über ein neues Grundsatzprogramm der Grünen einfließen. (dpa)

Zündet die SPD nur Nebelkerzen?

Die SPD ist wahrscheinlich ernsthaft auf der Suche nach Alternativen. Was dabei herauskommen wird, ist noch offen. Die SPD verharrte leider noch beim Prinzip der Sanktionen, auch wenn sie besonders harte Sanktionen gegen Jüngere mittlerweile in Frage stellt.

Sie sind also näher bei Habeck als bei Nahles?

Ich würde sagen: Habeck ist näher bei uns. Hartz IV durch eine sanktionsfreie Mindestsicherung von 1.050 Euro zu ersetzen, fordern wir ja seit Jahren. Kritisch scheint mir, dass die Erhöhung des Regelsatzes in dem Habeck-Papier fehlt. Die grünen Fachpolitiker wissen eigentlich, wie hoch der werden muss. Wohlfahrtsverbände wie die Diakonie und Paritäter haben Berechnungen vorgelegt. Wir gehen von 570 Euro aus. Da bleiben die Grünen unverbindlich, wohl aus Angst über die Finanzierung reden zu müssen.

40, führt die Linkspartei seit 2012 gemeinsam mit Bernd Riexinger.

Aber Habeck rechnet ja mit Mehrkosten von 30 Milliarden Euro jährlich.

Ja, aber die werden sich nicht, wie die Grünen glauben, allein durch Bürokratieabbau einsparen lassen. Dafür braucht man u.a. eine Besteuerung von Millionenerbschaften. Ich bin skeptisch, ob die Grünen das wollen.

Sehen Sie die Gefahr, dass die Grünen der Linkspartei das Thema Hartz IV entwenden?

Nein. Es ist ein großes Projekt, für fortschrittliche Mehrheiten und eine Regierung der sozialen Vernunft zu kämpfen. Wenn wir Gemeinsamkeiten finden, für die es auch gesellschaftliche Mehrheiten gibt, dann ist das erfreulich. Klar ist, dass die Grünen Habecks Ideen nur in einer Mitte-Links Regierung umsetzen können. Die Abschaffung von Hartz IV braucht also eine starke Linke. Sonst bleibt es bei der Debatte.

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