Debatte Grüne und Feminismus: Gestrig und ängstlich
Die Grünen versäumen den neuen Feminismus. Dabei könnten sie damit nicht nur zur Europawahl, sondern auch für die Partei einiges bewegen.
W enn die Grünen nicht gerade von sengenden Sommern oder verrückten Bajuwaren profitieren, dann lautet ihre Formel für zukünftigen Erfolg „Neue Zeiten – neue Antworten“. Eine dieser neuen Antworten wurde neulich auf dem „Zukunftskongress“ der grünen Frauen Anfang September in Leipzig propagiert, um nicht zu sagen: gefeiert. „Feminismus wird Programm“, hieß es da. Die grünen Frauen wollen den feministischen Aufbruch in der Gesellschaft nicht verpassen und in die Partei holen. Die Frauen, wohlgemerkt, denn im Kurs der Gesamtpartei ist von der Party noch nichts angekommen. Mehr noch, sie schickt sich an, eine einmalige Chance zu verpassen.
Denn gesellschaftlich bewegt sich gerade eine Menge: Es gibt Debatten über sexualisierte Angriffe unter den Stichworten #MeToo und #ausnahmslos, über mehr Frauen in Entscheidungspositionen unter dem Stichwort „Pro Quote“, über ungleiche Bezahlung und Geschlechterbilder in den Medien – und viele Bewegungen zur Anerkennung feministischer Vielfalt. Vor allem aber gibt es weltweit eine Art Schock angesichts des Ausmaßes an übersteigerter, egomanischer, menschenverachtender, nationalistischer Männlichkeit, die sich im Rechtspopulismus Bahn bricht. Sogar in Bayern zeigt sich vor der Wahl, dass das bajuwarische „Mannsbild“ nur noch eingeschränkt vermittelbar ist.
Die Grünen könnten alles im Angebot haben, um hier eine Alternative zu bieten. Allein: Die Auslage ist leer. Gerade erst liegt der Entwurf für ein Europawahlprogramm vor. Darin ist Feminismus keinesfalls „Programm“, wie noch in Leipzig gefordert. Programmatischer Feminismus müsste ja an vielen Stellen sichtbar werden. Er würde für eine feministische Außenpolitik einstehen oder im Wirtschafts- oder Sozialkapitel erklären, wie die besonderen Lagen, die durch unsere geschlechtliche Arbeitsteilung entstehen und die zu Ungerechtigkeiten wie dem Lohngefälle führen, politisch zu behandeln sind. Nichts davon ist in dem Entwurf zu lesen.
Auffangen könnte man dieses Versäumnis vielleicht noch dadurch, dass man irgendwo erklärt, Feminismus als Programm betreiben zu wollen. Genau dies geschieht im Entwurf des Bundesvorstands aber nicht. Im Europawahlprogramm von 2014 hatten die Grünen noch gefordert, die Politik der EU flächendeckend auf mögliche Benachteiligungen der Geschlechter zu überprüfen. Im aktuellen Entwurf gibt es zwar wieder ein Kapitel zur Gleichstellung. Aber dieser Punkt ist darin nicht mehr zu finden. Lediglich die Überprüfung der Budgets auf Benachteiligungen ist noch vorgesehen.
„When they go low, we go high!“
Die Grünen wollten angeblich in „neuen Zeiten neue Antworten“ geben, so der Slogan zu ihrem neuen Grundsatzprogramm. Im Europaprogramm findet sich aber nur Altbekanntes – niedrig dosiert: Man „unterstützt“ eine Quote für Aufsichtsräte, man möchte gern, dass das Europäische Genderinstitut EIGE mehr Geld bekommt und die Istanbul-Konvention umgesetzt wird. Statt struktureller Lösungen bieten die Grünen „do it yourself“ an: Die Europäische Grundrechtecharta soll individuell einklagbar werden, Verbände gegen Diskriminierungen klagen können. Gerichtsverfahren als Politikersatz.
Die Grünen überlegen wie alle Demokrat*innen gerade, wie sie der grassierenden Demokratieverachtung entgegenwirken können. Das latente Legitimationsproblem der mehr oder weniger repräsentativen Demokratie ist spätestens seit der Finanzkrise akut geworden. Sozialstaat abbauen und Großkapital retten: kam nicht gut an. Zum einen also müsste jede Partei sich sputen, eine solide Sozial- und Steuerpolitik anzubieten.
Zum zweiten aber, und das wäre eben ein Alleinstellungsmerkmal der Grünen, kann man das Repräsentationsdefizit auch durch programmatischen Feminismus bekämpfen: Der bedeutet ja nichts anderes, als dass beide Hälften der Bevölkerung und dazu noch verschiedene Minderheiten gleich gut teilhaben können, Rechte wahrnehmen können, sich entfalten können. Hier! Wir sind die anderen!, könnten die Grünen rufen – und mit Michelle Obama: „When they go low, we go high!“
Doch da ist nichts zu hören. Die Grünen wirken gestrig und ängstlich. Das ergibt insgesamt eine Irritation, denn ihre Führungsriege ist modern und jung. Würde man sie fragen, würden sie sich alle Feminist*in nennen, auch die Männer. Warum tun sie es nicht laut und deutlich? „He for She“, schon mal gehört, von der Kampagne, mit der Männer ihre männlichen Privilegien für die Förderung der Rechte anderer nutzen? Die Grünen verkörpern ja geradezu einen alternativen Männlichkeitsentwurf: Hier sind die Detox-Männer gegen toxische Männlichkeit! Raus mit ihnen!
It’s 2018!
Es ist ja heute gar nicht mehr so, dass Feminismus politisches Kassengift wäre, wie noch vor kurzem. Es gibt Ansätze einer neuen Frauenbewegung – durchaus auch europaweit. Und falls Sie noch nie etwas von feministischer Außenpolitik gehört haben: Gerade hat sich das „Centre for feminist foreign policy“ in Berlin gegründet, da kann man nachlesen, was das sein könnte. Und nicht nur das: Die Mitte der Gesellschaft ist in diesen Fragen geradezu feministisch eingestellt, sogar die CDU setzt Quoten durch.
Hier wollten die Grünen doch auf Fischfang gehen, warum tun sie es nicht? Gratis und obendrauf könnte man zudem noch ein kräftiges Signal in Richtung neurechter Herrenreiter mit Dackelkrawatten senden.
Aber das Führungsteam versteckt seinen Feminismus im Schrank. Als hätten wir noch 2005 und Harald Martenstein würde die Geschlechterdebatte dominieren. Als seien sie verängstigt durch 10 Jahre Feminismusverdrossenheit. Es ist vorbei! It’s 2018!, möchte man ihnen zurufen. Dass ausgerechnet die Grünen den neuen Feminismus liegen lassen, der sie so wenig kosten würde und so viel einbrächte – erstaunlich ist das schon.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Grundsatzpapier von Christian Lindner
Eine gefährliche Attacke
Alkoholpreise in Deutschland
Das Geschäft mit dem Tod
Jüdische Wähler in den USA
Zwischen Pech und Kamala
Protest in Unterwäsche im Iran
Die laute Haut
Experten kritisieren Christian Lindner
„Dieser Vorschlag ist ein ungedeckter Scheck“
Soziologe über Stadt-Land-Gegensatz
„Die ländlichen Räume sind nicht abgehängt“