Neue App der Krankenkassen: Patient gerettet, Datenschutz tot

Mit einer neuen Smartphone-App wollen Krankenkassen leichter Patientendaten austauschen. Ärzte sind begeistert, Datenschützer nicht.

Auf einer Röntgenaufnahme machen Finger ein "OK"-Zeichen

Alles supi! Lohnt es sich, PatientInnen zu durchleuchten? Foto: Owen Beard/Unsplash

BERLIN taz | Die Blutwerte kommen vom Hausarzt, die Röntgenbilder vom Orthopäden, der Allergietest vom Hautarzt. Wer auf der Suche nach einer Diagnose für seine Beschwerden ist, muss oft viel Zeit in unterschiedlichsten Praxen verbringen, wartet auf Termine, Ergebnisse – und leidet. Handy-Apps sollen wenigstens diese Beschwerden der Pa­tientInnen lindern und Analysen und Therapien beschleunigen. Denn problematisch ist vor allem, dass die unterschiedlichen Ärzte keinen schnellen Zugriff auf die notwendigen Daten haben.

Die digitale Akte Vivy soll das ändern. Über sie können Befunde, Laborwerte, Aufnahmen von Knochen, Magenspiegelung oder Gewebe gespeichert und weitergeleitet werden. 14 gesetzliche und 2 private Krankenversicherungen haben sich zusammengeschlossen. Rund 13,5 Millionen Versicherte sollen davon profitieren. Die App steht den Versicherten gratis zur Verfügung, und die Nutzung ist freiwillig. Derzeit werden die Versicherten befragt, ob sie die Anwendung verwenden wollen oder nicht.

Doch es geht nicht nur um den Austausch von Informationen. Die App kann angeblich noch viel mehr. Sie soll Eltern an die regelmäßigen U-Untersuchungen ihrer Kinder erinnern, sie kann Überweisungen speichern oder auch Informationen aus dem Mutterpass für Schwangere. Wer Diabetes, Schilddrüsenprobleme oder Herz­beschwerden hat, kann sich über die App an die Medikamenteneinnahme erinnern lassen oder eine wichtige Impfung.

Laut einer aktuellen Forsa-Umfrage sollen zwei Drittel der Bundesbürger nicht wissen, wann sie ihren Schutz vor Tetanus auffrischen müssen. Auch bei der Krebsvorsorge oder der Prostata-Untersuchung sind die Menschen in Deutschland nachlässig.

Sogar vor Nebenwirkungen soll Vivy warnen. Das Magenmittel passt nicht mit dem Antibiotikum zusammen? Bevor der Arzt eine Einschätzung abgibt, blinkt die App auf und bewahrt den Patienten vor einer falschen Einnahme, die fatale Folgen haben kann.

Die Hoffnung ist groß, dass damit Menschen schneller geholfen wird, wieder gesund zu werden. „Vivy wird im Praxisalltag vieles einfacher machen“, sagt Andreas Storm. Er ist Vorstandschef der DAK-Gesundheit, die sich an der App beteiligt. Weitere Krankenversicherungen, die mitmachen, sind die Allianz Private Krankenversicherung und die Barmenia. Aufseiten der gesetzlichen Kassen sind die Innungskrankenkassen IKK classic, IKK Nord, IKK Südwest und mehrere Betriebskrankenkassen dabei.

Transparentere, nachvollziehbare Entscheidungen?

Neben Vivy gibt es eine E-Akte der Techniker Krankenkasse. Bei TK Safe sind die Versicherungen Generali und Signal Iduna beteiligt. Die Daten sollen auf Servern in Deutschland angelegt werden. Zudem hat die AOK ein Modell vorgelegt. Dabei bleiben die Informationen der Patienten beim Arzt. Bei Bedarf führt ein Suchalgorithmus die Daten zusammen.

Die digitale Krankenakte ist ein Prestigeprojekt der Bundesregierung. Spätestens ab 2021 müssen die Krankenkassen den Versicherten eine elektronische Patientenakte zur Verfügung stellen und sie darüber auch informieren. Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) sieht darin die Chance, für mehr Patientensicherheit zu sorgen. „Der digitale Austausch von Informationen zwischen Behandelnden in Krankenhäusern und ambulanten Praxen wird damit schneller und sicherer gelingen“, sagt Spahn. Ärztliche Entscheidungen sollen transparenter werden, nachvollziehbar für PatientenInnen.

Auch die deutsche Ärzteschaft äußert sich weitgehend begeistert. Der Präsident der Bundesärztekammer, Frank Ulrich Montgomery, appelliert an Ärzte, Verbraucher und Politik in der digitalen Welt, Patientensicherheit neu zu denken. „Einfache Gesundheits-Apps können eine gesunde Lebensführung unterstützen, aber auch großen Schaden anrichten“, sagt Montgomery. Er plädiert außerdem für ein bundesweites Gütesiegel für digitale Gesundheitsanwendungen. Die neue Gesundheitswelt sei kein Selbstläufer, sagte Montgomery. Er forderte Transparenz bei den Apps und Klarheit darüber, auf welcher Grundlage bei den Angeboten Empfehlungen ausgesprochen werden.

Daten- und Verbraucherschützer schlagen jedoch Alarm und warnen vor allzu viel Optimismus. Die Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen hat bereits im Frühjahr 17 Apps untersucht. Das Ergebnis der Experten: NutzerInnen können kaum herausfinden, ob die Gesundheits-App ihnen nutzt oder nicht.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Wir würden Ihnen hier gerne einen externen Inhalt zeigen. Sie entscheiden, ob sie dieses Element auch sehen wollen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.