Kommentar zu „Maischberger“ und Islam: Mediation statt Provokation
Die ARD-Talkshow über den Islam lockt mit Angstmache und bietet dann plätschernde Gesprächstherapie. Genial oder fatal?
Wenn schon Julia Klöckner mahnt, man möge doch bitte „net so holzschnittartig herangehen“, dann sind wir bei einem Polittalk in der ARD im Juni 2018. Die Ministerin, bei der aus einem verweigerten Handschlag gleich ein ganzes Buch über Vollverschleierung, Beschneidung und Ehrenmorde geworden ist, hat in der Maischberger-Runde am Mittwochabend dann doch die Differenzierung vermisst.
Und genau dahin wollten Sandra Maischberger und ihre Redaktion die Gäste offenbar auch führen, als sie Anfang der Woche ihren Sendungstitel bestimmte. „Sind wir zu tolerant gegenüber dem Islam?“ (Zwischendurch abgeschwächt, aber vom Internet natürlich archiviert.)
In einer von NS-Relativierungen und einer Plasberg-Sendung über kriminelle Flüchtlinge bereits überstrapazierten Diskurswoche klingt das nach Öl im Feuer. Zumal die Mittwochs-Talkrunde obendrein an die Ausstrahlung von „Unterwerfung“ anschloss, der eigens von der ARD verfilmten Islamdystopie des französischen Autors Houellebecq.
Im Stuhlkreis saßen neben Klöckner die (äußerst holzschnittartige) Islamkritikerin Necla Kelek, Haluk Yildiz von der gar nicht mal so bedeutsamen Migrant*innen-Partei BIG, Spiegel-Autor Jan Fleischhauer (Kichern in der Runde, als es um „Schweinefleisch“ geht) und Bettina Gaus von der taz, deren Performance wir hier aus Befangenheitsgründen nicht diskutieren. Allein aufgrund der Gäste und der Reizwortdichte („Opferkarte“, „Vorauseilender Gehorsam“, „Burkini“, „Afrika“) hätte es eine Schlammschlacht sein müssen.
Stattdessen aber erprobte sich Sandra Maischberger in den Grundregeln der Gruppenmediation und machte aus ihrer im Vorfeld hochkontrovers diskutierten Sendung eine plätschernde Gesprächstherapie. „Können Sie das verstehen, was Frau Klöckner da sagt?“ „Frau Klöckner, was war das für ein Gefühl, als man ihnen den Handschlag verweigert hat?“.
Lehrstunde in gewaltfreier Kommunikation
Alle Parteien dürfen einmal ihre Gefühle mitteilen, die Zuhörenden sollen signalisieren, dass sie gehört und verstanden haben. Über den Umweg der Provokation fand man mittels Empathie schließlich zu so etwas wie Differenzierung.
Das ist eigentlich ziemlich genial: Die ganze Nation mit einem Holzhammer-Sendungstitel vor die Bildschirme locken, und dann kollektiv in gewaltfreiem Diskussionsverhalten schulen. Öffentlich-rechtlicher Auftrag erfüllt.
Leider verfestigt all das auch die Vorstellung, dass jede noch so pauschalisierende Behauptung über „den Islam“ als gleichberechtigtes Argument neben allen anderen stehen darf – solange man nur nett zueinander ist.
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