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Viel Schatten, wenig Licht

Mitten in Altona, auf einem ehemaligen Bahngelände, errichtet Hamburg ein neues Stadtviertel. Dabei wird bis zu acht Geschosse in die Höhe gebaut, und in viele Wohnungen scheint im Winter keine Sonne hinein. Ist das der Preis für die Verdichtung der Städte?

Häuserschluchten mit Ausblick: Noch fährt der ICE an der „Neuen Mitte Altona“ vorbei. Wenn der Fernbahnhof Altona verlegt ist, fährt hier nur noch die S-Bahn Foto: Miguel Ferraz

Von Gernot Knödler

Der Hamburger Senat hat sich ein ehrgeiziges Ziel gesetzt. 10.000 Wohnungen will er jedes Jahr bauen lassen, um dem erwarteten Zuzug zu begegnen und die Mietpreise zu dämpfen. Der Senat belohnt die Bezirke, wenn sie Baugelegenheiten schaffen; er hat mit der Wohnungswirtschaft einen „Vertrag für Hamburg“ geschlossen und er hat einen Wohnungsbaukoordinator eingesetzt, der Hindernisse aus dem Weg räumen und die Projekte durchdrücken soll. Dazu gehört viel Klein-Klein – das Füllen einer Baulücke hier, eine Aufstockung da.

Mitten in Altona dagegen wird gerade geklotzt. Hier räumt die Bahn den Großteil ihrer Flächen am Bahnhof – mit 26 Hektar ein Gebiet von der anderthalbfachen Größe der Binnenalster. 3.500 Wohnungen für überschlägig 10.000 Menschen sollen hier gebaut werden. Der erste Abschnitt mit 1.600 Wohnungen wächst bereits in die Höhe, die ersten Häuser und der erste Block sind bereits bezogen.

Geplant ist das neue Viertel in Blockrandbebauung, die das Raster des rund 100 Jahre älteren Nachbarviertels Altona-Nord aufgreifen soll. „Wir wollten an der Altonaer Körnung ansetzen“, hatte Oberbaudirektor Jörn Walter die Vorgabe erklärt.

Der erste Bauabschnitt gliedert sich in zwei Quartiere nördlich und südlich eines zen­tralen Parks. Dazu kommen zwei Plätze, wobei einer die Verbindung zum Nachbarviertel herstellt. Die Häuser sind so gestaltet, dass sie dem Fußgänger eine gewisse Aufenthaltsqualität bieten: mit weit hinuntergezogenen Fenstern und in wechselnden Farben verklinkerten, teils in Mustern gemauerten Fassaden. Das Viertel, in das gerade auch Familien einziehen sollen, wird eine eigene Schule haben, Sport- und Spielgelegenheiten bieten, es soll inklusiv sein und autoarm.

Nicht zuletzt ging es der Politik aber darum, an zentraler Stelle viele Menschen unterzubringen. „Das sollte ein Haufen Baumasse sein“, sagt Sven Hielscher (CDU) vom Altonaer Planungsausschuss. „Das ging natürlich nur in die Höhe.“ Fünf bis acht Stockwerke hoch werden die Wohnhäuser, die sich zum Teil um recht kleine Höfe gruppieren. Der Kleinste hat mit bis zu 27 Metern die höchste Randbebauung und misst nicht einmal 30 mal 30 Meter im Quadrat. Geplant ist hier sozialer Wohnungsbau.

Der Bebauungsplan sei in großem Einvernehmen vom Bezirk für gut geheißen worden, sagt Hielscher. Im Nachhinein finde er das Viertel aber „schon ziemlich eng in Verbindung mit der Höhe“. In einem ebenfalls neu zu planenden Nachbarquartier auf dem Gelände der Holstenbrauerei werde bereits die Lehre daraus gezogen.

Weil die Bebauung so hoch und eng ist, bekommen viele Wohnungen wenig Sonne ab. Der einschlägigen Industrienorm zufolge soll ein Wohnraum jeder Wohnung am 17. Januar mindestens eine Stunde Sonne, am 21. März – zur Tag- und Nachtgleiche – vier Stunden Sonne bekommen. Die Norm gilt als Mindestanforderung für gesunde Wohnverhältnisse.

Es gibt zwar privilegierte Wohnungen mit Südfassade zu einem der Plätze, die Sonne satt bekommen, doch laut dem Verschattungsgutachten für den einschlägigen Bebauungsplan Altona 26 „werden in den unteren Geschossen der neuen Wohnbebauung die Kriterien der DIN 5034-1 überwiegend nicht eingehalten“. Selbst die Wohnungen im zweiten und dritten Stock erhalten – anders als das nicht ganz so dicht bebaute Altbauviertel nebenan – im Winter keine Stunde Sonne. „Eine Reduzierung der Bebauungshöhe, insbesondere an den Südflanken, könnte die Situation verbessern“, schreibt der Gutachter.

„Was hier stattfindet, ist Luxusproduktion“

Bernd Kniess, Dekan des Studiengangs Urban Design an der Hafencity-Universität Hamburg

In den etwas großzügigeren Höfen der südlichen Blocks fällt die fehlende Sonne bei dem notorischen Hamburger Schmuddelwetter im Winter nicht auf. Die meisten Wohnungen haben Balkons zum Hof hin. Ihre Bewohner profitieren so wenigstens vom diffusen Licht.

Der bereits fertige Hof ist eine Art Rasenlandschaft mit Spielplatz und Wegen. Die Erdgeschosswohnungen haben schmale Terrassen. Ein Durchbruch öffnet ihn zu einer Wohnstraße, sodass er einen halböffentlichen Charakter bekommt. Wer in den gegenüberliegenden Hof will, muss eine breite Tordurchfahrt durchschreiten.

Wer hier wohnen will, muss 1.250 Euro Miete netto kalt für drei Zimmer mit Balkon auf 81,5 Quadratmetern auf den Tisch legen. Der Kaufpreis für so eine Wohnung liegt am oberen Ende – bei etwas über einer halben Million Euro.

„Die Bezahlbarkeit ist eine sehr große Herausforderung“, sagt Bernd Kniess, Dekan des Studienprogramms Urban Design an der Hamburger Hafencity-Universität (HCU). Kniess, der vermeiden möchte, dass sich die Stadtteile in arme und reiche Viertel entmischen, argumentiert pragmatisch. „Wenn ich bezahlbar in der Innenstadt wohnen will, muss ich möglicherweise auf Lebensqualität verzichten“, sagt der Professor.

Genau das sieht die Planung für Mitte Altona vor. Die von der städtischen Wohnungsbaugesellschaft Saga/GWG und zwei Genossenschaften zu errichtenden Sozialwohnungen liegen im Nordosten: an der Bahn, an einer Durchgangsstraße, mit den engsten Höfen, ohne freie Südseite.

Kniess findet, die Möglichkeiten, dichter zu bauen, seien in Hamburg längst nicht ausgereizt. Das zeige der Vergleich mit Metropolen im Ausland, wo mit ganz anderen Traufhöhen geplant werde. Ein anderes Thema hält er aber für viel interessanter: „Was wird eigentlich gerade gebaut?“

Die ersten Bewohner sind schon da: Blick in ein Fenster des Städtebau-Projekts „Neue Mitte Altona“ Foto: Miguel Ferraz

Das seien, sagt Kniess, überwiegen Drei- bis Vierzimmerwohnungen – und das in einer Stadt, in der jede zweite Wohnung nur von einer Person bewohnt wird. „Das, was hier stattfindet, ist Luxusproduktion“, sagt Kniess. Letztlich würden Wohnungen, die Familien zugedacht waren, von Singles oder Pärchen bewohnt, die sich das leisten können – „ein Wohlstandsproblem“, sagt Kniess. Tatsächlich ist die Wohnfläche pro Kopf in Hamburg seit dem Krieg ziemlich stetig gewachsen.

Eine soziale Schieflage sieht auch Malte Siegert vom Naturschutzbund (Nabu), welcher vor einem Dreivierteljahr eine Kampagne gegen den Flächenfraß in Hamburg gestartet hat. Der Senat sei in der Pflicht, der Entmischung zu begegnen, und müsse mehr Geld in den sozialen Wohnungsbau stecken. Zwar entsteht ein Drittel der Wohnungen in Altona mit Fördergeld, doch läuft die damit verbundene Mietbindung nach 15 Jahren aus. Damit sei auf mittlere Sicht nichts gewonnen, kritisiert Siegert. Er fordert, die Bindung zu entfristen.

Davon abgesehen hält der Nabu-Mann das Projekt Mitte Altona „für ein gutes Beispiel, wie man auf einer ehemals industriell genutzten Fläche gute Stadtentwicklung machen kann“ – auch wenn die Planer extrem wenig Grün gelassen hätten.

Siegert findet auch, dass Hamburg dichter bebaut werden könnte. „Ich fahre seit einem Dreivierteljahr mit einem besonderen Blick durch die Stadt“, sagt er. Dichter gebaut werden solle aber vor allem entlang der städtischen Hauptverkehrsachsen – nicht in ohnehin schon verdichteten Quartieren.

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