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Kommentar Ehegesetz in der TürkeiAuf dem Weg zur Scharia

Kommentar von Wolf Wittenfeld

Bald dürfen in der Türkei auch islamische Rechtsgelehrte zivile Ehen schließen. So wird das Zivilrecht ausgehebelt. Der nächste Schritt wird folgen.

Dieses Gesetz ist eine Gefahr – nicht nur für Säkulare Foto: Imago/Xinhua

E s hört sich zunächst harmlos an. Das türkische Parlament hat beschlossen, dass künftig neben regulären Standesbeamten auch islamische Imame zivile Ehen schließen dürfen. Was soll daran so schlimm sein, dass sich die gesamte Opposition in der Türkei und insbesondere die Frauen darüber aufregen? Schon bislang, so argumentiert die Regierung, war es auf dem Land häufig so, dass ein Imam Ehen geschlossen hat, die dann aber rechtlich nicht bindend waren und arme Gläubige damit diskriminiert hat.

Was die Regierung nicht sagt: Diese Ehen wurden in der Regel mit minderjährigen Mädchen abgeschlossen, die nach dem Gesetz noch gar nicht heiraten dürfen. Durch die Legalisierung dieser Imam Heiraten werden damit praktisch auch Kinderehen sanktioniert. Offiziell behauptet die AKP, sie habe das Heiratsalter für Mädchen angehoben, tatsächlich schafft sie so eine Möglichkeit, das eigene Gesetz zu umgehen, was auch von vielen hochrangigen Parteimitgliedern genutzt wird. Das gilt aber nicht nur für Kinderehen, auch die Mehrehe wird damit wieder legalisiert.

Das Gesetz hat aber noch eine sehr viel weitergehende Bedeutung: Es ist der Türöffner für die Wiedereinführung der Scharia, mindestens in einer moderaten Form. Die AKP hat eine große Erfahrung darin, strategische Ziele in kleinen Schritten anzusteuern, um so zunächst einen großen Aufschrei zu vermeiden. Deshalb ist offizielle auch nirgendwo von der Scharia die Rede. Doch mit den Imam-Heiraten wird das Zivilrecht an einem ersten Punkt ausgehebelt, und der nächste Schritt wird kommen. Vielleicht beim Scheidungs- oder Erbrecht, vielleicht an anderen Punkten.

Zunächst wird es nur um parallele Strukturen gehen, doch dann, schon um rechtliche Konflikte zu vermeiden, wird eine Entscheidung notwendig werden und die wird zugunsten der Scharia fallen. Die Argumentation ist absehbar und bereits verschiedentlich erprobt: Wir sind ein zu 98 Prozent muslimisches Land, werfen AKP-Ideologen dann in die Debatte, warum sollen wir unsere Gesellschaft nach dem europäischen Zivilrecht der Ungläubigen ausrichten. Spätestens dann kommt die Scharia.

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39 Kommentare

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  • und wieder geht mann völlig falsch an das Thema ran. Gratuliere.

     

    Niemand ist gezwungen einen Imam zur Eheschließung zu beauftragen, wer es aber gerne möchte darf es.

     

    Nun versucht der Author, dass in den Schatten zu stellen, in dem er Eheschließung durch einen Imam mit etwas abscheulichem wie die Kinderehe versucht die legitimität zu entreißen. Und stellt dazu gleich ein eigenhändig entworfenes Beweis : Es würden hauptsächlich nur Kinderehen geschlossen

  • Es soll ja auch Staaten geben, die gar keine Zivilehe kennen. https://www.israelnetz.com/politik-wirtschaft/politik/2015/07/08/knesset-stimmt-gegen-zivilehe/

  • Der Islam gehört zur Türkei.

    Und was ist an einer Ehe für Alle falsch ?

    • @Alreech:

      Interessante These die Sie hier in den Raum werfen. Also könnte sich ein 50-jähriger Mann ein 14-jähriges Mädchen als Ehefrau nehmen und nennt das dann "Ehe für Alle". Ich denke, dafür wären sogar hier in Deutschland viele ältere Männer.

       

      Aber Spaß beiseite, wir sollten das als aufgeklärte Europäer nicht auf die leichte Schulter nehmen, was in der Türkei momentan abläuft.

      • @Ricky-13:

        Warum soll sich der 50 jährige Mann nur ein Mädchen zur Ehefrau nehmen wenn der Prophet bis zu vier Frauen erlaubt hat ?

        Oder ist mit "Ehe für Alle" nur die "Ehe für Alle die unsere ultraliberalen Werte teilen" gemeint ?

         

        Was die "aufgeklärten Europäer" angeht welche "die Islamisierung der Türkei" ablehnen, so sollten die vielleicht eine Organisation gründen und regelmäßig demonstrieren.

        Man könnte sie AEGDIDT nennen...

        • @Alreech:

          der pädophile Prophet hatte sogar ein Kind zur Frau...

  • Bitte der Erdogan-Türkei jegliches Geld streichen!

    • 7G
      74450 (Profil gelöscht)
      @Hartz:

      Und damit vor allem die Erdogan-KritikerInnen bestrafen?

      • @74450 (Profil gelöscht):

        unlogisch....

      • @74450 (Profil gelöscht):

        Das Geld krallt sich doch erfahrungsgemäß das Establishment.

        Also Geldhahn zu!

      • @74450 (Profil gelöscht):

        Und wenn der Erdogan das Geld nutzt, um seine Macht zu festigen? Woher wollen Sie denn wissen, dass es seinen Gegnern nützt?

  • islamische Rechtsgelehrte hört sich merkwürdig an. Treffender wäre wohl Gelehrte islamischen Rechts. Dass sie außerhalb des religiösen Rechts auch im weltlichen Recht besondere Kompetenz haben, dürfte eher unwahrscheinlich sein.

  • Interessanter Kommentar, ohne die typische TAZ Brille zu dem Thema.

  • Wir sollten vielleicht auch überlegen hier in Deutschland islamische Rechtsgelehrten zivile Ehen schließen zu lassen. Wäre ein gutes Signal in Richtung unserer muslimischen Minderheit. Sicher integrationsfördernd.

  • Der Autor dieses Kommentars verwendet den Begriff "Scharia" auf eine Weise, die den Eindruck vermittelt bei der Scharia würde es sich um ein festgeschriebenes Gesetz handeln, welches so wie es formuliert wurde, eingeführt werden kann. Dies ist falsch. Die Scharia oder das islamische Recht ist die Summe jeder Norm, die durch islamische Rechtfindungsmethoden formuliert wurde. Länder wie Tunesien und Marokko haben bewiesen, dass ein gerechtes Personenstandsrecht, welches auf der Scharia basiert, möglich ist. In diesem Kommentar wird ganz klar islamisches Recht als rückständig und frauenverachtend hingestellt, ohne dass berücksichtigt wird, dass das islamische Recht flexibel ist und in einigen Ländern an aktuelle Situationen und Entwicklungen angepasst wurde. Im Gegensatz dazu ist das europäische Zivilrecht in diesem Kommentar der Garant für Gleichberechtigung der Frauen. Diese Meinung ist eurozentristisch und lässt komplett außer Sicht, was Rechtstransfer aus Europa in vielen Staaten angerichtet hat.

    Ich möchte weder Minderjährigenehen noch Polygamie entschuldigen und sehe gewisse Probleme in einem Rechtspluralismus, in dem ein System keine administrativen Strukturen beinhaltet. Lösung hierfür ist allerdings nicht den kolonialen Diskurs fortzuführen und europäisches Recht über eine falsche Vorstellung des islamischen Rechts zu stellen.

    • @Kamillo:

      Weil alles so schön kompatibel ist mit allem, dürfen auch Tunesierinnen seit ungefähr 3 Wochen Nicht-Muslime heiraten (im Klartext bedeutet das, das durften sie längste Zeit NICHT und sind nun, da sie es dürfen, auch damit einigermaßen Avantgarde in jenem Rechtsraum) während man in Marokko immer noch im Kerker landet, wenn man laut sagt, dass man Atheist ist. Und das sind die "liberalen Länder". Weiter ausholen muss man für's Erste glaube ich nicht um klar zu machen, dass Ihr Romantizismus was die Scharia betrifft zwar irgendwie süß ist, aber auch ziemlich rassistisch. Denn er gesteht einem Teil der Weltbevölkerung volle Freiheitsrechte zu, die er für "seinesgleichen" auch sehr schnell bedroht sieht, während er bei einem großen Teil der Weltbevölkerung plötzlich Dinge vollkommen akzeptabel (und Kritik daran infolgedessen "eurozentristisch") findet, die er für "seinesgleichen" gar nicht in die Tüte kämen.

       

      Ich könnte mir vorstellen, dass der ein oder andere One-World-Apologet nach ausgedehnten Ferien im nicht verwestlichten Nahen Osten Begriffe wie "Eurozentrismus" wie durch Zauberhand ganz rasch und für alle Zukunft durch "europäische Errungenschaften" ersetzen würde.

       

      Abgesehen lässt das Stichwort des "kolonialen Diskurses" in diesem Zusammenhang an Bildung zu wünschen übrig, denn nicht die Türkei war lange Zeit europäisch kolonialisiert, sondern viele Teile Europas waren osmanisch kolonialisiert.

    • @Kamillo:

      Ich kann dem Artikel nicht entnehme, der Autor halte die Scharia für einen Gesetzeskodex. Die Einführung der Schari bedeutet, religiöse Gesetz - von einem religiösen Würdenträger ausgelegt - ersetzen Gesetze, die im demokatischen Vefahren zustande gekommen sind. Und genau das bedeutet es, wenn ein Rechtsgelehrter Ehen schließt. Der Staat zieht sich raus

       

      Tunesien und Marokko sind genau Beispiele für Länder, die ein säkulares Gesetz haben, in das Werte des Islam nur einfließen. Neben weiteren Einflüssen. Die Präambel der Moudawana macht das deutlich.

       

      Die Türkei und das Osmanische Reich waren nie europäische Kolonie.

       

      Das Osmanische Reich kolonialisierte slbst weite Teile Arabiens, Nordafrikas und Europas. Es trat aber in den Ersten Weltkrieg als Bündnispartner des Deuschen Reiches ein, nicht als deutsche Kolonie.

       

      Heute ist die Türkei NATO-Partner. Eine Reihe von Journalisten bescheinigen der Bundesregierung eine Abhängigkeit von der Türkei wegen des Flüchtlingspaktes.

       

      Angesichts dessen von einem kolonialem Diskurs zu sprechen, ist eine nicht tragbare Relativierug von Kolonialismus.

       

      Einen Staat, der in seiner Geschichte mehrere Jahrhunderte lang andere Staaten beherrscht, ihre Bevölkerung unterdrückt hat und intensiv Sklavenhandel betrieb, auf einmal als Oper zu stilisieren, schadet dem antikolonialem Diskurs.

    • @Kamillo:

      @ KAMILLO Vielen Dank für Ihre wichtige Klarstellung.

  • Andere Länder, andere Sitten...und andere Religionen. Warum also diese Aufregung?

    • @Hans-Georg Breuer:

      "Wir sind ein zu 98 Prozent muslimisches Land, werfen AKP-Ideologen dann in die Debatte, warum sollen wir unsere Gesellschaft nach dem europäischen Zivilrecht der Ungläubigen ausrichten."

       

      Genau damit haben sie recht und genau deswegen passen sie nicht in die EU.

       

      Lasst den Moslems ihre Kultur, aber bitte in ihrem Kulturkreis.

       

      Werteransfer ist Mist, egal in welche Richtung.

      • 7G
        74450 (Profil gelöscht)
        @A. Müllermilch:

        Ersthaft? Oder war das der Versuch einer AFD-Parodie?

  • "Zunächst wird es nur um parallele Strukturen gehen, doch dann, schon um rechtliche Konflikte zu vermeiden, wird eine Entscheidung notwendig werden und die wird zugunsten der Scharia fallen. Die Argumentation ist absehbar und bereits verschiedentlich erprobt: Wir sind ein zu 98 Prozent muslimisches Land, werfen AKP-Ideologen dann in die Debatte, warum sollen wir unsere Gesellschaft nach dem europäischen Zivilrecht der Ungläubigen ausrichten. Spätestens dann kommt die Scharia."

     

    Das ist eine Spekulation und eines Journalisten unwürdig.

    • @agerwiese:

      Völlig abwegig sind die Befürchtungen nicht. Die letzten Jahre haben das gezeigt.

       

      Allerdings stimme ich Ihnen zu, dass man etwas vorsichtiger formulieren könnte.

    • @agerwiese:

      Das ist Weitsicht, ein Wesensmerkmal intelligenter Menschen, die die grösseren Zusammenhänge sehen können.

      • @Mitch Miller:

        Ja genau, Weitsicht durch eine stark politische Brille...

    • @agerwiese:

      Ich stimme Ihnen völlig zu. Mit einem objektiven Journalismus haben solche Aussagen wenig zu tun. Ich will gar nicht wissen, was für Türkei-Bashing und Erdogan – Bashing hier bei der Taz los wäre, wären alle Kommentare veröffentlicht.

      Was geht uns eigentlich die Türkei an? Wäre es nicht angebrachter über Polen, Ungran, Tz und Slowaken zu schreiben, die Erdogan und die Türkei als Waisenknaben stehen lassen, blickt man auf die Demokratie in diesen Ländern herrscht. Oder schauen wir doch einfach mal in unser Ossi-Land.

      • 3G
        39167 (Profil gelöscht)
        @Nico Frank:

        Das können Sie nicht ernst meinen, was Sie hier schreiben!

    • @agerwiese:

      Haben sie sich verlaufen, Troll?

       

      MfG.

      • @tätig ist:

        Haben sie nichts Besseres beizutragen?

  • Allet easy, solanges inner Türkei bleibt.

    Laut taz haben sich ja nur "0,59 Prozent der Berliner Bevölkerung" für den Spass begeistert. https://www.taz.de/Archiv-Suche/!5398412&s=demokratisch+by+nature/

  • Erkennen wir nicht teilweise Kinderehen bei Migranten an, bzw. dulden sie und unternehmen nichts? Unterstützen wir damit nicht das gleiche Denkmuster? Was für „unsere“ Kinder undenkbar ist, wird bei Kindern aus anderen Ländern anders bewertet, positiv umgedeutet, man will diese Kinder „schützen“ in dem man Kinderehen sehr weich akzeptiert, sprich man ignoriert deren Illegalität so weit es eben geht und die Pädophilie noch eine Grauzone ist („sie ist mehr eine Jugendliche als ein Kind“). Sind diese Kinder also nicht gleich? Wird das Gesetz von „kulturellem Migrationshintergrund“ gebogen und gebrochen? Was ist mit den Mördern der eigenen Ehefrauen? Auch hier gibt es kulturellen Bewertungsbonus vor Gericht, wenn das Abstechen, aus dem Fenster Werfen und anschließende Hilfeverweigerung der Ehefrau nicht als Vorsatz und Mord bewertet wird, sondern mildernd vom Gericht angeführt wird der Mann wäre sich der Rechtsnormen hier nicht bewusst (seit wann schützt unwissen vor Strafe? Und wo auf der Erde ist unbekannt dass Mord bestraft wird und die Ehefrau kein dinglicher Besitz ist?).

    Es ist das eine sich über die schleichende Akzeptanz und Einführung der Scharia in der Türkei aufzuregen, naheliegender wäre es aber vor unserer Tür zu kehren. Die Magnitude des Problems hier ist natürlich kleiner, aber die dahinter stehende Denkweise zur salamiartigen Einführung paralleler (de fakto geduldeter) Rechtsstrukturen und -Gesellschaften nicht unbedingt.

    • @hup:

      // ...naheliegender wäre es aber vor unserer Tür zu kehren. Die Magnitude des Problems hier ist natürlich kleiner, aber die dahinter stehende Denkweise zur salamiartigen Einführung paralleler (de fakto geduldeter) Rechtsstrukturen und -Gesellschaften nicht unbedingt.//

       

      Oh ja.

  • Zurück ins Mittelalter!

  • Kinderehen werden duch dieses Gesetz nicht santioniert sondern legalisiert. Ich denke das wollte auch der Autor des Kommentars schreiben...

    • @b2r:

      Nur indirekt. Verboten bleiben sie ja trotzdem. Die Kontrolle wird nur noch schwieriger.

    • @b2r:

      Sanktion hat zwei Bedeutungen: Einmal etwas zu genehmigen, das andere ist die heute geläufigere Bedeutung, etwas mit Strafen oder Strafzahlungen zu belegen, um es zu verhindern. Sanktion ist hier im Artikel legitim zu gebrauchen.