Der Berliner Wochenkommentar I: Es fehlt die Achtung der anderen
Das American Jewish Committee hat ein „Stimmungsbild“ unter Berliner Lehrern zu Antisemitismus an Schulen erstellt. Doch das eigentliche Problem liegt tiefer.
Das „Stimmungsbild von Berliner Lehrkräften zu Salafismus und Antisemitismus“ an Schulen, das das American Jewish Committee (AJC) und die Bildungsverwaltung am Mittwoch vorstellten, hat es in sich: Die befragten LehrerInnen berichteten von einem „steigenden Druck auf Schüler durch Mitschüler, auch innerhalb der Schule streng religiöse Verhaltensweisen zu befolgen“.
Westlich gekleidete Mädchen würden als „Schlampe“ und „Hure“ beschimpft, Schülerinnen würden aufgrund des Drucks das Kopftuch anlegen. An einigen Schulen habe sich „aufgrund sozial-religiöser Konflikte vermehrt eine Geschlechtertrennung herausgebildet“. Und: Jugendliche definierten sich zunehmend über Religion.
Nun könnte man kritisieren, dass all dies sattsam bekannt ist und dieses „Stimmungsbild“ eigentlich keine neuen Erkenntnisse bringt. Zumal es sich letztlich um eine nicht-repräsentative Umfrage unter 27 (!) LehrerInnen an 21 Schulen handelt. Man könnte auch anmerken, dass die Methodik, allein LehrerInnen zu befragen, vielleicht nicht ganz ausgereift ist. Zumal Angehörige dieser Berufsgruppe bisweilen selbst bekanntlich eine gehörige Portion Vorurteile haben gegenüber „Muslimen“, „Arabern“, „Türken“ – oder wie immer man Angehörige dieses Teils der Bevölkerung nennen mag.
Problematisch ist aber vor allem dies: So behauptet das AJC, man erhalte mit der Umfrage „erstmals einen breiteren Einblick, inwieweit extremistisches, intolerantes und antisemitisches Gedankengut bereits an einigen Berliner Schulen zu einem Problem geworden ist“. Heißt: Man will reden über Intoleranz, Extremismus und Antisemitismus – weist aber nur auf eine Gruppe: muslimische Jugendliche.
Dabei liegt das Problem tiefer. Salopp gesagt: Nicht nur „Jude“ ist auf dem Schulhof ein Schimpfwort, sondern auch „Krüppel“, „Mädchen“, „Schwuler“ oder „Ölauge“ (für Araber und Türken gleichermaßen). Will sagen: Es ist an unseren Schulen allgemein nicht weit her mit der Achtung von Anderen (gleich welcher Art) und damit von demokratischen Standards. Und da müssen die Schulen, müssen wir Erwachsenen in der Tat endlich ran.
Leser*innenkommentare
rero
Liebe Frau Memarnia, Prävention lebt davon, dass zielgruppenadäquat zugeschnitten ist. Indem Sie alle in einen Topf schmeißen, damit sich ja keiner verunglimpft fühlt, werden Sie kein Problem lösen.
Den Effekt, dass sich "aufgrund sozial-religiöser Konflikte vermehrt eine Geschlechtertrennung herausgebildet", werden Sie in einer Klasse mit ausschließlich christlichen oder atheistischen Kindern kaum finden.
"Jugendliche definierten sich zunehmend über Religion." - Auf wieviele christliche Jugendliche trifft das zu?
Und diesen sozial-religiösen Konflikten entgegenzutreten ist deutlich schwieriger, als dafür zu sorgen, dass "Krüppel" oder "schwul" nicht mehr als Schimpfwort benutzt wird.
Frau Memarnia, Sie als Journalistin haben in der Tat die Möglichkeit, das Problem "anzugehen". Sie werdeden es nicht schaffen, indem Sie es erst mal relativieren. Und die Lösung nur auf die Schulen abzuwälzen ist dann doch etwas billig. Das können Schulen nicht leisten.
Übrigens kann man in Artikeln anderer Zeitungen noch viel problematischere Einzelheiten der Studie lesen:
"In Klassen gibt es Moralwächter, die Schüler maßregeln und Aussagen der Lehrer überprüfen. Sie übten Druck aus, zu fasten und ein Kopftuch zu tragen, und verbreiteten ein intolerantes Religionsbild." Quelle: http://www.berliner-zeitung.de/28000218 ©2017
"Verschwörungstheorien seien mittlerweile in allen Schülergruppen weit verbreitet, spielten aber für muslimische Schüler eine besondere Rolle und kreisen oft um den 11. September." http://www.berliner-zeitung.de/28000218 ©2017
Einige der Befragten haben eine Überprüfung des Schulstoffs durch religiöse Autoritäten wie Koranlehrer oder Moscheen erlebt. - http://www.tagessp...lern/20082082.html
Warum lassen Sie die weg?
"Man muss damit leben, dass die Leute, für die man sich einsetzt, Arschlöcher sein können." (Zitat aus einem Taz-Interview).
Rudolf Fissner
Ich ziehe vor allem eine Erkenntniss aus dem Stimmungsbild:
1. der berliner Senat hat sich bisher nicht um dieses Thema gekümmert (oder die taz es nicht dargestellt hat)
2. ein absolutes desintresse der Berliner Politik an der politischen Bildung der berliner Schüler