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Über unser Verhältnis zur GewaltIrgendwie sind es immer die anderen

Kommentar von Charlotte Wiedemann

Unsere Maßstäbe für Gewalt sind unpolitisch geworden: Entsetzen herrscht über die Taten Einzelner. So ist kritisches Denken nicht möglich.

Gelegentlich kriecht die Gewalt aus unserer Vergangenheit ans Licht Foto: Flügelwesen / photocase.de

A ls ein junger Mann in Japan kürzlich neunzehn Leben in einer Einrichtung für Menschen mit Behinderung auslöschte, lag es nahe, an den Begriff „unwertes Leben“ zu denken. Der Täter hatte als Motiv angegeben, es sei besser, wenn Behinderte verschwänden. Als diese Haltung auf eine große Zahl von Menschen bezogen wurde und das Töten systematischen Charakter hatte, wurde es Euthanasie genannt.

Unser Entsetzen über die Tat des Japaners ist jung und frisch, während der Horror der Euthanasie kaum erinnert wird. So geschieht es in diesen Tagen häufig: Die Gewalt scheint neu auf die Welt gekommen, und wir blicken sie an, schockiert und fasziniert, als sei sie etwas Fremdes, nie Dagewesenes. Ein Eindringling.

Unsere Vorstellung davon, was Gewalt überhaupt ist, illegitime, Leben vernichtende Gewalt, klammert sich immer mehr an spektakuläre Taten einzelner schlimmer Menschen oder Banden. Ihr Gegenüber ist die staatliche Gewalt. Sie verfolgt und tötet legitim, jedenfalls auf unserer Seite der Welt, in Deutschland, im westlichen Europa.

Die Grenze zwischen der schlimmen und der guten Gewalt mag anderswo löchrig sein, schon in den USA, aber bei uns darf sie nicht infrage gestellt werden. Renate Künast wurde darüber belehrt, dass eine Abgeordnete nicht befugt ist, die Notwendigkeit eines Todesschusses zu bezweifeln.

Die Gleichgültigkeit, mit der die europäische Öffentlichkeit auf die Barbarei von Aleppo blickt, hat zumindest eine Ursache darin, dass Baschar al-Assad immer noch ein Rest Legitimität zugestanden wird für seine staatliche Gewalt. Richtet sie sich nicht gegen das strukturlos Schlimmere?

Gestus der Legitimität

Die Menschen, die durch europäische Grenzpolitik im Mittelmeer zu Tode kommen, waren aus europäischer Sicht offenbar unwertes Leben. Das klingt zu hart? Europa tötet sie mit der Gewalt seines Grenzregimes, also mit legitimer, guter Gewalt.

Die Schlepper gehören hingegen auf die Seite des ­Illegitimen, des Bösen. Sie erschießen sogar aus purer Profitgier einzelne Flüchtlinge, die sich ihrem Regime nicht fügen. Das bringt uns auf. Und was sich unter den Flüchtlingen auf den Booten abspiele, meinte kürzlich ein Freund zu mir, sei doch genauso schlimm wie das Grenzregime.

Eine fatale Verwechslung von Ursache und Wirkung. Es geschieht auf einem Kreuzfahrtschiff eher selten, dass jemand das Baby eines Mitreisenden über Bord wirft, weil er das Schreien nicht mehr ertragen kann.

Angesichts der Gleichgültigkeit gegenüber dem strukturellen Töten auf dem Mittelmeer muss eine andere Frage gestellt werden: Was, wenn dies noch gar nicht die große Armutswanderung ist? Und es ist sie nicht. Die Öffentlichkeit wurde in eine endzeitliche Stimmung hineingequatscht: Als gehe es jetzt um alles; als seien Entscheidungen über letzte Mittel zu fällen, an einem Wendepunkt der Geschichte. Zu welcher Gewalt würde unsere Gesellschaft im Gestus der Legitimität greifen, wenn wirklich einmal die ganz große Migration der Benachteiligten begänne?

Wir schieben die Gewalt weg von uns. Wir, die zivilisierten Menschen des zivilisierten Europa, wir schätzen und respektieren das Leben. Wir haben unseren Spiegel blank gewischt, es gibt darauf keine dunklen Flecken und keine Vergangenheit

Die Gewalt, die bereits heute aus unserer Mitte hervorgeht, löst wenig Erschrecken aus. Hunderte Angriffe auf Asylunterkünfte, im zurückliegenden Jahr mehr als tausend: Sie verschwinden in einem seltsamen Aufmerksamkeitsschatten, als fehlte ihnen alle Farbe. Ganz anders die spektakulären Taten Einzelner, die nichts mit uns zu tun haben, denn die Täter sind Migranten, Terroristen, Religiöse – oder, wenn sie uns gefährlich ähnlich sind, zumindest Kranke. Irgendwie sind es immer die anderen.

Wir schieben die Gewalt weg von uns. Wir, die zivilisierten Menschen des zivilisierten Europa, wir schätzen und respektieren das Leben. Wir haben unseren Spiegel blank gewischt, es gibt darauf keine dunklen Flecken und keine Vergangenheit.

„Wenn ich in der europäischen Technik und im europäischen Stil den Menschen suche, stoße ich auf eine Folge von Negationen des Menschen, auf eine Lawine von Morden“, schrieb Frantz Fanon 1966. Ich betrachte terroristische Anschläge nicht als antikoloniales Zurückschlagen. Aber manchmal denke ich: Wir bekommen die Gewalt, mit der wir die Welt jahrhundertelang überzogen haben, heute in kleinen Paketen zurück.

Grundgefühl der Machtlosigkeit

Die weiße Mehrheitsgesellschaft, die lange von einer Gewalt profitierte, die sie auf anderen Kontinenten exekutierte, lernt nun das Gruseln. Dies sei „ein blutiger Sommer“, schrieb der Spiegel. Was gäbe man in Aleppo um einen solchen Sommer. Was gäbe man in vielen Ländern der Welt um einen solchen Sommer. Wir bekommen in diesen Tagen vielleicht eine Idee, was Bedrohung und Machtlosigkeit bedeuten – ein Grundgefühl, mit dem Millionen Menschen außerhalb Europas Tag für Tag leben.

Wir haben uns abgewöhnt, die strukturelle Gewalt als solche anzuerkennen, die brutale Gewalt der Armut, die eine malische Frau dazu verurteilt, bei einer geringfügigen Komplikation der Geburt zu sterben. Wenn wir von „blinder Gewalt“ sprechen, meinen wir, dass ein Täter um sich schlägt und willkürlich einige Unschuldige zu Opfern macht. Die Malierin, die im 21. Jahrhundert im Kindbett stirbt, wird von der blinden Macht ungerechter Verhältnisse getroffen, deren Gewalttätigkeit wir nicht mehr beim Namen nennen mögen.

Systemkritisches Denken ist aber nicht möglich ohne eine politische Auffassung davon, was Gewalt ist – und was sie gebiert. 15 Jahre nach Nine Eleven finden sich kaum noch Maßstäbe für Gewalt, die man als widerständig bezeichnen könnte.

Gelegentlich kriecht die Gewalt aus unserer Vergangenheit ans Licht. Herero/Nama, ein kleiner Völkermord. Oder jetzt Ermittlungen gegen einige betagte Diensthabende aus dem KZ Stutthof nahe Danzig. Dort trafen zwischen Ende Juni und Mitte Oktober 1944 26 Deportationszüge ein; sämtliche Insassen, meist Juden, wurden zügig durch Genickschuss oder Gas getötet. Ein Blutrausch, an den nichts, was in unseren Tagen geschieht, heranreicht.

Vielleicht denken wir einmal an den Sommer von Stutthof, wenn ein afghanischer Junge eine Axt erhebt oder ein Amokfahrer über eine Promenade von Nizza rast.

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47 Kommentare

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  • "Die Menschen, die durch europäische Grenzpolitik im Mittelmeer zu Tode kommen, waren aus europäischer Sicht offenbar unwertes Leben."

     

    Wo ist denn die Alternative? Jeden aufnehmen, der mit Selbstmord droht?

     

    Die Fluchtursachen beseitigen? In Aleppo für die Syrer kämpfen? Den Afrikanern zeigen, wie sie ihre Staaten mit westlichen Werten aufbauen sollen? Alle verfolgten Homosexuellen nach D holen?

     

    Die Vermittlung von Werten funktioniert nicht. Bokoharam hat recht: Aus dem Westen kommt für Afrika nichts Gutes. Die Syrer müssen ihre Probleme selbst lösen. Das geht am schnellsten wenn sich niemand einmischt: keine Luftbrücke, keine Unterstützung, keine Einmischung.

  • "Die Menschen, die durch europäische Grenzpolitik im Mittelmeer zu Tode kommen, waren aus europäischer Sicht offenbar unwertes Leben."

     

    Zumindest nicht so viel wert, dass der Flieger geschickt wird, um sie abzuholen.

     

    Gleichzeitig die Artikel über Gestrandete in Griechenland und vor Australien ohne betroffene Kommentare. Nicht einmal mehr die Forderung, Merkel soll sie alle nach Deutschland holen.

     

    Es sind einfach zu viele, die wirklich der Hilfe bedürfen. Es ist Folge davon, dass die Menschheit sich die Welt zu sehr untertan gemacht hat und es jetzt nicht mehr sinnvoll geregelt bekommt. Eine Art Endzeit.

  • Der Autor macht den Fehler selbst, den er im Artikel kritisiert: Gewalt, das sind nur die anderen.

     

    Assad ist böse – kein Wort darüber, dass US-Söldner Seite-an-Seite mit den Terroristen der Al Qaida Syrien mit Gewalt überziehen, zusammen mit Spezialeinheiten der französischen und britischen Armee, völkerrechtswidrig.

     

    Kein Wort dazu, weshalb so viele Leute flüchten. Kein Wort zu den Rohstoffkriegen, dem Neokolonialismus.

     

    Gewalt, das sind immer die anderen.

    • @Volker Birk:

      Lieber @Volker Birk, den Vorwurf, das Kommentierte gar nicht gelesen zu haben, erheb ich so gut wie nie. Bei Ihnen fängt es aber schon damit an, daß Sie Charlotte Wiedemann für einen "Autor" halten und im Übrigen nicht erkannt haben, daß Sie eher in Ihre Richtung argumentiert, als dagegen. Dieses Mal also bitte tatsächlich: Erstmal lesen, dann kommentieren. - Dank im Voraus!

  • folgende gewaltverbrechen/todesfälle sollen in bälde gänzlich aufgeklärt werden:

     

    - jesus chr.

    - dag hammarskjöld

    - jfk

    - olof palme

    - barschel

    - möllemann

    - herrhausen

    - rohwedder

  • Mich läßt Frau Wiedemanns Einwurf nicht los und regt zu weiteren Überlegungen an, die vom Kolonialismus weg ins Heute führen: Daß doch der Westen, entgegen seinen propagierten Idealen ("Allgemeine Erklärung der Menschenrechte") ein verdammt funktionales Verhältnis zu Menschenrechten, Völkerrechten, Demokratie, zu Gewalt, Krieg und Terrorismus hat. Zufällige Beispiele: wenn die "Falschen" demokratisch gewählt werden (Hamas, Muslimbruderschaft); wenn Folterregime (wie das von Mubarak oder Assad bis vor wenigen Jahren) im vermeintlichen "Krieg gegen den Terror" behilflich sind; wenn es gilt, mithilfe islamistischer Terroristen eigene, westliche Ziele durchzusetzen (Afghanistan 1979, 9/11, Syrien); wenn Ölfelder und Kriegsgeschäfte mittels Lügen vor der UNO gesichert werden müssen (Irak-Krieg ab 2003) usw. usf. - Die Strategen, die all dies ersinnen, mögen sich für besonders schlau halten - und uns für besonders dumm. Aber sie begreifen offenbar nicht, daß mit ihrem Tun der Westen seine moralische Existenzberechtigung verspielt hat und vermutlich eines Tages vom belogenen, ausgebeuteten und geschundenen "Rest" der Menschheit hinweggefegt werden wird. Wobei ich nicht sage, daß ich mir dies wünsche oder etwa in den dann Revoltierenden die "Erlöser" sähe - im Gegenteil: Gewalt gebiert Gewalt gebiert Gewalt, und die Aufständischen von Morgen bieten keine Garantie, daß sie human, gerecht und freundlich sein werden. Zumal sie sich wieder um Anführer scharen werden, die zuverlässig die nächste Generation der Diktatoren stellen werden. Soweit alles klar. Aber "der Westen" agiert in halbblindem Machtkalkül (eigentlich ist es das vollkommen blinde Profitkalkül seiner verborgenen Akteure), sieht all diese Gefahren nicht und glaubt, er käme mit seinen Verbrechen auf immer ungeschoren davon - da er doch "das Gute" verkörpere! Sancta Simplicitas!

    • @Albrecht Pohlmann:

      "Allgemeine Erklärung der Menschenrechte" Das ist nett, aber purer Kolonialismus. Sie wollen den Menschen in diesen Ländern doch nicht unsere Sicht aufzwingen? Die Muslime haben eine eigen Erklärung der Menschenrechte, die für Muslime gültig ist. Erst lesen und dann über Kolonialismus reden.

      • @Jürgen Matoni:

        Tut mir leid, @Jürgen Matoni, daß wir da grundsätzlich anderer Meinung sind. Die Menschenrechtserklärung ist tatsächlich derart allgemein, daß sie in meinen Augen erweiterbar, aber gewiß nicht als solche verhandelbar ist.

  • .... die Ursachen sind einfach da ! Sie sind von Menschen gemacht und sind unumkehrbar ! Nur wer auf Versöhnung, Nächstenliebe und Respekt setzt wird Frieden bekommen ! Wenn wir hier in Europa und vielen anderen gut situierten Ländern kapieren das es Flüchtlinge immer geben wird und das ganze nicht mehr als Krise sehen sondern als Chance, können alle davon profitieren ! Jeder Flüchtling dem Respekt und Nächstenliebe entgegen gebracht wird wird sich auch weniger radikalisieren und eines Tagen ganz alleine in seine Heimat ( in der eventuell wieder Frieden herrscht) zurückkehren und allen berichten wie es auch ohne Krieg funktioniert ! Mit dem Blick auf die Flüchtlingslager in der Türkei und Griechenland sehe ich zur Zeit allerdings schwarz .... und es ist kein wunder wenn all die Flüchtlinge zurückkehren in ihre Heimat und sich zu DEN ANDEREN gesellen .....

    • @Bodo Klimmek:

      Sie müssen an den Quellen und Wurzeln der Ursachen ansetzen. Die Wurzel der Krisen und Kriege liegt in den kapitalistischen und imperialistischen Wirtschafts-, Wohlstands-, Konsum- und Reichtumsmetropolen. Ohne eine Umwälzung der ökonomischen und politischen Herrschafts- und Machtverhältnisse in den Reichtumsmetropolen, ohne Beseitigung der kapitalistischen Weltwirtschaft, ohne Aufhebung des Finanz- und Monopolkapitals, gibt es keine soziale und ökonomische Gleichberechtigung, kein Ende der Fluchtbewegung aus den Armuts-, Krisen- und NATO- und IS-Kriegsregionen. [siehe auch Leserkommentare unten ...]

  • Die von Charles de Secondat, Baron de Montesquieu (1689 - 1755), in seinem Werk "Vom Geist der Gesetze" (De L'esprit des Loix, 1748) entwickelte Lehre von der Teilung der Staatsgewalt in drei unabhängige voneinander wirkende Gewalten, die sich wechselseitig kontrollieren sollten: in Legislative (Gesetzgebung), Exekutive (Regierung und Verwaltung) und Jurisdiktion (Gerichtsbarkeit, Rechtsprechung), hat es in diesem Sinne in der Geschichte nie gegeben, sie ist eine Fiktion.

     

    Baron de Montesquieus Lehre bezweckte die Einschränkung der Macht der absoluten Monarchie in Frankreich und sie war gleichsam ein Kompromissvorschlag an den absoluten Monarchen, der aufstrebenden Bourgeoisie die Gesetzgebung zu überlassen, während König und Feudaladel die anderen beiden "Gewalten" behalten sollten. Damit sollte die Bourgeoisie ökonomische und politische Entwicklungsmöglichkeiten erhalten.

     

    Als Organisationsprinzip des bürgerlichen Staates soll die Gewaltenteilung die Illusion erwecken, dass der bürgerliche Staat die Rechte aller Bürger sichere und klassenindifferent sei. Die Gewaltenteilung hebt indes die kapitalitische und imperialistische Ausbeutung und Unterdrückung der Werktätigen nicht auf.

     

    Durch die Gewaltenteilung wird die Klassenherrschaft der Bourgeoisie [der Kapitalisten, der Finanz- und Monopolbourgeoisie] und die fortschreitende Unterordnung des Parlaments und der Rechtsprechung unter die Exekutive, die sich unter den Bedingungen des staatsmonopolistischen Kapitalismus vollzieht, lediglich verschleiert.

     

    Erst der künftige emanzipatorische Staat, auf der Grundlage des Gemeineigentums an den gesellschaftlichen Produktionsmitteln, kennt keine Gewaltenteilung; die Souveränität der (werktätigen) Bevölkerungsmehrheit schließt die Exekutive und Jurisdiktion ein.

    • @Reinhold Schramm:

      "Erst der künftige emanzipatorische Staat, auf der Grundlage des Gemeineigentums an den gesellschaftlichen Produktionsmitteln, kennt keine Gewaltenteilung; die Souveränität der (werktätigen) Bevölkerungsmehrheit schließt die Exekutive und Jurisdiktion ein."

       

      Klingt schlau, ist aber bar jeder Realität.

  • Wir sind die Guten?

     

    Am 13. Nov. 2015 fragte ich alle Parteivorsitzende/dinnen der wichtigsten Parteien Deutschlands: wer und was sind die Ursachen der sogenannten Flüchtlingskrise?

    Ich bekam keine Antwort oder nur langes Bla-Bla-Bla, das weder zur Sache sprach, noch annähernd auf die Ursache einging, sich vielmehr wieder nur mit der Wirkung befasste.

    Und so war es und geht es immer fort. Aber es ist gut, es ist ein Lichtblick immerhin, wenn sich von Zeit zu Zeit ein Journalist/in bemüht und Nitzsches Thesen über Ursache und Wirkung und deren beständige Verwechslung aufgreift, auch wenn er/sie dadurch kaum Vorteile zu haben scheint, eher das Gegenteil befürchten muss, denn auch das Gegenteil traue ich unserem verlogenen mittlerweile System zu.

     

    Viele Grüße

  • Wir haben eine gute Gewalt, das sind wir selbst, und eine schlimme Gewalt, das sind die anderen. Demnach befinden wir uns in einem anhaltend historischen Legitimitätskrieg, der mit (Waffen)Gewalt ausgeführt wird. Ich sehe, der Artikel stimmt.

  • "Gewalt kann nur durch Gewalt gebrochen werden. Das sprechen wir Kommunisten offen aus, nicht weil wir ,Anbeter der Gewalt' sind, wie sanfte bürgerliche und sozialdemokratische pazifistische Gemüter uns beschuldigen. Nein, wir beten die Gewalt nicht an, jedoch wir rechnen mit ihr, weil wir mit ihr rechnen müssen. Sie ist da und spielt ihre geschichtliche Rolle, ob wir wollen oder nicht. --

     

    Es fragt sich nur, ob wir sie widerstandslos erdulden oder ob wir sie kämpfend überwinden wollen." (Clara Zetkin)

    • @Reinhold Schramm:

      Wie geht das Zetkin-Zitat weiter?

       

      Die Frau konnte Gandhi noch nicht kennen und Wikipedia war auch noch nicht erfunden ihrerzeit. Aber sie war nicht dumm. Vielleicht hat sie ja gewusst, dass die Antwort eine Frage der Definition ist.

       

      "Als Widerstand wird die Verweigerung des Gehorsams oder das aktive oppositionelle Handeln gegenüber der Obrigkeit oder der Regierung bezeichne", weiß das Lexikon. Nun sind Obrigkeiten nicht nur anspruchsvoll und faul, sondern auch immer in der Minderheit. Die Gehorsamsverweigerung würde also theoretisch genügen – wenn sie denn konsequent durchgehalten würde.

       

      Das Motto müsste sein: Stell dir vor, es ist Krieg, und keiner geht hin. Das Problem dabei ist: Mut ist kein Gras. Er wächst nicht von alleine. Die Leute haben einfach Angst vor jeder Obrigkeit. Sie haben sogar Grund dazu. So lange diese Angst nicht überwunden wird, ist passiver Widerstand an breiter Front nicht zu erwarten. Es kommt immer wieder zu Totalausfällen auf der einen und überschießenden Reaktionen auf der anderen Seite (Ostblock-Kommunisten etc.). Entweder kuschen die Ohnmächtigen, oder sie streben selber nach der Macht - und missbrauchen sie, wenn sie sie haben.

       

      Was also ist zu tun? Unsere Gesellschaften müssen auf die Couch. Da aber kriegt man sie nicht hin, so lange Therapeuten Obrigkeit sein wollen. Das Sofa ist ein Ort der Ruhe, kein Ort des Stress. Man muss Erfolgserlebnisse schaffen. Genauer: Man darf Erfolgserlebnisse nicht mehr verhindern. Auch nicht aus Angst vor Fehlern. Dann trauen die Leute nicht nur einander, sondern auch sich selber etwas zu. Vielleicht fühlen sie sich dann frei genug zu sagen: LmaA. Ich will selbstbestimmt leben – oder gar nicht.

       

      Dann erst wird Widerstand möglich, weil er friedlich bleibt. Genau in dem Moment aber wird er gar nicht mehr gebraucht. :))

      • @mowgli:

        Da lacht das Herz der Familien Quandt, Siemens und Springer. Damit ist die Finanz- und Monopolbourgeoisie einverstanden. Hier droht kein Widerstand gegen das Kapital!

  • "Die erste Aufgabe ist, die Ausbeuter, in erster Linie die Bourgeoisie ... zu stürzen, aufs Haupt zu schlagen, ihren Widerstand zu brechen und jeden Versuch ihrerseits, das Joch des Kapitals und die Lohnsklaverei wiederherzustellen, unmöglich zu machen." (Wladimir Iljitsch Lenin)

    • @Reinhold Schramm:

      Ohne diesen Sprachmüll hätten wir sie jetzt vielleicht, die Alternative zum Joch des Kapitals und der Lohnsklaverei.

       

      Danke, Wladimir. Dafür, dass Du uns erklärt hast, wie es NICHT geht. Wie es gehen könnte, finden wir selber raus.

    • 2G
      2730 (Profil gelöscht)
      @Reinhold Schramm:

      Jau, der gute Wladimir Iljitsch hat das Schlagen auf Häupter in der Tat perfektioniert. Irgendwann war's dann auch egal, wessen Haupt die Schläge abbekam...

      • @2730 (Profil gelöscht):

        Mein (Un-)Verständnis für die ZuhalterInnen der Kapital-, Ausbeutungs- und Erbschaftsverhältnisse. Wollen Sie doch allesamt keine Veränderung, kein Ende der Flucht- und Vertreibungsursachen.

  • 2G
    2730 (Profil gelöscht)

    Der geradezu inflationäre Gebrauch von negativ aufgeladenen Begriffen wie auch dem der "Gewalt" ist nicht besonders hilfreich.

    Schon gar nicht, wenn geradezu metaphysische Begründungen herhalten müssen ("Aber manchmal denke ich: Wir bekommen die Gewalt... heute in kleinen Paketen zurück.")

    Und jetzt versuche ich mir noch vorzustellen, wie beruhigend der Gedanke an Stutthoff auf mich als Tourist aus Hongkong wirkt, während der junge Mann mit der Axt vor mir steht... so einen gruseligen Abbinder trauen sich ja nicht mal die Pastoren der Morgenandacht im Radio zu.

  • Liebe Charlotte Wiedemann - Sie gehören für mich zu den Lichtblicken der TAZ! Ich wünschte, diejenigen mit der "Richtlinienkompetenz", die Redakteure dieser Zeitung, würden sich Ihre mahnenden Worte annehmen! - Es ist zum Haaareraufen: Die TAZ versteht sich in antikolonialistischer Tradition und bringt durchschnittlich mehr fundierte Beiträge über Kolonialpolitik (besonders deutsche) als die meisten etablierten Medien. Trotzdem scheint sie unfähig zu sein, ein alternatives Bild der tatsächlichen Vorgänge hinsichtlich des "Terrorismus" zu liefern. Aber genau dies würde ich von einer linken Zeitung erwarten: Warum macht unsere Art zu leben und zu wirtschaften den Terrorismus für die "Anderen" gerade attraktiv? Welche Rolle spielt hierbei die westliche Kolonial- und Neokolonialpolitik? Wie glaubwürdig ist unsere Propaganda von Demokratie und Menschenrechten - wie weit entsprechen wir selbst diesen Idealen? Ist es nicht vielmehr so, daß wir längst die Ideale der französischen Revolution kassiert haben? Wie fair ist eigentlich der Umgang des Westens mit dem Rest der Welt, wenn er selbst in der Position absoluter Macht ist? Sind nicht Zweifel angebracht? Kritisches, analytisches, durchschauendes Denken angesichts westlicher Hegemonialpolitik? - All das scheint bei der TAZ kaum eine Rolle zu spielen. Bei entscheidenden Themen - "Terrorismus", Finanzpolitik, Rolle der USA im Ukraine- wie im Syrienkonflikt - werden westliche Narrative, die ich auch in allen anderen etablierten Medien lesen kann, nachgeplappert. Dafür braucht es keine TAZ!!! Stellt Leute wie Frau Wiedemann ein und übderdenkt eure prokapitalistische und -westliche "Philosophie"!

    • 8G
      849 (Profil gelöscht)
      @Albrecht Pohlmann:

      Ihren Fragen und Anmerkungen schließe ich mich an. Frau Wiedemanns Text ist der beste, den ich in den letzten Jahren gelesen habe.

       

      Die Affirmation der Affen ist unerträglich!

    • @Albrecht Pohlmann:

      Wenn Sie alles in der Welt auf den westlichen (Neo)Kolonialismus zurückführen möchten, dann bedienen Sie selbst ein westliches Narrativ! Sie überschätzen einfach die eigene Rolle und Bedeutung in der Welt!

       

      Viele Probleme und Konflikte in der Welt haben aber gar nicht mit dem Westen zu tun. Insbesondere gesellschaftliche, religiöse und kulturelle Gewalt existiert(e) auch ohne den Westen in unserer Welt.

       

      Machen Sie sich mal von Ihrem Narzissmus frei und gestehen Sie den Anderen zu, Dinge "falsch" zumachen und zu verantworten.

       

      Gewaltlosigkeit ist im übrigen eine Errungenschaft, die erst in einer westlichen Demokratie von weiten Teilen der Bevölkerung gelebt werden kann. Das "Recht" des Stärkeren ist nicht ohne Gewaltmonopole aus unserem Zusammenleben zu entfernen.

       

      Die Autorin hält sich aus meiner Sicht zudem eher an der Rezeption und der Akzeptanz von geschehener Gewalt auf. Eine Antwort auf die notwendige Rolle von Gewalt zur Regulierung von Interessen ist das noch nicht ...

      • @TazTiz:

        Eines muß ich hier unbdeingt richtigstellen: "Gewaltlosigkeit" ist keine Errungenschaft der westlichen Demokratie! Es gab einzelne westliche Denker des gewaltlosen Widerstands - wie den Amerikaner H. D. Thoreau - aber zur ersten Blüte sind Kultur und Politik der Gewaltlosigkeit in Südafrika und Indien gekommen - inspiriert von Gandhi. Martin Luther King hat viel von ihm gelernt. - All diese "altmodischen" Namen spielen heute keine Rolle, nur wenige erinnern sie, noch weniger wissen, welche Inhalte sich damit verbanden. Ist es Zufall, daß diese beiden Protagonisten der Gewaltlosigkeit ermordet wurden? Es wäre aber immer noch eine der wenigen Alternativen, die Politik hätte.

      • 8G
        849 (Profil gelöscht)
        @TazTiz:

        Wo schreibt Herr Pohlmann, dass alles in der Welt auf den westlichen (Neo)Kolonialismus zurückzuführen sei?

         

        Dass es gesellschaftliche, religiöse und kulturelle Gewalt auch ohne den Westen gab und gibt, ist evident. Das würde aber auch kein vernünftiger Mensch bezweifeln.

         

        Bezweifeln müssen wir allerdings das Narrativ vom guten Westen (Deutschen), das sich nicht nur in der Griechenlandkrise in seiner dümmsten Gestalt manifestiert hat, sondern überhaupt unsere Haltung gegenüber dem, was wir schuldhaft verursachen oder zu dem wir einen wesentlichen Beitrag leisten. Genau diese Reflexion aber, das Blicken in den eigenen Schatten, wird geradezu panisch verdrängt.

         

        Gewaltlosigkeit wird in keiner westlichen Demokratie gelebt. Sie wird lediglich re- und deklamiert, während andere für unsere Klamotten, Handies usw. darben oder sterben müssen.

  • Hier noch ein paar Interpretationen von Gewalt im Zusammehang mit Mittelmeeropfern:

     

    Ein Nordafrikaner ertrinkt im Mittelmeer bei der Überfahrt in einem nicht funktionstüchtigen Schlauchboot:

     

    - Ihm wurde Gewalt angetan von der EU, weil sie ihm keine sichere Überfahrt gewährleistete.

    - Ihm wurde Gewalt angetan von den Schleppern, weil sie ihm keine sichere Überfahrt gewährleisteten.

    - Im wurde Gewalt angetan von sich selbst, weil er sein eigenes Leben mutwillg in Gefahr brachte.

    - Die Natur tat ihm Gewalt an.

    - Je nach religiösem Hintergrund hat ihm eventuell auch Gott Gewalt angetan

     

    usw.

    Man kann nun einmal "Gewalt" als Folge von Handlungen und Vorgängen nicht einfach aus dem Kontext reißen und dann so interpretieren, wie es der eigenen Nase gerne passt. Das führt so rein gar nicht.

    • @Mayerlei:

      Wieso führt das "so rein gar nicht"? Ich meine: Ihre Aufzählung ergibt durchaus Sinn. Gewalt hat viele Facetten. In welchem konkreten gewand sie daher kommt, ist nicht entscheidend für`s Ergebnis. Entscheidend ist, dass sie das Gute unmöglich macht. Sie muss also weg, aber in kleinen Schritten.

       

      Nehmen wir Anstrich 4: Der Mann musste nicht schwimmen. Er saß im Boot. Die Geqwalt des Meeres war also schon einmal gemindert. Hätte das Boot gehalten, weil es (z.B.) von der EU . Möglichkeiten Die muss man alle im finanziert worden wäre und nichjt dem privaten Gewinn der Schlepper hätte dienen müssen, wäre es vielleicht nicht gesunken. Und Die Gewalt gegen die eigene Person wäre keine Gewalt sondern eine Wohltat gewesen, hätte man den Flüchtling als willkommenen Einwanderer betrachtet, nicht als Gefahr.

       

      Was ich damit sagen will? Ganz einfach: Vor dem Einsatz der Hände, des Mundwerks oder einer Waffe sollte man sein Gehirn einschalten. Das minimiert Gewalt, wenn es sie schon nicht ganz verhindern kann. Unser gehirn hat uns zur dominierenden Spezies auf diesem Planeten gemacht - und zur einzigen Art, die sich selbst komplett vernichten kann, wenn sie nicht lernt, mit ihrer Ausstattung klar zu kommen.

      • @mowgli:

        Wenn ich mich in einem Schlauchboot auf die Nordsee begebe und dann ertrinke, wer ist daran dann schuld? Die Geliebte, die mich verlassen hat? das Unglück, das mich verzweifeln lies? Der Chef, der mich gefeuert hat? Die Küstenwache, die mich erst tot barg? Der Wahn, der mich trieb? Der Wunsch nach Geld, Gold und Ruhm? Die Aussicht auf Glück?

         

        Nein, am Ende bin nur ich für meinen Tod verantwortlich, egal was vorher war. Wer sich als Nichtschwimmer mit seinem Kind auf das Meer begibt, der trägt dafür Verantwortung. Auch wenn ich fliehe. Ansonsten wäre Flucht ein Freibrief für alles ...

  • 2G
    24636 (Profil gelöscht)

    Es will aber keiner an die KZs und den Massenmord denken, denn nach der Uni und dem Job ist Binge Watching, Computerspielen und Weinschorle angesagt. Für das unglückliche Bewusstsein ist da kein Raum mehr in der Freizeitplanung. Und wenn doch, dann in Gestalt von gut sortierbaren Lebensstilreflexionen ohne ungeplante Nebenfolgen.

     

    Vor allem aber gibt es hierzu kein Gedächtnis mehr. Heute werden Tränen um den kleinen Aylan geweint, aber übermorgen ist das schon vergessen und verstaut. Den täglich Ertrinkenden zum Trotz. Und da die Blödmaschinen wohlfeil Unterhalten und nicht Bestürzen wollen, weil überhaupt der Alltag mit dem Grauen schwer übereinkommt, ist da die Mauer nicht nur um Europa, sondern sie geht mitten durch die Köpfe. Und wer das nicht akzeptieren will, der darf sich gleich mal einen Termin beim Therapeuten machen.

    • @24636 (Profil gelöscht):

      Darf ich Sie fragen , was sie getan haben, nachdem Sie eine Mauer in Ihrem Kof festgestellt haben. Sie sind bestürzt,ws sie sehen. Wieviel der bestürzenden gewalt sind sie fähig wahrzunehmen auszuhalten.Wenn man kein Politiker ist und auch kein Helfer, dann empfehle ich mir selber: schau hin auf dieses Kind in angst, dieses zerstörte Haus mit den herausgerissenen und zerfetzten Wänden -vielleicht fühle ich dann etwas. Ich kann dieses Mitgefühl haben und nicht wissen was ich tun könnte.

      • @Wolfgang Hanspach:

        Beim Lesen Ihres Beitrags kam mir gerade ein Gedanke, sehr geehrter WOLFGANG HANSPACH, für den ich Ihnen etwas schulde.

         

        Es war der, dass verstehendes Lesen womöglich mehr sein sollte als die Grundlage für eine gute Note im Deutschunterricht oder das erfolgreiche Absolvieren eines Bewerbungsgespräches. Sprache muss mindestens ebenso sehr der Kommunikation mit Anderen dienen wie sie der Kommunikation mit dem Ich dienen muss. Der freie Mensch sollte sich möglichst selber führen. Dazu aber muss er argumentieren (können).

         

        Wenn Sie also fragen, was FILOU SOPHIA getan hat, nachdem sie eine Mauer in ihrem Kopf festgestellt hat, dann hätte die Antwort der Befragten nicht sein müssen: "mehr als darin [Anm.: im eigenen Umfeld] wirken kann man nicht." Die Antwort hätte sein können: "Ich rede mit mir. So lange, bis die Angst vertrieben ist. Dann reiße ich die Mauer ein. Und dann versuche ich, was zu bewirken."

         

        Vermutlich macht Filou SOPHIA genau das. Dauernd. Sie ist sich ihrer Leistung nur nicht (ganz) bewusst, weil niemand sie als solche preist. Man hat ihr schließlich beigebracht, dass der einzige Sinn von Sprache darin besteht, sein Gegenüber zu manipulieren. Entweder ist es ein mächtiges Gegenüber (Lehrer, Chef, etc.), dann muss man es beschwichtigen, oder es ist ein machtloses (Kinder, Untergebene etc.), dann muss man es gängeln.

         

        Dass man selber immer beides ist, heute und hier etwas mehr, morgen und dort vielleicht etwas weniger, dass man also auch mit sich verhandeln und sich führen muss, wenn man sinnvolles tun möchte, kriegt man in Schulen nicht gelehrt. Es ist FILOU SPHIA bisher also womöglich gar nicht aufgefallen vor lauter Fremdfixiertheit. Das könnte sich ab heute ändern, schätze ich.

      • 2G
        24636 (Profil gelöscht)
        @Wolfgang Hanspach:

        Jeder von uns hat doch ein Umfeld, mehr als darin wirken kann man nicht. Die Hilflosigkeit, das Ungenügen und das Entsetzen bleiben. Auch die Empörung, dass jene mit Strahlkraft, deren Wort etwas gilt, schweigen. Bis auf die wenigen Ausnahmen, die sehr genau sehen, was hier in Europa und mit uns geschieht. Charlotte Wiedemann ist eine, Mely Kiyak auch.

  • Danke für den Beitrag:

     

    Hierzu einmal Fried und Brecht: https://zielsfa.wordpress.com/2015/11/02/zielsfa-zur-frage-der-gewalt/

     

    und sehr zu empfehlen der Beitrag in der neuen Konkret:

     

    Einzeltäter en masse

    Hermann L. Gremliza zum Massenmord in Nizza

    • @Anarchie-Jetzt:

      Danke. Fried hatte ich bisher nicht auf dem Schirm. Sch... Mauer!

  • von der kühnen annahme wie der leser bei dem sammelsurium der genannten gewattaten fühle,

    oder der irrsinningen behauptung, dass es irgendjemanden gibt der die tausenden flüchtlinge aus den kriegsgebieten als armutsflüchtlinge bezeichnen würde,

    findet sich in dem artikel nicht ein einziger klarer gedanke. von "todesengeln" in japan über müttersterblichkeit in mali, bis hin zu kz-verbrechen findet sich alles.

    sollte dies ein versuch sein "white guilt" nach deutschland zu importieren?

     

    gewalttaten aller art gehen seit jahren zurück, die berichterstattung darüber jedoch (auch so konfuse wie diese) nimmt explosionsartig zu - von den "news" in den sozialen medien ganz zu schweigen.

    was früher eine lokalnachricht war, wird heute global für jeden "click" ausgeschlachtet ... aber jetzt habe ich mir doch glatt ein beispiel am artikel den ich kritisiere genommen und rede genau so konfus durcheinander.

    immerhin, der der artikel hatte eine (verfehlte) wirkung.

  • "Als ein junger Mann in Japan kürzlich neunzehn Leben in einer Einrichtung für Menschen mit Behinderung auslöschte, lag es nahe, an den Begriff „unwertes Leben“ zu denken. Der Täter hatte als Motiv angegeben, es sei besser, wenn Behinderte verschwänden."

     

    Auf projektwerkstatt.de lesen wir Luthers Ansichten über behinderte Kinder:

     

    "Wenn man aber von den teufelsähnlichen Kindern erzählt, von denen ich einige gesehen habe, so halte ich dafür, dass sie entweder vom Teufel entstellt, aber nicht von ihm gezeugt sind, oder dass es wahre Teufel sind."(Opery exegetica, Erlanger Ausgabe, II., S. 127)" (Luther über behinderte Kinder)

     

    "Selbst Luther empfahl, man solle die ´Wechselbälge` und ´Krielekröppe` ersäufen, denn solche Wechselkinder seien

    lediglich ein vom Satan in die Wiege gelegtes Stück seelenloses Fleisch (´massa carnis`), ´das denn nicht gedeiht, sondern

    nur frisst und seugt.`"

    http://www.projektwerkstatt.de/religion/luther/luther_zitate.html

    • @Gion :

      Antisemiten sind genau die, welche man zum Thema Gewalt zitieren sollte!

       

      Inhaltlich, möchte ich brechen wenn ich das lese!

      • @Anarchie-Jetzt:

        Das, genau, ist es, was Charlotte Wiedemann beklagt in ihrem Text: Leute greifen sich ein Element heraus aus unserer Welt (in dem Fall Luther), um damit Dinge zu rechtfertigen, die nicht zu rechtfertigen sind (Anstiftung zum Hass). Das funktioniert ganz wunderbar, wie wir gerade wieder sehen können.

         

        Sie möchten kotzen über einen Mann, der seit 470 Jahren tot ist. An die, die noch leben und genau so sehr zum Kotzen sind, weil sie die Klappe nicht halten wollen, obwohl sie nicht über den hohen Rand ihres aktuellen Suppentellers hinaussehen können, denken Sie in dem Moment nicht. Und das dürfen Sie auch nicht. Sie müssten sonst glatt los gehen und diese Leute da hin prügeln, wo Luther schon seit 470 Jahren steckt. Das, allerdings, ist ihnen verboten. Und an Verbote, gel, muss man sich halten, wenn man sich nicht mit unabsehbaren Folgen einer angeblich gerechten Gewalt aussetzen möchte.

         

        ANARCHIE-JETZT? Scheiße, Mann! Na los doch: Jetzt. Oder nie! Heiße Luft haben wir genug.

        • @mowgli:

          Nun, derjenige, der permanent eine historische Persönlichkeit aus dem Kontext reisst, um ihn zur "Unperson" erklären zu können, der handelt keinen Deut besser.

           

          Im Gegmteil, er ist auch 500 Jahre später nicht in der Lage, Dinge in ihrem übergeordneten Zusammenhang zu betrachten. Anders ausgedrückt, würde Luther heute leben, würde er sich vermutlich nicht so äußern, allein weil er ganz andere Möglichkeiten des Erkenntnisgewinns und der Erkenntnis hätte, als es damals möglich war.

           

          Luther hatte die gesamte (katholische) Kirche damals gegen sich. Um nicht als Ketzer auf dem Scheiterhaufen zu enden, mußte er den Großteil der damaligen katholischen Lehre, ihres "Wissens" und ihrer Überzeugungen "nachbeten", zeigen, dass er sich darin auskannte und sie beherzigte, dass er kein vom Glauben abgefallener Umstürzler jeglicher Werteordnung war. Und schliesslich verfügte er in vielem vermutlich auch einfach über keine anderen als die überlieferten Erkenntnisse und Weisheiten.

           

          Er hat keine neuen Thesen aufgestellt, weder zu geistig Behinderten, noch zu Juden. Er hat lediglich die damals vorherrschende Meinung der Kirche zu diesen Themen wiedergegeben, schlimmstenfalls also restaurativ gehandelt, einfach weil er keine Konfrontation auf ganzer Breite mit einem so übermächtigen und einflußreichen Gegner wie der Kirche riskieren konnte.

          • @cursed with a brain:

            Der arme, arme Luther. Wenn die katholische Kirche nicht so pöse wäre, hätte Luther nicht gegen alles und jeden vorgehen müssen. Zum Beispiel gegen mörderische Bauern und ansonsten minderwertiges Leben. Er hätte ein toller Typ sein können und kein Gewaltprediger.

  • Der Beitrag von Frau Wiedemann liegt daneben. Wir sind nicht unpolitisch geworden, sondern viel zu sehr politisch. Strukturelle Gewalt wird nur dort als solche wahrgenommen, wo es politisch genehm ist. Wo die blinden Flecken liegen, darin unterscheiden sich die verschiedenen politischen Seiten etwas. Ich hoffe immer noch, dass wir vom politischen Instrumentalisieren der bestehenden Gewalt abgehen und strukturelle Gewalt auch dann zu erkennen, wenn sie einem nicht ins eigene Weltbild passt. Viele die für Frauenrechte kämpfen, blenden Gewalt gegen Männer komplett aus. Wer den Islam ablehnt, verdrängt häufig die Gewalt, die westliche Regierungstruppen im Nahen Osten ausüben. Wer hier keine Flüchtlinge aufnehmen will, verdrängt die Menschen, die auf der von uns immer weiter erschwerten Flucht sterben.

    Das Erkennen von Gewalt ist mehr denn je eine politische Selektion und keine objektive Analyse. Wir müssen hier versuchen weniger politisch zu agieren, damit im Ergebnis eine bessere Politik gemacht wird.

    • @Velofisch:

      Daneben? Hm. Irgendwie sind es wohl tatsächlich immer die anderen.

       

      Sie haben beide recht, VELOFISH. Zugleich haben Sie beide unrecht. Es gibt kein WIR. Es gibt nur Individuen, die sehr unterschiedlich reagieren auf die Zumutungen unseres autoritär organisierten Alltags. Wir alle sind so eine Art Borderliner. Wir balancieren auf unserem ganz privaten Grad entlang, die Ohren aufgesperrt, die Ohren zugeklappt. Je nach Konstitution und Selbstwertgefühl mal länger und mal kürzer.

       

      Manche von uns fühlen sich schon von den Morgennachrichten derart überfordert, dass sie Musik bloß noch streamen und außer Krimis nichts mehr lesen. Manche von uns glauben, sich engagieren zu müssen, wählen dabei einzelne Aspekte zu Ungunsten anderer aus (siehe GION) und verheddern sich dabei unrettbar in Widersprüchen. Und wieder andere lassen sich dermaßen politisieren, dass sie irgendwann nicht mehr anders können als vollkommen unpolitisch zu werden. Sie würden sonst das Gleichgewicht verlieren und Amok laufen gegen sich oder auch gegen andere.

       

      Momentan sehe ich noch niemanden, der in der Lage oder auch nur willens wäre, das WIR, nachdem wir uns so schrecklich sehnen, weil es geeignet scheint, aus unserem Grad eine Autobahn zu machen, auch nur zu denken. Die herrschende Ideologie hat Leute an die Oberflächen gespült, die sich möglichst deutlich gegen andere abgrenzen müssen mit ihrem privaten ICH. Das Sein (Privateigentum) bestimmt offenbar tatsächlich das Bewusstsein. Vor allem, wenn es medial verstärkt wird.

       

      Sollten WIR uns deswegen unter dem Bett verkriechen? Ich glaube nicht. Immerhin bietet die taz uns ja hier eine Plattform. Und wieso sollte Hitler eigentlich der einzige Mensch bleiben, dem man noch posthum den Bau von Autobahnen anrechnet, die er selber nie mit einer Schaufel in der Hand betreten hat?

    • @Velofisch:

      Wer sich nicht mit den Ursachen der Flucht und insbesondere der Rolle Deutschlands dabei beschäftigen will, nimmt diese halt wie schlechtes Wetter oder wahlweise als Lackmustest für eigene Menschlichkeit oder anderen vorgeworfene Unmenschlichkeit und stabilisiert damit nur das internationale Gewalt- und Unrechtsystem.

    • @Velofisch:

      "Viele die für Frauenrechte kämpfen, blenden Gewalt gegen Männer komplett aus."

       

      Nun, in Zeiten von Internet können wir z. B. im SPIEGEL-Archiv nachlesen, wie westdeutsche Männer in der Bundeswehr erniedrigt wurden. Stichwort "Der Schleifer von Nagold."

      http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-46172730.html