Flüchtlingsdeal zwischen EU und Türkei: Koalition streitet über Kontingente

Kanzleramtsminister Altmaier will mehr Kontingente für Flüchtlinge. SPD und Grüne sind dafür. Die CSU sieht andere EU-Staaten in der Pflicht.

Menschen mit Reisegepäck auf einem Platz

Sollen nur SyrerInnen nach Deutschland dürfen? Syrische Flüchtlinge aus der Türkei kommen in Niedersachsen an Foto: dpa

BERLIN taz | Die Große Koalition streitet über zusätzliche und freiwillige Kontingente, durch die mehr Flüchtlinge aus der Türkei nach Deutschland einreisen dürften. Die CSU lehnt solche Kontingente für Deutschland strikt ab und sieht andere EU-Staaten in der Pflicht. „Nach gerade mal einem Tag des Praxistexts für das EU-Türkei-Abkommen nun gleich neue Flüchtlingskontingente in die Diskussion zu bringen ist der völlig falsche Ansatz“, sagte CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer am Dienstag der taz.

Es sei immer klar gewesen, dass es beim Türkei-Deal nur gesamteuropäische Kontingente geben dürfe und keine zusätzlichen deutschen Kontingente, sagte Scheuer. „Das wird mit der CSU nicht zu machen sein. Jetzt müssen die anderen europäischen Staaten zeigen, dass sie zur europaweiten Verteilung stehen. Wir allein haben in den letzten Monaten genug geleistet. Jeder müsste spätestens nach dem 4. September 2015 wissen, was solche Signale auslösen können.“

Scheuer bezog sich damit auf Äußerungen von Peter Altmaier (CDU). Der Kanzleramtschef und Flüchtlingskoordinator der Bundesregierung hatte in einem am Montag veröffentlichten taz-Interview gesagt, dass die EU der Türkei auch nach dem EU-Türkei-Abkommen andere Flüchtlingsgruppen abnehmen müsse. Altmaier hatte wörtlich gesagt: „Entscheidend ist, dass es zusätzlich freiwillige Kontingente geben muss. Wir lassen die Türkei nicht allein.“

Aus der SPD kam Lob für Altmaier. „Ich freue mich, dass sich der Flüchtlingskoordinator der Bundesregierung für weitere freiwillige Kontingente einsetzen wird“, sagte SPD-Generalsekretärin Katarina Barley der taz. „Sowohl der Bund als auch die Länder – ausgenommen Bayern – haben von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht, um gezielt besonders schutzwürdigen Frauen, Männern und Kindern zu helfen.“

Schon lange vor der aktuellen Flüchtlingsdebatte hatte die deutsche Regierung kleine Kontingente gewährt. Zwischen 2008 und 2013 durften zum Beispiel ein paar Tausend Syrer und Iraker aus Krisengebieten nach Deutschland einreisen. Barley sagte weiter, Altmaier müsse sich dafür einsetzen, dass auch andere Mitgliedstaaten der EU zu solchen humanitären Schritten bereit seien. Die SPD-Generalsekretärin teilte einen kleinen Seitenhieb aus: „Dafür muss er vor allem mit seinen Parteifreunden von der CSU reden – allen voran Horst Seehofer.“

Der Dissens zwischen der CSU und dem CDU-Kanzleramtschef ist allerdings kleiner, als es scheint. Hintergrund ist der Plan, den die 28 EU-Regierungschefs am 18. März mit der türkischen Regierung vereinbart hatten. Irregulär in Griechenland ankommende Flüchtlinge werden wieder in die Türkei abgeschoben, um das Geschäft krimineller Schlepper auszuhebeln. Für jeden Syrer, der zurück in die Türkei muss, darf ein Syrer legal in die EU einreisen – maximal aber nur 72.000.

Ärgste Verwerfungen
Katarina Barley, SPD

„Altmaier muss vor allem mit seinen CSU-Freunden reden“

Entscheidend ist deshalb, was jenseits dieses Deals passiert. In Syriens Nachbarstaaten warten Hunderttausende darauf, in die EU einreisen zu dürfen. Die EU-Türkei-Vereinbarung eröffnet ihnen nur eine vage Perspektive. Wenn die Grenzübertritte nach Griechenland erheblich zurückgehen, dann „wird eine Regelung für die freiwillige Aufnahme aus humanitären Gründen aktiviert“, heißt es in der Pressemitteilung des Europäischen Rats. Zu dieser sollen die EU-Staaten einen „freiwilligen Beitrag“ leisten. Viel Freiwilligkeit und wenig Verpflichtendes also – und die meisten EU-Staaten weigern sich bisher, Flüchtlinge aufzunehmen.

Altmaier machte mit seinen Äußerungen in der taz Druck, diese Verpflichtung ernst zu nehmen – während die CSU nun bremst. Auch die Migrationsbeauftragte der Bundesregierung, Aydan Özoğuz (SPD), plädiert für engagierte Schritte Deutschlands. Das Abkommen zwischen der EU und der Türkei markiere keinen Endpunkt, sagte sie. „Auch in Italien sind absehbar nicht alle flüchtlingspolitischen Probleme für 2016 gelöst, von den Problemen in Jordanien ganz zu schweigen. Das Flüchtlingsproblem wird sich nicht in Luft auflösen“, sagte Özoğuz. „Die EU-Mitgliedstaaten werden jedenfalls weiter Flüchtlinge aufnehmen müssen, auch jenseits des beschlossenen Abkommens.“

Die Grünen sind von jeher für Kontingente. „Freiwillige Kontingente wären zumindest ein Mittel, um einige der ärgsten Verwerfungen abzumildern, die der schäbige EU-Türkei-Deal aufgerissen hat“, sagte Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt der taz. „Deutschland muss als wirtschaftlich stärkster Mitgliedstaat in Vorleistung gehen und mindestens die 28.000 Flüchtlinge aufnehmen, zu deren Übernahme es sich auf EU-Ebene bereits verpflichtet hatte.“

Die EU hatte bereits 2015 vereinbart, 160.000 Flüchtlinge europaweit zu verteilen. Umgesetzt ist das noch nicht. Deutschland hatte damals zugesagt, 28.000 Menschen zu übernehmen. Laut Göring-Eckardt müssten es deutlich mehr werden. Diese Zahl wäre allenfalls der Anfang, betonte sie. „Doch dürfen freiwillige Kontingente kein Ersatz für einen Anspruch der Flüchtlinge auf Schutz nach der Genfer Flüchtlingskonvention sein.“

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