Neuer Thüringer Verfassungsschutzchef: „Werde mich nicht verbiegen“

Stephan Kramer, Ex-Generalsekretär des Zentralrats der Juden, wird Chef des Thüringer Verfassungsschutzes. Ein Gespräch über Reformen – und mögliches Scheitern.

Stephan Kramer

Der Neue: Stephan Kramer am Donnerstag bei seiner Vorstellung als neuer Verfassungsschutzchef Thüringens Foto: dpa

taz: Herr Kramer, der Thüringer Verfassungsschutz ist seit dem NSU-Versagen die Behörde mit dem wohl schlechtesten Ruf in Deutschland. Jetzt werden Sie dort Präsident. Warum nur?

Stephan Kramer: Sie können mir glauben, dass ich mir die Entscheidung nicht leicht gemacht habe. Ich habe ja an der Debatte über das NSU-Debakel aktiv teilgenommen. Aber ich glaube, dass Thüringen gerade eine Chance hat. Nach all den schlechten, abgrundtief schlechten Nachrichten zum NSU könnte das Land jetzt eine Vorreiterrolle übernehmen: bei einer wirklichen Neupositionierung des Verfassungsschutzes. Ich weiß, das wird nicht einfach. Aber daran mitzuwirken, finde ich extrem spannend.

Sie selbst haben den Verfassungsschutz in der NSU-Debatte teils scharf kritisiert. Gilt das nicht mehr?

Ich bin mir bewusst, dass es gute Argumente gegen eine Existenz des Verfassungsschutzes gibt. Aber angesichts der aktuellen Situation vor allem im Dschihadismus, aber auch im Rechtsextremismus, können wir es uns nicht leisten, völlig auf ihn zu verzichten. Dem allein mit der Zivilgesellschaft zu begegnen, halte ich für abwegig. Solange es kein besseres Handwerkzeug kenne, glaube ich, dass ein reformierter Verfassungsschutz nötig ist. Die rot-rot-grüne Regierung hat bereits wichtige Schritte eingeleitet. Jetzt geht es darum, diese weiter umzusetzen. Der Verfassungsschutz muss so verändert werden, das er nicht mehr ein Fremdkörper, sondern organischer Teil dieser demokratischen Gesellschaft wird.

Was wollen, was können Sie wirklich anders machen?

Wir werden einiges im Bereich Sachverstand und Analysefähigkeit neu justieren müssen. Beim NSU haben wir gesehen: Viele Informationen lagen vor, aber sie wurden nicht richtig ausgewertet. Da herrscht ein ganz großes Defizit. Und ich will den Verfassungsschutz zum Partner der Zivilgesellschaft machen. Viele Informationen können wir aus den dortigen Organisationen gewinnen, wir brauchen eine Synergie.

Glauben Sie, die Mitarbeiter ziehen da mit?

Ich werde bald das Gespräch mit ihnen suchen. Wir werden dann auch darüber reden müssen, wer bereit ist, bei diesen neuen Aufgaben mitzumachen. Denn eines ist klar: Ich werde sicher nicht auf den alten Trampelpfaden des Thüringer Verfassungsschutzes wandern. Mit mir wird es einen Neuanfang geben müssen. Ich werde mich nicht verbiegen.

47 Jahre, war bis 2014 Generalsekretär des Zentralrats der Juden. Ab Dezember wird er Präsident des Thüringer Verfassungsschutz. Der Posten war seit 2012 und bekanntwerden mehrere Skandale des Amtes im Fall NSU vakant.

Sie waren bisher kein Behördenleiter. Überheben Sie sich da nicht?

Der Verfassungsschutz braucht eine breitere Aufstellung, wenn er ein verlässliches Lagebild über die Bedrohungen dieser Gesellschaft gewinnen will. Er braucht Leute aus der Polizei, aus der Wissenschaft, aus dem Sozialen, aus der Kultur. Meine Hoffnung ist, dass ich mit meinem Schritt ein Signal setzen kann: Dass diese Leute bereit sind, hier mitzumachen.

Mit Ihrer Vita dürfte Ihr Schwerpunkt der Rechtsextremismus sein?

Wer glaubt, dass ich nur auf eine Seite schauen werde, der liegt falsch. Ich werde weder taub noch blind sein gegenüber irgendeiner Form der Bedrohung.

Halten Sie an der Abschaltung der V-Leute fest, die Rot-Rot-Grün im Frühjahr vollzogen hat?

Den Weg, V-Leute nur noch mit sehr hohen Hürden einzusetzen, halte ich für richtig. Wir haben ja gesehen, dass deren Wirken im NSU-Fall wenig optimal war. Und ich habe auch meine grundsätzlichen Bedenken, mit Verrätern zu paktieren.

Thüringen ist bisher das einzige Bundesland mit dieser Regel. Auch sonst könnten Sie gegen eine Mauer von 15 anderen Landesämtern und des Bundesverfassungsschutzes anlaufen. Haben Sie davor keine Sorge?

Wir werden sehen. Der Thüringer Innenminister hat mir seine Unterstützung zugesagt. Das bedeutet, dass er wirklich eine Kursänderung will. Aber natürlich kann ich nicht ausschließen, dass ich nach einiger Zeit zu dem Schluss komme, es gibt keine Reformmöglichkeit, der Verfassungsschutz gehört womöglich doch abgeschafft. Momentan aber glaube ich: Eine Reform ist machbar.

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