Flüchtlinge in Slowenien: Gespenstische Szenerie

Die Behörden sind mit den Ankommenden überfordert, es gibt zu wenig Essen und kaum sanitäre Anlagen. Der Aufmarsch der Armee bleibt noch aus.

Menschen laufen in der Dämmerung eine Straße entlang

Geflüchtete in Sentilj an der Grenze zu Österreich. Foto: ap

DOBOVA taz | Eingepfercht hinter den Absperrgittern der Polizei und den Eisengattern des Geländes eines größeren, leerstehenden Gebäudes in der südslowenischen Gemeinde Bresice stehen dichtgedrängt die Flüchtlinge. Bettina Sillinger, eine zupackende junge Frau aus Wien, die trotz ihrer Prüfungen an der Universität hierhergereist ist, um zu helfen, reicht Brote durch die Gitter. Viele Hände strecken sich aus, jeder will etwas davon haben.

Es ist eine gespenstische Szenerie, die an finstere Zeiten im letzten Jahrhundert erinnert. Würdevoll ist das alles nicht. Wenn sie am Morgen nicht 1.500 Sandwiches, die von der islamischen Gemeinde in Wien gespendet wurden, hierhergebracht hätte, wären noch mehr Menschen hungrig geblieben.

Denn die slowenischen Behörden sind überfordert. Weder ist für ausreichend Essen und Trinken gesorgt, noch reichen die Toilettenhäuschen. Immerhin hat der Himmel ein Einsehen. Es regnet nicht. „Dennoch haben über tausend Menschen draußen auf dem durchweichten Boden geschlafen“, sagt Bettina Sillinger resigniert.

Auch die umstehenden Polizisten leiden mit. „Es sind zu viele“, sagt eine Polizistin. Sie schätzt, dass rund 3.000 Menschen hier in dem Lager übernachten mussten und noch einmal 1.000 an der Bahnstation des Nachbardorfes Dobova.

Kaum noch Englisch

„Deutschland, Deutschland“, skandieren die Flüchtlinge. Der Weitertransport nach Österreich geht ihnen zu langsam vonstatten

Endlich sind 20 Busse angekommen. Gruppen von je 50 Menschen werden zusammengestellt, nicht immer ohne Konflikte. Nur wenige der Ankömmlinge sprechen Englisch. „Vor einigen Wochen noch waren viele Menschen aus der syrischen Mittelschicht unter den Flüchtlingen, die sprachen zum großen Teil Englisch, jetzt aber kommen andere Leute“, sagt ein Mitarbeiter eines amerikanischen TV-Senders.

Und auch nicht alle slowenischen Polizisten sind in diesem Idiom zu Hause. Sie verstehen nicht, dass manche Flüchtlinge sich weigern, in die Busse einzusteigen, weil sie noch auf Familienangehörige warten. „Sie wollen doch nicht getrennt werden“, ruft ihnen die Österreicherin zu. Dennoch werden die Unwilligen in die Busse gesetzt, schließlich sind sie schon abgezählt und Übersetzer mit arabischen Sprachkenntnissen gibt es hier im Gegensatz zu Kroatien nicht.

Kommen alle diese Flüchtlinge aus Syrien? Das zumindest geben viele an. „Wer weiß das schon, du kannst doch in der Türkei jeden Pass kaufen. Ein syrischer Pass ist mit 500 Euro leicht zu haben“, sagt ein Mitarbeiter von RTL, der von der griechischen Insel Lesbos ab jede Station der Balkanroute dokumentieren half.

Die slowenische Regierung hat dramatische Zahlen über die Anzahl der Flüchtlinge veröffentlicht. Demnach sollen am Mittwoch innerhalb von 24 Stunden 12.616 Menschen, darunter gut die Hälfte Syrer, nach Slowenien gekommen sein. Die Journalisten rätseln, wie diese Zahlen zustande kommen. Hier im Lager Bresice sind 3.000, 1.000 wurden nach Österreich gefahren, an der Bahnstation sitzen noch einmal tausend.

Zeichen der Desorganisation

„Das ist alles ein Zeichen der Desorganisation, dass solche Zahlen veröffentlicht werden“, sagt eine kroatische Fernsehjournalistin. Oder aber Absicht, um den Forderungen nach finanzieller und logistischer Unterstützung gegenüber Brüssel Nachdruck zu verleihen, wird spekuliert.

Am Donnerstag erhob Slowenien schwere Vorwürfe gegen den Nachbarstaat Kroatien. Die Regierung in Zagreb handele „unverantwortlich“, in dem sie unangekündigt Tausende Menschen an die slowenische Grenze bringe und zulasse, dass Frauen und Kinder sich bei der Durchquerung eines Flusses in Lebensgefahr begeben würden, erklärte das Innenministerium in Ljubljana. „Das haben sie absichtlich gemacht, um einen unkontrollierten Migrantenfluss nach Slowenien zu leiten“, sagte Staatssekretär Boštjan Šefic.

Der kroatische Innenminister Ranko Ostojic wies slowenische Beschwerden zurück, seine Regierung lasse zuviele Flüchtlinge zu schnell zur Grenze des kleinen Alpenlandes durch. Kroatien habe angeboten, die Flüchtlinge mit Zügen direkt nach Österreich zu bringen. „Ich weiß nicht, was wir anderes machen können, damit diese Leute nicht frieren müssen“, sagte Ostojic.

Unter den Wartenden ist Unruhe entstanden. „Deutschland, Deutschland“, skandieren sie. Sie möchten nicht mehr lange warten, der Weitertransport nach Österreich geht ihnen zu langsam vonstatten.

Spezialkräfte der Polizei marschieren auf, einige Dutzend mit Schutzschilden ausgerüstete Polizisten bewegen sich auf die Absperrgitter zu, was den Chor der Rufenden nur noch lauter werden lässt. Vor dem Lager stehen noch drei Fahrzeuge der slowenischen Armee, gepanzerte Personentransporter, die mit ihren riesigen Rädern die weichen Wiesen aufgewühlt haben. Und ab und an ziehen Hubschrauber über dem Gelände ihre Kreise.

Noch kein Armeeaufmarsch

Am Nachmittag kommen vier Lastwagen mit insgesamt 60 Soldaten an. Dennoch kann man von einem Aufmarsch der Armee in Slowenien noch nicht sprechen. „Von den 8.000 nominell verfügbaren Soldaten sind wohl nur 2.000 einsatzfähig“, schmunzelt eine slowenische Journalistin. „Mehr Armee ist in Dobova direkt an der Grenze zu sehen.“

Der Weg in dieser von feuchten Wiesen durchzogenen Savaebene führt vorbei an einigen Gastwirtschaften und dem Hotel Paradiso, wo betuchtere Slowenen Wellnesswochenenden genießen können. Das beheizte Schwimmbad zu benutzen, ist den Flüchtlingen verwehrt. Die Armee hat jetzt den Bahnhof gesichert. Einige Jeeps stehen da, Soldaten rauchen frierend Zigaretten.

Auf dem Gelände haben sich erschöpfte Migranten niedergelassen. Immerhin haben sie es bis zum Bahnhof geschafft, mit dem nächsten Zug werden sie nach Spielberg an die österreichische Grenze gebracht.

Geschlossen ist auch die Straße, die zum nahen Grenzübergang nach Kroatien führt. Keine Menschenseele ist zu sehen. Die Grenzstation ist von dieser Seite her abgesperrt. Auf der anderen, der kroatischen Seite warten jedoch schon wieder einige Tausend Menschen, um nach Slowenien zu gelangen.

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