Debatte US-Sicherheitsfetischismus: Fürchtet euch sehr!

In den Vereinigten Staaten hat die Angstindustrie gesiegt. Das Land sieht sich im endlosen Krieg gegen einen See von Plagen.

Gruseln sich vor Ebola: Kinder in Dallas. Bild: ap

Ohne Furcht vor lebensbedrohenden Feinden wäre es nichts geworden mit dem Homo Sapiens. Heute lauert kein Säbelzahntiger an der Bushaltestelle. Doch in den USA hat Panik die Köpfe infiziert.

Mit Angstmache festigen Eliten bestehende Strukturen. Das hat bestens funktioniert, siehe Überwachungsstaat. Zu gut sogar; Barack Obama erregt sich derzeit über die realitätslosgelösten Warnungen vor einer Ebola-Epidemie in Amerika, mit denen besonders, aber nicht nur republikanische Politiker die USA abschotten wollen. Mitte Oktober hat gar das Journalismusprogramm der Syracuse-Universität in New York einen Fotografen ausgeladen, weil dieser drei Wochen zuvor in Liberia über Ebola berichtet hatte. „Wir wollten keine Panik schaffen“, erläuterte der Provost in der Washington Post. Alles schon mal da gewesen: Von 1987 bis 2010 galt in den USA ein Einreiseverbot für Menschen mit HIV und Aids.

Irgendwie passt das nicht zusammen: In ihrer Nationalhymne besingen US-Amerikaner das „Land der Freien und Heimat der Mutigen“. Doch gegenwärtig fürchtet man sich voreinander und vor der Welt. Mehr als 200 Millionen Schusswaffen sind in Privathänden; rund ein Drittel der Haushalte ist bewaffnet. Außerhalb der USA herrsche zunehmend Chaos, warnen vermeintlich kluge Leitartikel: Ukraine, Ägypten, Libyen, die Atombombe im Iran, Boko Haram und der unberechenbare Putin. Potenzielle Terroristen weltweit, vor allem im „Islamischen Staat“, gegen den man handeln müsse, „bevor wir alle hier zu Hause getötet werden“, wie ein republikanischer Senator jüngst warnte. Handeln heißt im US-amerikanischen Kontext der Angst: Bombenangriffe.

Der Islamische Staat hat al-Qaida abgelöst als das ultimative Böse sowie die Taliban und Osama bin Laden, dessen Erschießung USA! USA! USA!-Feiern ausgelöst hat, doch nicht das Ende des Terrorismus. Wenn die Nation Angst hat, müssen die Uniformierten Helden sein, denen man dann schon mal ein Bier spendiert, sofern sie mindestens 21 sind. 19-Jährigen traut man zu, fernab der Heimat auf Menschen zu schießen. Der Gedanke, die jungen Soldaten könnten ein Budweiser kippen – der macht Angst.

Home of the Brave?

„Lassen Sie mich meine feste Überzeugung zum Ausdruck bringen, dass das Einzige, was wir zu fürchten haben, die Furcht selbst ist.“ Diese oft zitierte, doch nicht oft befolgte Mahnung kam vom US-amerikanischen Präsidenten Franklin Roosevelt bei seinem Amtsantritt im März 1933. Das war der Höhe- beziehungsweise Tiefpunkt der „großen Depression“, als die Nation in einer schweren Wirtschaftskrise steckte. Roosevelt wandte sich gegen „namenlosen, unvernünftigen, unberechtigten Terror, der nötige Anstrengungen lähmt“.

Angst: Politiker gewinnen Wahlen damit, Sicherheitsfirmen und „Experten“ verdienen Geld, im Fernsehen machen Bedrohungsgeschichten Quote. Sie verkaufen Zeitungen, verdienen mit Online-Clicks. Auf dem kleinen Smartphone-Bildschirm überwältigen Bilder von Katastrophen, die zwar den Betroffenen Leid bringen, aber nichts zu tun haben mit dem US-Alltag. Angst machen sie trotzdem. Was hat der Nachrichtenkonsument in den letzten Jahren nicht alles erlebt: Vogelgrippe, Schweinegrippe, BSE-Rinderwahn, eine Invasion von Bettwanzen, Computerviren aller Größenordnungen, irakische Massenvernichtungswaffen, schlechte Luft in Passagierflugzeugen. Was nicht alles Krebs verursacht. Was ist nun mit der Butter, gesundheitsschädlich oder nicht?

Und jetzt auch noch Ebola! Für Menschen in Westafrika, mit dürftiger Gesundheitsversorgung selbst in guten Zeiten, ist das Virus eine existenzielle Katastrophe. Für Menschen in den USA und in Europa nicht. Mehrere tausend US-Amerikaner sterben jedes Jahr an der ganz gewöhnlichen Grippe. Aufrufe zum Händewaschen würden mehr US-Menschenleben retten als Warnrufe, Ebola werde in die USA hereingeschleppt über die wegen Barack Obama „durchlässige Grenze zu Mexiko“. Rational und auch mitmenschlich gedacht, müssten Regierungen weltweit mit größter Energie und ohne Rücksicht auf Kosten Hilfsprogramme für Westafrika in Bewegung setzten.

Das frühe 21. Jahrhundert hat kein Monopol auf „unberechtigten“ und lähmenden „Terror“. Feindbilder gehören zum Einmaleins der Politik. In Wirklichkeit stehen die USA, und zu großen Teilen auch Europa, heute so ungefährdet da wie fast nie zuvor. Da muss man die Findigkeit der US-Regierung fast bewundern, die es verstanden hat, trotz ihres mächtigsten Militärs der Welt und Ruhe und Frieden im „Homeland“, seit den Anschlägen auf das World Trade Center und das Pentagon ihre Bevölkerung zu überzeugen, sie sei bedroht wie nie zuvor. Und die Freunde und Verbündeten tun so, als ob sie das glaubten.

Deregulierte Apparate

Im „Krieg gegen den Terror“ habe die US-Regierung den „nationalen Sicherheitsapparat dereguliert“, wie es James Risen formulierte, einer der ersten US-Journalisten, der über die Totalüberwachung durch die NSA berichtete (bereits 2004) und eben ein neues Buch geschrieben hat mit dem schönen Titel: „Pay Any Price: Greed, Power, and Endless War“ (Jeden Preis zahlen: Habgier, Macht und endloser Krieg). Risen brachte die Angstindustrie auf den Punkt in einem Rundfunkinterview: Es gebe zahlreiche Motive bei den Krieger gegen den Terror – Ehrgeiz, Status, Macht und Geld. Dieser Krieg sei vergleichbar mit dem Dreißigjährigen in Europa im 17. Jahrhundert, als eine „neue Klasse von Söldnern“ entstanden sei, für den endlosen Krieg eben.

Es wird heutzutage als normal betrachtet, dass die Polizei mit gepanzerten Fahrzeugen durch die Straßen des „Homeland“ rollt. Dass Daten von Telefon- und Internetverbindungen gespeichert und unbegrenzt lange gespeichert werden. Dass Kameras das öffentliche Leben aufzeichnen. Absolute Sicherheit wird es nie geben, das sagt der Verstand. Wer spazieren geht in einer als zwielichtig empfundenen Nachbarschaft mit einem Haufen Geld in der Tasche, wird nervöser sein als jemand, der nur ein paar Münzen dabeihat. Die USA spazieren durch die Welt mit einem Haufen Geld in der Tasche.

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