piwik no script img

Vogelgrippe und Massentierhaltung„Stallpflicht ist kontraproduktiv“

Vogelgrippe tritt in Massenställen auf. Doch es hält sich die These, dass Wildvögel das Virus übertragen. Gänseforscher Johan Mooij klärt auf.

Hühner hinter Gittern: Bricht die Vogelgrippe aus, wird sofort Stallpflicht verhängt, um zu zeigen, dass man überhaupt etwas unternimmt Bild: dpa
Interview von Benno Schirrmeister

BREMEN taz | taz: Herr Mooij, kann man absolut sicher sein, dass die Vogelgrippe nicht durch Wildvögel übertragen wird?

Johan Mooij: Nein – es lässt sich nur mit 99,99 prozentiger Sicherheit ausschließen.

Also doch eher ja?

Es gibt, trotz intensiver und ja mittlerweile jahrzehntelanger Suche keinen einzigen Beleg dafür, dass jemals eine solche Übertragung passiert ist. Die Ausbrüche sind in Biosicherheitsställen passiert, in die von außen so gut wie nichts reinkommt. Was wir hingegen wissen, ist, dass beispielsweise über deren Abluft Krankheitserreger nach draußen transportiert werden.

Dann wäre die Stallpflicht völlig sinnlos?

Nein, sie dient der Seelenruhe und sie zeigt, dass etwas getan wird.

Aber in der Sache?

Auf die Ausbreitung der Krankheit hat sie keine Auswirkungen. Da ist sie sogar kontraproduktiv: Die Vogelgrippe tritt in industriellen Ställen auf. Diese Betriebe bleiben völlig unbehelligt – und werden für Verluste aus der Tierseuchenkasse entschädigt. Die tierfreundlicher arbeitenden Freilandproduzenten aber werden bestraft.

Johan Mooij

65, Biologe, langjähriger Leiter der AG Gänseökologie und Vorstand des Forschungsnetzwerks Aviäre Influenza.

Aber das Friedrich-Löffler-Institut (FLI) hat doch bereits eine mit H5N8 belastete Krickente gefunden …

Verlauf der Vogelgrippe

Festgestellt wurde die jetzt grassierende H5N8-Variante laut Bulletin des Agrarministeriums in Seoul am 16. 1. 14 in einer Entenbrüterei im südkoreanischen Sillim-myeon, Provinz Jeollabuk-Do. Im Verlauf wurden allein in Südkorea mehr als zwölf Millionen Vögel gekeult. Aktuelle H5-Fälle:

Mast-Entenfarm in Nafferton, Yorkshire, 6.000 Vögel

Mast- und Legehennen in Hekendorp, Provinz Utrecht, 150.000 Vögel

Mast-Puten in Heinrichswalde, Kreis Vorpommern-Greifswald, 31.000 Vögel

Legehennen in Ter Aar, Süd-Holland, 43.000 Vögel

Mastputen in Abbotsford und Chilliwack, British Columbia, 11.000 und 7.000 Vögel

Ob dieser Befund so eindeutig ist, ist fraglich!

Inwiefern?

Soweit ich es weiß, ist eine Gruppe von Enten, die hie und da geschossen worden sind, ins FLI transportiert und dort beprobt worden. Diese Vögel können bei der Jagd überall gelegen haben und wurden nicht einzeln, sondern in irgendeinem Sammelbehälter transportiert. Eine von diesen Proben war dann zwar positiv, aber es kann durchaus sein, dass der Vogel erst nach seinem Tod mit H5N8 kontaminiert wurde.

Also beispielsweise aus dem Boden?

Vor allem fehlt jede Gegenprobe: Es ist nur eine einzige Probe von dieser Ente analysiert worden. Und diese eine Probe zieht eine solche Kette von Reaktionen nach sich.

Weil die Politik dem FLI folgt: Robert Habeck, der grüne Agrarminister in Schleswig-Holstein, hat es als „wahrscheinlich“ bezeichnet, dass Wasservögel das Virus übertrügen.

Wenn das ein Politiker sagt, wundert mich das nicht: Politiker haben meistens wenig fachliche Ahnung. Die sind da, weil sie eine politische Funktion haben und sie sollen ein Ministerium leiten. Das heißt doch noch lange nicht, dass sie die Materie beherrschen. Sie müssen schon ein Stück weit auf das vertrauen, was man ihnen sagt.

Aber das ist doch das Problem?

Das Problem ist: Das FLI bleibt bei der These, dass Wildvögel dieses Virus transportieren und auf Kulturvögel übertragen würden, ohne dass es dafür einen einzigen Beleg gäbe. Vor acht Jahren hatten wir exakt dieselbe Diskussion wie jetzt. Da hat auch das FLI dieselbe Position vertreten wie aktuell.

Das ist nur konsequent.

Mittlerweile gibt es aber sehr viele Untersuchungen – auch in anderen Teilen der Welt. In den USA etwa, wo Millionen Wildvögel untersucht wurden: Nie wurde ein hochpathogenes Vogelgrippe-Virus gefunden. Oder in Asien, in Südkorea, Japan und China: In China hat man sechs Enten gefunden, die hochpathogene Vogelgrippen-Viren hatten.

Also doch?

Nein, selbst diese sechs Enten taugen nicht zum Beleg der Wildvogelhypothese. Ich war vergangene Woche am Poijang-See, wo diese Enten gefunden wurden. An den Ufern werden viele Enten gezüchtet. Die Forscher, die diese infizierten Tiere untersucht haben, wussten nicht, wann die Tiere das Virus aufgenommen hatten. Wahrscheinlich hatten sie sich ganz frisch infiziert und wirkten deshalb noch weitgehend gesund.

Das wäre dann aber ein Beleg dafür, dass es doch möglich wäre?

Das ist völlig unwahrscheinlich: Hochpathogene Viren sind bei Wasservögeln nur bei toten oder sterbenskranken Tieren festgestellt worden. Das ist ja auch klar: Wenn wirklich ein Wildvogel diese Krankheit hat, hat er ein Problem mit seinen Atemwegen und dem Darm, dann scheidet er vermehrt Schleim ab …

und kann dann auch nicht fliegen?

Genau. Ein Vogel, der fliegt, muss seinen Stoffwechsel verzehnfachen, die Menge Sauerstoff, die er benötigt, geht um das fünf- bis achtfache hoch. Ein vogelgrippekranker Vogel mit angeschlagener Lunge voll Schleim kann nicht fliegen. Der kann weder die notwendige Menge Sauerstoff aufnehmen noch hat er die nötige Kraft: Im Stall kann er dann vielleicht noch in der Ecke hocken und überleben. In der Wildbahn kommt dann aber der Fuchs, die wildernde Hauskatze, oder der Bussard – und beendet die Geschichte.

Aber warum sollte das FLI sowas verbreiten?

Das ist die große Frage. Manchmal verrennt man sich ja in eine Idee und hängt dann irgendwann so weit aus dem Fenster, dass man den Kopf nicht mehr zurückziehen kann, ohne das Gesicht zu verlieren. Wahr ist aber auch: Dem FLI hat 2006 die ganze Aktion mit H5N1 finanziell nicht geschadet. Die Politik hat danach viele Gelder freigegeben und das FLI hat sehr viele Aufträge bekommen. Rein menschlich könnte auch so etwas eine Rolle spielen, das Gleiche noch einmal zu probieren.

Ein harter Vorwurf!

Wenn ich eine Behauptung aufstelle, muss ich irgendwann auch mal ein paar Belege dafür finden. Ich kann also nicht im Jahr 2005 eine Hypothese aufstellen über die Wildvögel, diese 2014 noch einmal wiederholen – obwohl in der Zwischenzeit gar keine Anhaltspunkte gefunden worden sind, die sie erhärtet hätten. Insofern: Ich weiß wirklich nicht, was in den Leuten vom FLI vorgeht. Ich weiß nur: Was sie verkünden, ist wissenschaftlich nicht haltbar.

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

4 Kommentare

 / 
  • "Die Wildgänse kommen!"

    Verdammte Zugvögel mit osteuropäischen Akzent. Wo kommen die her? Aus dem Osten, also Russland, also Putin. Hab ich mirs gedacht! Ein Scherz. Kein Scherz ist der übliche Aktionismus der Politiker. Anstatt unabhängige Ursachenforschung zu betreiben wird gekeult und der verunsicherte Verbraucher alleingelassen mit der Entscheidung Ente oder Karpfen.

  • Die BSE Krise wurde ehemals vom FL Institut medial aufgepuscht, bis ein millionenschwerer Forschungsauftrag diesem Treiben ein plötzliches Ende gemacht hat. Seitdem taucht BSE immer mal wieder sporadisch auf, jedoch der Treiber der damaligen Hysterie bleibt erstaunlich ruhig. Das FL Institut steht scheinbar immer auf der Seite der Gewinner. Warum müssen aber so viele Tiere unter so einer Vorgehensweise, die auch unter Wissenschaftlern zweifelhaft ist, leiden? Ich verkenne nicht die Pflicht zur Schadensabwehr und Vermeidung von Epedemien, aber wo ist hier die Verhältnismäßigkeit und wer ist der Gewinner?

    • @Jandebuur:

      Die Frage müsste lauten, wer ist der Verlierer? Verlieren werden die, die eine Alternative zur Massentierhaltung praktizieren. Und das ist so gewollt. Ich sehe Parallelen zum geplanten Vorstoß der EU im Sortenrecht. Auch hier geht es angeblich um Verbraucherschutz, tatsächlich sollen die Alternativen zum Industrieeinheitsfood begrenzt werden. Nichts ist schädlicher als ein gutes Gegenbeispiel!

  • 3G
    3618 (Profil gelöscht)

    Eine vernünftige Stimme.

    Leiden müssen unter diesem Irrsinn immer zuerst und vor allem die Tiere, die entweder eingesperrt oder gleich zu zigtausenden massakriert werden.

    Beendet endlich diese grauenhafte Massenierfolter.