Undercover-Recherchen bei Pegida: Hallo RTL, bitte unbedingt schneiden!

Ein RTL-Reporter ist getarnt bei der Pegida und gibt der ARD ein Interview. Unser Autor kennt ihn. Ohne es zu wissen, hat er ihm ein Interview gegeben.

Undercover in Dresden als „besorgter Bürger“: Felix R. von RTL Screenshot: Youtube/ARD

„Die Islamisierung macht sich schon breit in unserem Alltag“, sagt ein Teilnehmer der Pegida-Demonstration. „Manchmal denk ich schon: Sind wir eigentlich noch in Deutschland?“ Am Donnerstagabend ist er in der ARD-Sendung „Panorama“ zu sehen, zugleich stellt die ARD das gesamte Rohmaterial ins Internet, um den Vorwurf der Manipulation („Lügenpresse“) zu entkräften.

Doch dann kommt raus: Der freundliche junge Mann mit der grauen Wollmütze und der Pelzkapuze ist RTL-Reporter Felix Reichstein, der sich inkognito unter die Demonstranten gemischt hatte (und sich inzwischen von seinen Aussagen distanziert haben sol//(und:l). Der Schock bei der ARD ist groß. Aber mindestens so geschockt wie die ARD bin ich. Denn ich habe am vergangenen Montag in Dresden mit Felix Reichstein gesprochen – als ich im Auftrag der taz verdeckt unter Pegida-Demonstranten recherchiert habe.

Ich erzählte von den schlimmen Zuständen in Berlin („Berlin ist verloren“), er berichtete aus Bayreuth („Bayreuth ist verloren“), wir waren uns einig. Doch ich wusste nicht, dass er nur eine Rolle spielte, er wusste nicht, dass ich nur eine Rolle spielte, und jetzt haben wir das Schlamassel. Mist, Mit, Mist!

Dabei hätte ich es ahnen können. Als ich eine Kollegin traf, die ihre schwarzen Haare unter einer Russenmütze versteckt und sich dazu blaue Kontaktlinsen eingesetzt hatte. Ich hatte sie nicht erkannt und sie unauffällig angesprochen („Schöne Mütze“). Doch sie bemerkte mich sofort, meine nur aus einer Deutschland-Fahne bestehende Camouflage war weniger raffiniert; wir konnten uns nur mit Mühe verkneifen, laut loszuprusten.

Oder diese beiden Mittdreißiger in grellbunten Jogginghosen, Schnauzern und Vokuhila-Frisuren, mit denen ich mich danach prima unterhalten hatte. Am nächsten Tag saßen im Speisewagen des EC (Budapest via Dresden nach Berlin) zwei Männer, die diesen Typen zum Verwechseln ähnlich waren – außer dass sie sportliche Sakkos und offene weiße Hemden trugen, und plötzlich hippe, halblange Frisuren hatten statt Vokuhila und Schnauzer.

Ich wunderte mich ein wenig über diese Ähnlichkeit, sprach die beiden aber nicht an. Sie waren ohnehin sehr beschäftigt. Sie tippten hektisch in ihre Notebooks, es fielen die Worte „Redaktionsschluss“, „Super Story!“ und „Das muss Giovanni doch kapieren“, dazwischen lästerten sie über die ungarische Bahn („kein W-Lan“) und deren Kaffee („Filterplörre“, „Muckefuck“).

Undercover in Dresden als „Besorgter Bürger“: Deniz Y. von der taz Bild: Selfie

„Pegida-Bingo“ im Zug

Ich hatte meine Geschichte bereits abgeschickt („Super Story!“) und saß am Nebentisch mit einer Kollegin eines amerikanischen Senders, einem Bekannten von einer türkischen Zeitung und einem befreundeten Kollegen von der Bild und dessen Bekannten vom Neuen Deutschland. Wir tauschten fröhlich unsere aufgeschnappten Zitate aus und fingen irgendwann ein Spiel an: „Pegida-Bingo“. Die Zeit im Zug verging wie im Flug.

Aber jetzt ist mir mulmig. Am Sonntagabend will RTL den Beitrag aus Dresden senden. Meine Glaubwürdigkeit steht auf dem Spiel, die meiner Zeitung, die von RTL, unseres ganzen Berufsstandes. Falls ihr das rechtzeitig lest, liebe Kollegen von RTL: Schneidet die Passage bitte raus. Merkt doch keiner.

Vorsorglich distanziere ich mich, von allem, was ich da gesagt habe. Besser noch: Ich distanziere mich von allem, was ich jemals gesagt oder geschrieben habe.

Nachtrag: Jetzt lese ich, dass RTL den Kollegen Felix Reichstein gefeuert hat. Ehrlich gesagt: Das verstehe ich nicht. Er hat doch nur seinen Job gemacht (sogar ziemlich gut, ich habe ihn wirklich nicht erkannt). Oh Gott, ob die taz auch so reagiert?

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