schlagloch: Absolute Willkür
Um aus den USA abgeschoben zu werden, reichen bisweilen schon ein Tattoo oder eine Mütze. Was die Gerichte entscheiden, spielt kaum noch eine Rolle
Es war ein gruseliges Treffen im Oval Office. US-Präsident Donald Trump saß an diesem Tag Mitte April selbstherrlich auf seinem Stuhl, neben ihm mindestens so selbstherrlich Nayib Bukele, der Präsident von El Salvador. Man sah den beiden Männern an, wie sehr sie die Situation genossen.
Auf die Frage, ob die US-Regierung Kilmar Abrego Garcia zurück in die USA bringen würde, antwortete die ebenfalls anwesende US-Justizministerin Pam Bondi, das hänge von Präsident Bukele ab. Der sagte schmunzelnd: „Ich hoffe, Sie schlagen nicht vor, dass ich einen Terroristen in die USA einschleusen soll. Wie soll ich einen Terroristen in die USA schmuggeln? Das werde ich natürlich nicht tun.“
Der Fall des 29-jährigen Kilmar Abrego Garcia ist eins der sichtbarsten Zeichen dafür, dass die USA heute ein anderer Staat sind als noch vor ein paar Monaten. Seine Geschichte zeigt, wie schnell ein demokratischer Staat autoritär umgebaut werden kann. Garcia lebte mit seiner Frau, einer US-Amerikanerin, und drei Kindern seit 2012 im US-Bundesstaat Maryland. Er war aus El Salvador geflohen, weil sein Leben dort in Gefahr war, und bekam in den USA einen legalen Aufenthaltsstatus. Ein Gericht verfügte im Jahr 2019, dass er nicht nach El Salvador abgeschoben werden dürfe. Garcia erfüllte seine rechtlichen Auflagen – er meldete sich regelmäßig bei den Behörden, er wurde nicht straffällig. Dann kam Donald Trump ins Amt.
Mitte März wurden Garcia und weitere gut 200 Männer von der Einwanderungsbehörde ICE festgenommen und nach El Salvador geflogen – obwohl ein Gericht die Deportationen gestoppt hatte. Die Trump-Administration behauptete, die Männer – allesamt Migranten – seien „Terroristen“ und „Gang-Mitglieder“. Sie wurden in das berüchtigte Cecot-Gefängnis gebracht, das Bukele dafür benutzt, Menschen wegzusperren. Cecot ist ein Ort, an dem Menschen gefoltert und misshandelt werden. Der einzige Weg aus dem Gefängnis heraus, sagte der Justizminister El Salvadors einmal, ist „in einem Sarg“.
Als das Urteil eines US-Gerichts die Deportationen stoppte, waren einige der Flugzeuge schon in der Luft. Auf X postete Bukele, der sich selbst als der „coolste Diktator der Welt“ bezeichnet: „Uuupsi, zu spät!“ Dahinter ein lachender Smiley. US-Außenminister Marco Rubio fand den Kommentar so witzig, dass er ihn repostete.
Keiner der Männer bekam ein Gerichtsverfahren oder konnte sich gegen die Vorwürfe wehren – auch Garcia nicht. Seine Familie ging rechtlich gegen die illegale Abschiebung vor. Bei einer Anhörung sagte ein Anwalt der Trump-Administration, dass es ein „Verwaltungsfehler“ war, Garcia, der nie kriminell war, abzuschieben. Das führte allerdings nicht dazu, dass Garcia zurückkommen durfte. Stattdessen wurde der Anwalt gefeuert.
Gilda Sahebi
ist Ärztin und Politikwissenschaftlerin, fand dann den Weg in den Journalismus. Sie beschäftigt sich mit Rassismus, Antisemitismus, dem Nahen Osten, Medizin und Wissenschaft.
Die Schlagloch-Vorschau
7. 5. Georg Diez
14. 5. Robert Misik
21. 5. Georg Seeßlen
28. 5. Charlotte Wiedemann
Der Trump-Administration dient die Erzählung der „kriminellen Migranten“ als zentrales politisches Instrument im autoritären Umbau des Staates. Wie in vielen Demokratien wird die Erzählung „Wir“ gegen „Die“ genutzt, um Polarisierung zu erzeugen. Die sind eine Gefahr, die sind schuld daran, dass es uns nicht gut geht. Spaltung ist für autoritäre Kräfte essenziell: Ohne Spaltung, ohne den „inneren Feind“, können sie nicht an die Macht gelangen.
Ein Urteil des Obersten Gerichtshofs, der die US-Regierung anwies, die Rückkehr von Garcia in die Wege zu leiten, wurde von der Trump-Regierung kurzerhand ins Gegenteil verkehrt. Der Gerichtshof habe der Regierung recht gegeben, behaupteten Regierungsvertreter. Im Fall eines anderen Migranten in Wisconsin wurde bereits eine Richterin festgenommen, weil sie dem Mann geholfen habe, seiner Verhaftung zu entgehen. Die Regierung will Richter:innen einschüchtern.
Die New York Times hat recherchiert, anhand welcher Kriterien Migranten abgeschoben werden: Die Regierung hat dafür ein Punktesystem. Kommen bei einer Person acht Punkte zusammen, wird sie deportiert. Ohne Gerichtsverfahren. Vier Punkte gibt es, wenn die Person auffällige Tattoos hat. Weitere vier Punkte werden vergeben, wenn sie Kleidung trägt, die „Zugehörigkeit zu einer Gang andeutet“. Eine Mütze des Basketballteams der Chicago Bulls oder einfach nur „urban streetwear“ reichen schon. Es herrscht also absolute Willkür. So weiß man heute aus verschiedenen Recherchen, dass der Großteil der Männer, die mit Garcia abgeschoben wurden, niemals straffällig geworden war. Wie Garcia. Auch ihm wurde vermutlich seine Kleidung zum Verhängnis.
Wie wichtig der Archetyp des illegal migrant und criminal migrant beim Aufstieg autoritärer Kräfte ist, lässt sich in den USA wie im Lehrbuch beobachten. Als Donald Trump im Oval-Office-Treffen mit Bukele von einer Journalistin nach Kilmar Abrego Garcia gefragt wurde, sagte er genervt: „Wie lange müssen wir diese Frage noch beantworten? Warum sagen Sie nicht einfach, es ist wundervoll, dass wir Kriminelle aus unserem Land heraushalten? Warum können Sie nicht einfach das sagen?“
Es ist immer der gleiche Trick autoritärer Kräfte: Was sie tun, tun sie für die „guten“ Menschen – die, die sich an die Gesetze halten, fleißig und rechtschaffen sind. Man gehe nur gegen die „schlechten“ Menschen vor. Mit dieser „gut gegen böse“-Erzählung muss man sich nicht um die echten Probleme der Menschen kümmern – hohe Preise, hohe Mieten, Umverteilung von unten nach oben. Viele Menschen applaudieren trotzdem – sie gehören ja glücklicherweise zu den „Guten“.
Wenn man an die Hunderten Familien denkt, deren Väter, Söhne oder Brüder ihnen entrissen wurden, nur weil sie ein falsches Tattoo oder die falsche Kleidung trugen – und wenn man dann an das selbstgefällige Grinsen der beiden Präsidenten im Oval Office denkt, dann versteht man die tiefe Grausamkeit eines jeden autoritärem Staates. Die USA zeigen, wie es geht.
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