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Linke in LateinamerikaIn der Defensive

Gerhard Dilger

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Gerhard Dilger

Linke Kräfte haben auch in Lateinamerika mit dem Vormarsch der Ultrarechten zu kämpfen. Die USA mischen sich so unverhohlen ein wie lange nicht mehr.

Eine der wenigen linken Hoffnungsträgerinnen in Lateinamerika: Mexikos Präsidentin Claudia Sheinbaum Foto: Toya Sarno Jordan/reuters

M ar del Plata, Argentinien, November 2005: Die südamerikanischen Präsidenten Néstor Kirchner (Argentinien), Lula da Silva (Brasilien) und Hugo Chávez (Venezuela) bringen das US-Projekt einer Freihandelszone von Alaska bis Feuerland zu Fall. Chávez feiert anschließend mit Zehntausenden in einem Stadion, US-Präsident George W. Bush reist geschlagen ab. Es war der wohl symbolträchtigste Moment der „rosaroten Welle“ in Lateinamerika, als linke Staatschefs das neue Selbstbewusstsein des Subkontinents und die Hoffnung auf eine gerechte Gesellschaft verkörperten.

Sie profitierten von hohen Weltmarktpreisen für Erdöl, Soja oder Kupfer und legten mit diesen Einnahmen Sozialprogramme auf, mit denen Millionen der Aufstieg aus der Armut in die Mittelschicht gelang. Auf den Weltsozialforen in Brasilien forderten soziale Bewegungen, die viele linke Wahlsiege erst ermöglicht hatten, einen tiefgreifenden ökosozialen Wandel. In der Verfassung Ecuadors wurden die Rechte der Natur verankert, in Bolivien setzten Indigene eine „plurinationale“ Republik durch. Heute ist von diesem Aufbruch kaum etwas übrig.

Progressive Kräfte befinden sich nicht nur in Lateinamerika in der Defensive, doch auf dem Subkontinent hat sich die Lage in 15 Jahren besonders dramatisch gedreht. Der „Linksruck“ hat kein einziges der Strukturprobleme der Region gelöst. Mehr denn je ist sie auf ein exportorientiertes, umweltzerstörerisches Wirtschaftsmodell festgelegt, in dem Agroindustrie, Bergbau und fossile Brennstoffe die wichtigsten Devisenbringer sind. Organisierte Kriminalität, Korruption und soziale Ungleichheit nehmen zu.

Trump will Kontrolle

Die USA intervenieren so direkt wie schon seit Jahrzehnten nicht mehr. Donald Trump strebt die Kontrolle über den gesamten Doppelkontinent an. Die Kongresswahlen in Argentinien gewann überraschend die Partei des ultrarechten Präsidenten Javier Milei, nachdem Washington mit einer Milliardenhilfe drohende Turbulenzen auf den Finanzmärkten abgewendet hatte. Anschließend verkündete Trump: „Wir konzentrieren uns sehr auf Südamerika und sind dabei, dort großen Einfluss zu gewinnen.“ Im Rennen um Rohstoffe will er China zurückdrängen.

Brasilien belegt er mit Strafzöllen, um eine Verurteilung seines Verbündeten Jair Bolsonaro zu verhindern. Die Grenze zu Mexiko wird abgeschottet, Menschen lateinamerikanischer Herkunft in den USA werden brutal verfolgt und abgeschoben. Auch als Schuldige am hohen Drogenkonsum im Lande hat Trump Latinos ausgemacht, Schnellboote mit mutmaßlichen Drogenhändlern lässt er in der Karibik und im Pazifik versenken. Kolumbiens linker Präsident Gustavo Petro ist für ihn der Chef eines Narcokartells. Seit August kreuzen US-Kriegsschiffe vor der Küste Venezuelas, das dortige Regime soll mithilfe der CIA gestürzt werden.

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Die Macht der alten und neuen Oligarchien ist ein weiteres Hindernis für die linken Kräfte in Lateinamerika. In Honduras, Paraguay und Brasilien wurden ab 2009 reformorientierte Staatsoberhäupter durch „sanfte Staatsstreiche“ gestürzt. Der Sieg von Jair Bolsonaro 2018 wurde erst möglich, weil Lula wegen eines – mittlerweile aufgehobenen – Gerichtsurteils im Gefängnis saß. In Brasilien, Chile oder Kolumbien werden progressive Präsidenten oft von rechten Parlamentsmehrheiten ausgebremst, Wirtschaft, Justiz und Medien tun ein Übriges.

Im Rennen um Rohstoffe will Donald Trump Chinas Einfluss in Lateinamerika zurückdrängen

Hausgemachte Probleme kommen hinzu. Milei ist auch deswegen so erfolgreich, weil sich die peronistische Opposition ideenlos und zerstritten präsentiert. Ex-Präsidentin Cristina Kirchner, wegen Korruption in Hausarrest, gibt als autoritäre Chefin der Mitte-links-Partei immer noch den Ton an und verhindert systematisch einen Generationenwechsel. Sie ist nicht die Einzige, die sich für unverzichtbar hält: In Bolivien beschleunigte der vormalige Hoffnungsträger Evo Morales den Niedergang der „Bewegung zum Sozialismus“. Zuletzt bekämpfte er jahrelang seinen Ex-Minister und Nachfolger Luis Arce. Bei der jüngsten Wahl trat dann schließlich keiner der beiden an, die zwei linken Kandidaten blieben im einstelligen Bereich.

Ecuadors früherer Staatschef Rafael Correa, ebenfalls wegen Korruption verurteilt, will die Geschicke seiner Partei noch von seinem belgischen Exil aus bestimmen und schadete damit „seiner“ Kandidatin Luisa González. Sie verlor im April dieses Jahres die Stichwahl gegen Daniel Noboa, der auf einen harten Kurs gegen die Drogenmafia und seine Nähe zu Donald Trump setzte. In Brasilien sind Wohl und Wehe der einst innovativen Arbeiterpartei PT mit dem mittlerweile 80-jährigen Lula verknüpft, der 2026 seine vierte Amtszeit anstrebt. Eine Ausnahme bildet das kleine Uruguay, wo die sozialdemokratische „Breite Front“ den Ton angibt. Ohne jede Chance sind Progressive hingegen in Peru oder Paraguay. Nach Nicaragua unter dem Ortega-Clan mündete auch Venezuelas „Sozialismus des 21. Jahrhunderts“ in eine Diktatur.

Es gibt Hoffnungsträger

All dies begünstigt den Vormarsch der gut vernetzten Ultrarechten. In Chile haben sogar zwei Rechtsextreme gute Chancen, den Linken Gabriel Boric zu beerben: José Antonio Kast und der Milei-Bewunderer Johannes Kaiser. Nayib Bukele aus El Salvador hat sich selbst als „coolen Diktator“ bezeichnet und gilt wegen seines kompromisslosen Vorgehens gegen Bandenkriminalität als Vorbild seiner Gesinnungsgenossen.

Hoff­nungs­trä­ge­r:in­nen in diesem düsteren Panorama gibt es durchaus: etwa Mexikos Präsidentin Claudia Sheinbaum, die wegen beherzter Sozialpolitik und resoluten Auftretens gegen Donald Trump sehr beliebt ist. Und vor allem die vielen, meist unsichtbaren Aktiven sozialer Bewegungen und Basisgruppen, die sich auf sämtlichen Gebieten dem reaktionären Rollback entgegenstellen. Auch in Lateinamerika ist das letzte Wort noch nicht gesprochen.

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Gerhard Dilger
Gerhard Dilger ist über 60 und immer noch links. 2008 war er Mitbegründer des latin@rama-Kollektivs, bis 2012 Südamerikakorrespondent der taz in Porto Alegre, anschließend Büroleiter der Rosa-Luxemburg-Stiftung in São Paulo und Buenos Aires.
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5 Kommentare

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  • Über all diesen Ländern kreist der Aasgeier "USA". Hier ein sehr alter Protestsong von Eugenia León, einst gefeierte Protestsängerin Mexikos "La Paloma":



    www.youtube.com/wa...nBTg&start_radio=1

  • Was wäre denn die nachhaltige Basis für eine soziale Politik in Lateinamerika?

    Ich sehe folgende Faktoren:

    1. eine ausreichende Größe des Landes. Noch optimaler: der Zusammenschluss mehrerer Länder zur Erreichung einer notwendigen Größe.

    2. Schaffung neuer demokratischer Institutionen zur Kontrolle des Staates und privater Institutionen von unten.

    3. Unterstützung durch progressive Industrienationen außerhalb Lateinamerikas, vor allem aus Europa, notfalls auch militärisch.

    4. Aufbau einer diversifizierten Industrie und vielfältige Handelsbeziehungen. Weg von den reinen Rohstoffexporten.

    5. Gute Ausbildung der gesamten Bevölkerung. Schwerpunkt auf wissenschaftliche Forschung und Aufklärung.

    6. Vernetzung mit progressiven Bewegungen in Lateinamerika und in der ganzen Welt.

    All das ist für einzelne, vor allem kleinere Staaten nahezu unmöglich. Dazu kommen natürlich auch die massiven Eingriffe reaktionärer Staaten, vor allem USA und Europas.

    Mit anderen Worten: Das Scheitern der Linken in Lateinamerika ist kein Naturgesetz, sondern menschengemacht.

    Und anschließend können natürlich die rechten Kräfte genüßlich auf das "Scheitern" linker Politik hinweisen.

  • Zwar etwas Unterkomplex schwarz und weiß, aber letztlich treffend. Das Erstarken der Rechten ergibt sich (leider folgerichtig) aus dem permanenten Scheitern linker Ideen und Politikern, die davon nicht lassen wollen. Es gilt weiterhin: Marx ist die Theorie und Murks die Praxis.

  • Dabei sind die Rechten so inhaltlich krass an den Interessen der Vielen vorbei, das können selbst der teuerste Spindoctor und der brutalste CIAler nicht kompensieren.



    Ich gönne Südamerika mehr Freiheit und weniger neoliberale Ausbeutung.



    NB: Ausstellungstipp: "Amazonia", derzeit in Köln im Rautenstrauch-Joest-Museum.

  • Müsste man nicht generell hinterfragen wann ein Präsident rechts und wann links ist?



    Daniel Ortega war als Anti-Rechter vielleicht links, aber ist er dann auch noch heute links? Reicht es Antifaschist zu sein um selber nicht auch zu einem Diktator zu werden?



    Wo genau ist der Kleptokrat rechts oder links?