Zygmunt Baumans Memoiren: Moralischer Sozialismus
Die Memoiren des Soziologen Bauman sind als Buch erschienen. Kindheit und Jugend im Polen der Zwischen- und Nachkriegszeit bekommen viel Raum.
Rund zehn Jahre vor seinem Tod im Jahr 2017 war der polnisch-jüdische Soziologe Zygmunt Bauman schwer in die Kritik geraten. Er sei direkt nach dem Zweiten Weltkrieg nicht einfach Sozialist, sondern überzeugter Stalinist gewesen. Als Offizier in den Reihen des Internationalen Sicherheitskorps (Korpus Bezpieczeñstwa Wewnêtrznego, KBW), warf ihm der polnische Historiker Bogdan Musial damals vor, sei er auch verantwortlich für „Mord, Folter und Bespitzelung“, schließlich seien dies die Kernaufgaben des Nachrichtendienstes gewesen.
Dass er diese Episode seines Lebens verschwiegen habe, machten ihm auch andere zum Vorwurf. Zumindest die zweite Anschuldigung dürfte nun entkräftet sein, denn in „Fragmente meines Lebens“, einer Sammlung verschiedener biografischer Schriften Baumans, wird auch die unmittelbare Nachkriegszeit ausführlich beschrieben.
An Kampfhandlungen war Bauman nach eigenen Aussagen nur ein einziges Mal beteiligt, ansonsten saß er am Schreibtisch und gründete unter anderem eine Fußballmannschaft. Was aber deutlich wird: Der Kommunismus erschien dem späteren Soziologen damals, wie vielen anderen auch, als die Fortsetzung der Prinzipien der Aufklärung. Am „Aufbau des Sozialismus“ wollte er sich mit allen Mitteln beteiligen.
Waren seine ersten Bücher noch eindeutig von diesem Geist geprägt, setzte sich erst später die Skepsis durch. Zygmunt Bauman ist sicherlich einer der meistgelesenen Soziolog:innen der letzten Jahrzehnte, mit der Soziologie des Holocausts in „Dialektik der Ordnung“ (1989, deutsch 1992) wurde er international bekannt. Seine Zeitdiagnosen, die sich erst der Postmoderne und später dem, was er „flüchtige Moderne“ nannte, widmeten, wurden weit über Soziologieseminare hinaus gelesen.
Zygmunt Bauman: „Fragmente meines Lebens“. Übersetzt von Ursula Kömen. Suhrkamp Verlag, Berlin 2024, 302 Seiten, 30 Euro
Obwohl der Kritischen Theorie nahestehend, gehörte er nie einer Schule an und hat auch keine eigene begründet. Zu essayistisch sein Stil, zu fundamental seine Abneigung gegenüber jeglichem Konformismus. „Ich hasse Herden. Und Gesellschaften gegenseitiger Anbetung“, schreibt er an einer Stelle mit Blick auf den akademischen Betrieb.
„Holzstaub und Feuer“
Das Buch ist allerdings weniger eine klassische Intellektuellenbiografie, nur am Rande kommen Namen und Theorieansätze anderer vor. Vielmehr taucht der 1925 geborene Bauman hier tief in seine Kindheit und Jugend im Polen der Zwischen- und Nachkriegszeit ein, obwohl und gerade weil das Familienalbum für „einen polnischen Juden“ wie ihn nach „Holzstaub und Feuer, nicht nach Leben“ duftete.
Für den nicht religiösen Soziologen ist Zion, ähnlich wie der Kommunismus der frühen Jahre, ein Horizont der Gerechtigkeit und Freiheit. Bauman lässt aber auch keine Zweifel daran, dass ein großer Teil seines Jüdischseins dem Antisemitismus zu verdanken ist: Erst die antisemitische Hetze von Lehrern, Mitschüler:innen und Gesellschaft machte ihn zum „Mitglied einer Gruppe“.
Antisemitismus zieht sich durch alle Teile der Erzählungen. Als „Zionist“ wird er aus dem KBW entlassen, der Vorwurf des „Zionismus“ kostet ihn 1968 auch seine Professur an der Universität Warschau. Er ging mit seiner Familie nach Israel, ab 1971 lebten sie gemeinsam in Leeds.
Er beschreibt sich selbst immer wieder als polnischen Juden: das „Polnischsein“ äußert sich in zahlreichen Bezugnahmen auf die Geistesgeschichte und Literatur des Landes, aber auch darin, „den polnischen Antisemitismus mehr zu hassen als den Antisemitismus jeder anderen Nation“. Als Bauman 1998 der Adorno-Preis der Stadt Frankfurt am Main überreicht wurde, schrieb die zweitgrößte polnische Tageszeitung, Rzeczpospolita, der Preis sei an den „israelischen Soziologen“ Bauman gegangen.
Skepsis gegenüber Kollektiven
Die Schilderung seiner Lebenserfahrungen machen auch sein soziologisches Werk verständlicher: Seine Skepsis gegenüber Kollektiven mündet in ein Plädoyer für den „moralischen Impuls“. Diese aus seiner Sicht grundlegend menschliche Regung sah er etwa durch die Nationalsozialist:innen ausgeschaltet. Ihr baute er in „Postmoderne Ethik“ (1993, deutsch 1996) ein theoretisches Fundament.
Er beschreibt seine Abkehr vom Kommunismus als Prozess von „beschämender Langsamkeit“, der ihn schließlich zu etwas fraglichen Thesen im Stile der Totalitarismustheorie verleitet: Zwischen dem Kampf um „rassische Reinheit“ und jenem um „Klassenreinheit“ will er kaum unterscheiden.
Die hier versammelten lebensgeschichtlichen Texte, die Bauman zu verschiedenen Anlässen und in unterschiedlicher Form verfasst hat, sind von seiner Biografin Izabela Wagner mit Einverständnis der Familie zusammengestellt worden. Sie vermitteln zugleich, dass er das Ideal sozialer Gerechtigkeit nie aufgab. Sein Insistieren auf individueller Freiheit, die er als Verantwortung für das, „was uns allen gemeinsam widerfahren ist“, begreift, blieb stets gepaart mit dem, was er seinen „lebenslangen Sozialismus“ nennt.
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