Zwist um Nato-Beitritt: Erdoğans Schweden-Karte

Stockholm will in die Nato, doch Ankara droht den Beitritt zu blockieren. Hintergrund ist eine angebliche Kooperation mit der kurdischen PKK.

Der türkische Präsident Erdoğan mit Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg beim Diplomatie-Forum in Antalya im März 2022

Droht mit einem Veto: Präsident Erdoğan mit Nato-Generalsekretär Stoltenberg im März in Antalya Foto: Presidential Press Office/reuters

STOCKHOLM taz | Magdalena Andersson war zu Tränen gerührt. Wenige Minuten bevor sie am 24. November letzten Jahres im Stockholmer Reichstag zur ersten schwedischen Ministerpräsidentin gewählt wurde, hatte die parteilose Abgeordnete Amineh Kakabaveh in einer persönlichen Erklärung und unter Hinweis auf die nun ins Amt kommende Regierung, die ja eine „feministische Außenpolitik“ versprach, begründet, warum sie der Sozialdemokratin ihre Stimme geben und „auf eine rote Ministerpräsidentin hoffend auf den grünen Knopf drücken“ werde. Und sie betonte, dass sie von dieser feministischen Regierung einerseits etwas erwarte, ihr andererseits aber „in Schwesterlickeit verbunden“ bliebe.

Eine Pattsituation im Parlament hatte die Stimme der aus dem Iran stammenden Kurdin entscheidend für die Wahl An­ders­sons gemacht. So wichtig war sie, dass die Sozialdemokraten mit Kakabaveh eine schriftliche Vereinbarung schlossen, in der sie sich verpflichteten, „unserer Schwesterpartei HDP im Kampf für die Rechte der Kurden beizustehen“, und versprachen von Ankara „die Freilassung des Parteivorsitzenden Selahattin Demirtaş zu fordern“. Man werde auch die „Zusammenarbeit mit der Demokratischen Unionspartei PYD vertiefen“, die eine „tragende Rolle“ bei der Verwaltung der autonomen Kurdenregion Rojava im nordöstlichen Syrien innehabe und „ein legitimer Partner ist“ heißt es da. Würden „bestimmte staatliche Akteure“ die „Freiheitskämpfer der YPG/YPJ oder HDP als Terroristen einstufen“, so sei das „völlig inakzeptabel“.

Sechs Monate später erpresst genau so ein „staatlicher Akteur“ in Gestalt des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan die Regierung in Stockholm. Er droht unter Hinweis auf deren angebliche „Zusammenarbeit mit Terroristen“, von denen er rund 30 ausgeliefert haben will, die Mitgliedschaft Schwedens in der Nato zu blockieren. Er habe „damit das Schicksal Schwedens in seiner Hand“, wie die Tageszeitung Göteborgs-Posten kommentiert. Was also nun, Magdalena Andersson?

Die hatte am vergangenen Donnerstag, als sie zusammen mit Finnlands Staatspräsident Sauli Niinistö zu einem Blitztermin nach Washington geflogen war, ihre blau-gelbe Flaggenbrosche vom 24. November gegen eine schwedisch-amerikanische getauscht und US-Präsident Joe Biden angestrahlt, als der vom „very, very good day“ geschwärmt hatte, weil nun „two great democracies“ der „most powerful defensive alliance in the history of the world“ beitreten wollten. Von feministischer Außenpolitik war im Weißen Haus keine Rede und in Bezug auf die türkischen Forderungen erklärte Andersson: „Diese Probleme werden gelöst werden.“ Was – so ein Kommentar der Tageszeitung Aftonbladet –, wohl nur bedeuten könne: „Die Kurden werden unter den Bus geworfen, um Erdoğan bei Laune zu halten.“

Waffenexportverbot für die Türkei

So verstand das auch Amineh Kakabaveh. Sie kündigte enttäuscht die „Schwesterlichkeit“ mit Andersson auf: Deren Regierung könne nun nicht mehr mit ihrer Stimme rechnen, „ich bin schwer enttäuscht von ihr“. Tatsächlich dürfte Erdoğan die Abgeordnete, die 2016 wegen ihres Kampfs gegen Rassismus und Gewalt im Namen der Ehre zur „Schwedin des Jahres“ ernannt worden war, auch gemeint haben, als er davon sprach, dass Schweden eine „Brutstätte für Terroristen“ sei, die sogar im Parlament sitzen würden.

In einem Interview mit der schwedischen Nachrichtenagentur TT hatte Hakki Emre Yunt, der türkische Botschafter in Schweden, in der vergangenen Woche die Auslieferung Kakabavehs verlangt. Später hatte die Botschaft diese Forderung als „Missverständnis“ bezeichnet. Schon 2019 war die Politikerin, die Vorsitzende der feministischen und antirassistischen Vereinigung VHEK ist, in einem Rapport der Erdoğan nahestehenden Denkfabrik Seta zusammen mit dem damaligen Vorsitzenden der Linkspartei, Jonas Sjöstedt, aber auch dem jetzigen schwedischen Verteidigungsminister Peter Hultqvist, der Unterstützung für die PKK bezichtigt worden.

Erdoğan wolle vermutlich, dass Schweden das Waffenexportverbot für die Türkei aufhebt und die Büros kurdischer Organisationen und Parteien schließt, vermutet Kakabaveh. In der Waffenexportfrage geht es Erdoğan vor allem um mehr Anerkennung in der Nato und entsprechende Waffenlieferungen von den Verbündeten. Die derzeitigen Waffenembargos Schwedens und anderer europäischer Länder gegen die Türkei sind aus Sicht Ankaras ärgerlich, aber nicht substanziell.

Vielmehr muss die Türkei ihre Luftwaffe modernisieren und braucht eine moderne Raketenabwehr. Weil sie in den USA Schwierigkeiten hatte, Patriot-Raketenabwehrsysteme zu kaufen, hat sie russische S-400 gekauft. Aus diesem Grund verweigern die USA der Türkei jetzt die Lieferung ihrer modernsten Tarnkappenbomber F-35. Erdoğan scheint nun eine Chance zu sehen, diese Ablehnung neu zu verhandeln oder aber zumindest aus den USA eine modernisierte Version der derzeit in der Türkei eingesetzten F-16-Kampfflugzeuge geliefert zu bekommen.

Kakabaveh warnt davor, Er­doğans Antikurdenpolitik nachzukommen. Wenn Schweden das tue, werde der türkische Präsident das von allen Nato-Staaten verlangen. „Die Kurden werden die blutige Rechnung für die finnisch-schwedische Nato-Mitgliedschaft begleichen müssen“, warnt der kurdische Schriftsteller Kurdo Baksi: „Wir können doch nicht zulassen, dass ein Land, das Meinungs- und Pressefreiheit mit Füßen tritt, den Kampf gegen diese Rechte auch noch nach Schweden exportiert.“

Angst der schwedisch-kurdischen Diaspora

Innerhalb der schwedisch-kurdischen Diaspora herrsche große Unruhe, sagt Ridvan Altun von Navenda Civaka Demokratîk a Kurd, dem Kurdischen Demokratischen Gesellschaftszentrum in Schweden. Die Organisation werde beschuldigt, eine Unterorganisation der PKK zu sein, man habe Angst, deshalb kriminalisiert zu werden, manche fürchteten um ihr Leben. „Wir haben eigentlich großes Vertrauen, dass Schweden nicht nachgeben wird“, sagt er. Aber wenn Schweden und Finnland das doch tun würden, „hätte die Demokratie verloren“: „Es wäre ein Sieg für Erdoğan, wenn es ihm gelänge, demokratische Länder zu zwingen, von ihren Prinzipien abzuweichen.“

Ist es wieder einmal so weit, dass der Westen die Kurden im Stich lässt, fragt der Linken-Politiker Jonas Sjöstedt: „Es wäre ja wahrlich nicht das erste Mal.“ Die Tatsache, dass Schweden und Finnland kurdischen Flüchtlingen, die die gesetzlichen Voraussetzungen erfüllen, Asyl gewähren und „offiziell gegen die dortige Repression gegen Oppositionelle, Akademiker, Journalisten und Minderheiten protestieren konnten“, dies als Nato-Mitglieder nun aber nicht mehr dürfen sollen, werfe ein grundsätzliches Problem der Nato auf, die ja eigentlich eine Allianz demokratischer Staaten sein will, meint Ronald Suny, Professor für Geschichte und Politik an der University of Michigan: „Finnland und Schweden erfüllen die Parameter einer Nato-Mitgliedschaft deutlich besser als einige der aktuellen Mitglieder des Bündnisses.

Während die Vereinigten Staaten erklären, dass der Krieg in der Ukraine ein Kampf zwischen Demokratie und Autokratie sei, stellt die Opposition der Türkei gegen die nordischen Länder, die gegen das Abdriften der Türkei in den Illiberalismus protestiert haben, die Einheit und die ideologische Kohärenz der Nato auf die Probe.“

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