Zwangsräumung vor Bremer Gericht: Doppelte Miete oder raus

Ein Ehepaar will seinen Mieter aus der Wohnung klagen. Doch an ihrem Eigenbedarf gibt es Zweifel – gegen mehr Geld hätten sie wohl weiter vermietet.

Aus gestapelten Umzugskartons haben Unterstützende eine Art Plakatwand vor dem Amtsgericht Bremen gebaut. "Zwangsräumungen stoppen! In der Pandemie und immer" steht dort in weißer Farbe auf den rot angemalten Kartons

Protest vor dem Amtsgericht Bremen: Das Bündnis gegen Zwangsräumungen hat Widerstand organisiert Foto: Lukas Scharfenberger

BREMEN taz | Der Mieter E. kommt zu spät zu seinem eigenen Räumungsverfahren. Der Grund: Er steht noch mit Un­ter­stüt­ze­r*in­nen in der Schlange bei der Einlasskontrolle am Bremer Amtsgericht. Es sind so viele Menschen gekommen, dass sich die Kontrolle der Taschen und Impfnachweise am Eingang hinzieht.

Den Antrag der Verteidigung, die Verhandlung zu vertagen, um einen größeren Raum zu finden, hatte das Gericht abgelehnt. Ein Großteil der Un­ter­stüt­ze­r*in­nen des Mieters aus der Neustadt in Bremen, der nicht mit ganzem Namen in der Zeitung stehen möchte, muss an diesem Freitag deshalb draußen warten.

Das Bündnis gegen Zwangsräumung in Bremen hatte zu der Verhandlung mobilisiert. Die Ak­ti­vis­t*in­nen wollen auf den Fall aufmerksam machen. E. soll seine Wohnung räumen, weil seine Vermieter*innen, ein Ehepaar, beide Anfang 50, Eigenbedarf angemeldet haben. Weil es daran aber Zweifel gibt, stehen nun mehr als drei Dutzend weitere Un­ter­stüt­ze­r*in­nen vor dem Amtsgericht.

Auf Umzugskartons haben sie den Slogan „Zwangsräumungen stoppen! …in der Pandemie & immer“ geschrieben und ein Banner vor dem Gericht aufgehangen. Aus Lautsprechern tönt Musik..„Wir wollen Öffentlichkeit für das Treiben des Vermieters herstellen und zeigen, dass wir an der Seite des Mieters stehen“, sagt der Sprecher des Bündnisses, Bahne Michels.

Jedes Jahr fast 1.000 Räumungsklagen

E. wohnt seit 24 Jahren in der Wohnung in der Bremer Neustadt, einem ehemaligen Arbeiterstadtteil gegenüber der Altstadt, der in den letzten Jahrzehnten immer beliebter geworden ist; Beck's sitzt hier, die Hochschule und die Schwankhalle eine Produktionsstätte für die freien Künste. E. arbeitet in der Lagerlogistikbranche. Im Gericht trägt er einen Pulli mit einem Radsportler darauf. Die Cappy behält er auf. Er wirkt entspannt, hört aber aufmerksam zu.

Seine Ver­mie­te­r*in­nen haben schon 2020, kurz nachdem sie die Wohnung gekauft haben, Eigenbedarf angemeldet. E. hätte zum 30. Juni 2021 ausziehen sollen. Da er jedoch keine andere Wohnung fand, blieb er. Seine Vermieter stellten daraufhin die Räumungsklage.

Solche Klagen sind im Land Bremen keine Seltenheit. Zwischen 2015 bis 2019 wurden 4.225 Räumungsverfahren geführt. So geht es aus der Antwort des Senats auf eine Anfrage der Bremer CDU-Fraktion hervor. Besonders an diesem Verfahren sind jedoch die erheblichen Zweifel, ob wirklich ein Eigenbedarf auf Seiten des Vermieters besteht.

Zweifel am Eigenbedarf der Ver­mie­te­r*in­nen

„Es gab ein ausführliches Gespräch, dafür gibt es Zeugen, in dem der Vermieter angeboten hat, dass E. bleiben darf, wenn er 1.000 Euro für die Wohnung zahlt“, sagt dessen Anwalt Holger Gautzsch über ein Telefonat beider Parteien. Bisher zahle der Mieter rund 500 Euro Kaltmiete. Er sollte seine Miete also verdoppeln, um bleiben zu dürfen.

Ein Eigenbedarf besteht jedoch nur dann, wenn die Wohnung dringend vom Eigentümer gebraucht wird. Wenn es darum geht, lediglich andere Vertragskonditionen zu erwirken oder die Miete zu erhöhen, zieht das Argument nicht.

Zudem spräche ein weiterer Grund dagegen, dass in diesem Fall wirklich Eigenbedarf bestehe, meint der Rechtsanwalt des Mieters. Nachdem sich E. weigerte, im Juni auszuziehen, setzten seine Ver­mie­te­r*in­nen einen neuen befristeten Mietvertrag mit einer erhöhten Miete auf. „Wer erst Eigenbedarf anmeldet und dann einen neuen Vertrag aufsetzt, widerspricht sich selbst“, sagt Gautzsch.

Vermieter könnten immer wieder kündigen

Auch die Richterin deutete an, dass sie das Räumungsverfahren wegen Zweifeln am Eigenbedarf abweisen könnte – und sie lotete aus, ob auch eine außergerichtliche Einigung möglich sei. Wie denn das Verhältnis zwischen Mieter und Ver­mie­te­r*in­nen sei, wollte sie wissen. Während der Vermieter sagte, dass er sich von E. bedroht fühle und dieser alle Kompromissvorschläge ablehne, antwortet E. selbst: „Uns verbindet nur die Kontoverbindung. Ich habe ihn zum ersten Mal heute gesehen.“

Die Richterin war trotz der Spannungen überzeugt, dass eine Einigung möglich sei. Sie setze das Verfahren mit Zustimmung aller Parteien für ein halbes Jahr aus. Denn selbst, wenn die Klage abgewiesen würde und E. somit zunächst in seiner Wohnung bleiben könne, stünde es den Ver­mie­te­r*in­nen offen, erneut eine Kündigung auszusprechen, begründete die Richterin. Das ganze Prozedere könnte also wieder von vorne losgehen.

Rechtsanwalt Gautzsch freute sich über diese Aussetzung des Verfahrens. Sein Mandant lasse sich auf ein erneutes Gespräch ein. „Ihm geht es darum, Wohnungslosigkeit zu vermeiden. Er ist prinzipiell bereit auszuziehen, braucht aber eine neue Bleibe.“ Alternativ könne die Gegenseite auch das Mietverhältnis fortsetzen. Ob es wirklich zu einer Einigung innerhalb von sechs Monaten kommt, ist dennoch offen. Beide Seiten können das Verfahren auch jederzeit vor Ablaufen der Frist wieder aufnehmen.

Das Bündnis gegen Zwangsräumungen will den Fall deshalb weiter beobachten. Vor dem Amtsgericht sagt Unterstützer Michels: „Wir haben heute ein starkes Zeichen der Solidarität unter Mietern gesetzt. Wir freuen uns, dass E. endlich ein wenig aufatmen kann.“ Der Mieter selbst ist ebenfalls erleichtert: „Ich bin sehr froh. Ich habe immer das Gespräch mit meinem Vermieter gesucht – zurück kamen aber nur Rechnungen und Briefe vom Anwalt.“

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