Zustimmung für NSU-Aufarbeitung: Rückendeckung für Block
Die Grüne Miriam Block stimmte in Hamburg für einen NSU-Untersuchungsausschuss. Mögliche Sanktionen für sie kritisieren Grüne auf Bundesebene.
BERLIN taz | Am Montagabend entscheidet die Hamburger Grünen-Fraktion über die Zukunft der Abgeordneten Miriam Block. Gegen die geplante Degradierung der 33-Jährigen, die in der Hamburgischen Bürgerschaft entgegen der Fraktionslinie für einen NSU-Untersuchungsausschuss gestimmt hat, gibt es jetzt Widerspruch aus der Bundesebene.
„Die Zusammenarbeit in einer Fraktion kann nur funktionieren, wenn Abgeordnete auch schmerzlichste Kompromisse in einer Koalition mittragen. Doch wenn tiefgreifende Überzeugungen angegriffen werden und Gewissensentscheidungen zur Abstimmung stehen, sind solch harten Sanktionen fragwürdig“, sagte Marcel Emmerich, Obmann der Grünen im Innenausschuss des Bundestags, am Montag der taz.
Die NSU-Aufklärung sei und bleibe „eine große politische Aufgabe sowie ein enorm wichtiges Anliegen der Grünen Partei, für das die Hamburger Grünen auch seit Jahren kämpfen“, so Emmerich weiter. Es sei aber auch empörend, „dass der fehlende Aufklärungswille von SPD und CDU uns in den Ländern immer wieder in so eine Situation bringt“.
Das Hamburger Stadtparlament hatte vor zwei Wochen über einen Antrag der Linkspartei abgestimmt. Sie forderte einen Untersuchungsausschuss zum NSU-Mord an Süleyman Taşköprü, den die Rechtsterroristen 2001 in Hamburg erschossen hatten. Eine solche parlamentarische Aufarbeitung hatten auch die Hamburger Grünen lange gefordert. Die SPD lehnte den Ausschuss aber ab und die Grünen fügten sich in der gemeinsamen Koalition.
Kopfschütteln von Grünen über Grüne
Als einzige Grüne stimmte Block, bisher in der Fraktion Sprecherin für Wissenschaft und Hochschule, für den Linken-Antrag. Der Fraktionsvorstand kündigte daraufhin an, sie ihrer Funktionen entheben zu lassen. Ein Sprecher sagte, Block habe mit ihrem Verhalten rund um die Abstimmung erheblichen Schaden für die Fraktion in Kauf genommen. Am Montag soll nun die Fraktion über die Sanktionierung abstimmen.
Grünen-intern sorgt das Vorhaben nach taz-Informationen für Kopfschütteln. In der Bundestagsfraktion ist Innenpolitiker Emmerich nicht allein mit seiner Kritik. Unter Abgeordneten ist die Rede von „großem Unverständnis“ und einem „unmöglichen Verhalten“ der Hamburger Grünen-Führung.
Zurückhaltender äußerte sich am Mittag allerdings der Grünen-Bundesvorsitzende Omid Nouripour. Er distanzierte sich nur vorsichtig: Es gebe „sehr viele Eigenheiten von Debatten in den Bundesländern“, sagte er in Berlin. Deshalb sei es „mehr als fair, darauf hinzuweisen, dass das eine Angelegenheit der Hamburger Grünen vor allem in der Bürgerschaft ist“. Versichern könne er, dass eine harte Linie gegen Nazi-Aktivitäten in der Partei „mehr als Common Sense“ sei. „Da nehme ich niemanden aus.“
Leser*innenkommentare
Simon Lissner
An den Taten soll man sie messen, der Worte sind genug gewechselt. Bei den GRÜNEN ist keineswegs Usus, dass Faschismus ein Verbrechen und keine Meinung ist. Als langjähriger Grüner versichere ich, dass der Rechtsliberalismus in der Partei eine lange Tradition hat. Da hat etwa ein GRÜNER Bürgermeister nichts dabei gefunden, dem Nazi und Blutrichter Filbinger, der es in der Bundesrepublik wieder zum Ministerpräsidenten schaffte, zu huldigen, die Landtagsfraktion später, hat nicht etwa bei der Ehrung dieses Altnazis das Parlament verlassen, da wendete man sich wortreich gegen Anträge auf BDKen nach einem NPD-Verbot, die hessische Parteifraktion entblödete sich nicht, erst zugunsten der CDU einen U-Ausschuss zum NSU zu verhindern, dann auf Druck der Basis, doch zuzustimmen, um dann im Untersuchungsausschuss gepflegt dessen "scheitern" zu erklären, um sodann die Akten für 120 Jahre zu versenken. Auch wenn der Zeitrahmen erneut auf Druck der Öffentlichkeit und der Basis reduziert wurde, ändert das ja nichts am Prinzip. Mehr als Fad die Erklärungen, wer da "geschützt" werden soll und vor "wem". Die lasche Handhabung von Rassismus und Antisemitismus in hessischen/deutschen Amtsstuben ist bekanntlich sprichwörtlich ist das Eine. Das die GRÜNEN den verantwortlichen Innenminister mit einer penetranten Hartnäckigkeit stützten, die andere Seite. Skandale um Nazigruppen in Polizei und Armee unterliegen stets der "Einzeltäter"-Bagatellisierung bis hin zum Mordfall des Politiker Lübcke. Hamburg scheint eher das Wesen der Partei: Und das heißt Rechtsliberalismus und Rechtsopportunismus. Ist da für Antifaschisten noch Platz?
Simon Lissner
GRÜNES Mitglied (noch), KV Limburg-Weilburg
Peter Bähr
Demonstrativ unterm Arm und gerade noch sichtbar Orwells "Farm der Tiere" und glaubt prompt aus dem Schneider sich.
Kurz, Omid Nouripour versicherte, nicht nur vorstellbar sei es, nein, vielmehr realiter durchaus möglich, höchstselbst sich den Pelz zu waschen mit viel Geräusch, Tamtam und Prusten, indes, aufgemerkt, ohne auf H-Zweidings, ohne aufs kostbare Nass und vielerorts schon rationiert, auf Seife, klein, äh, zurückzugreifen!
Lindenberg
Gut, dass sich die taz der Geschichte aus der bundespolitischen Perspektive annimmt und einige Grüne Block Rückendeckung geben. Doch dafür können sich Block und die Hamburger Opferfamilie nichts kaufen. Nourispour taktiert und schickt eine Stellungnahme aus dem PR-Baukasten und lässt damit das eigene Parteimitglied schmählich in Stich.
Dass Canceln von Block durch die eigene Fraktion deutet auf ein perfides Machtgefüge bei den Hamburger Grünen hin. Menschen verbiegen sich vermutlich wider besseren Wissens bei den Hamburg Grünen, weil es einige Mächtige in der Fraktion und der Parteiführung der Grünen so wollen. Bleibt abzuwarten, welcher oder welche Grüne in Hamburg den Mut hat, als erstes darüber zu berichten.
Entschuldigt sich die Fraktion der Grünen nicht bei Block für das Fehlverhalten, weitet sich das Ganze zu einem handfesten Skandal aus.
Sonntagssegler
@Lindenberg Perfide Machtgefüge gibt es überall und auch bei den Grünen.
In Ulm haben wir so etwas auch.
Lindenberg
@Sonntagssegler Das mag sein, aber ich hätte das angesichts der brisanten Thematik bei den Hamburger Grünen nicht für möglich gehalten. Mittlerweile berichtete auch der Spiegel. Die Grünen haben das Canceln von Block und die Verhinderung eines Untersuchungsauschusses knallhart durchgezogen.
Ich zweifele an einer Politkergeneration, die so etwas möglich macht und weiß nicht, wie einer der beteiligten Grünen der Hamburger Opferfamilie noch in die Augen schauen will. Von den eigenen Wählern ganz zu schweigen.