Zuspitzung in der Causa Luis Rubiales: Unwürdiges Schauspiel
In der Kuss-Affäre glaubt Spaniens Fußballpräsident Luis Rubiales noch immer, ungeschoren davonzukommen. Doch der Druck ist immens.
Gleich fünf Mal hatte Luis Rubiales, der immer noch im Amt stehende Fußballpräsident, am Freitag vor einer erstaunlich großen Menge von Claqueuren erklärt, er werde nicht zurücktreten. Habe er diese Hexenjagd verdient, fragte er rhetorisch in die Runde, er, der den Verband so gut geführt habe.
Und außerdem sei es ja die Weltmeisterin Jennifer Hermoso gewesen, die zuerst den Körperkontakt gesucht habe. Die Offensivspielerin habe nach Darstellung von Rubiales ihn, den Funktionär, umarmt und hochgehoben. Rubiales will das Szenario zu der Frage angestachelt haben: „Ein Kuss?“ Angeblich habe Hermoso bejaht. Und genau um diesen Übergriff geht es seit Tagen: Rubiales küsst Hermoso auf den Mund.
In einer Umkehrung von Täter und Opfer ging der spanische Fußballverband am Freitagabend noch weiter: Er bezichtigte in einer offiziellen Erklärung Jennifer Hermoso der Lüge. Sogar mit einer Klage drohte der RFEF. Der Verband kündigte an, „geeignete rechtliche Schritte einzuleiten, um die Ehre des Präsidenten zu verteidigen“. Der Pressemitteilung waren vier Fotos beigefügt, die beweisen sollten, dass Rubiales’ Version stimme und die ganze Aufregung, die der Präsident „idiotisch“ findet, auf einer falschen Grundannahme basiere. RFEF und Rubiales versuchen eine Einvernehmlichkeit zu konstruieren, die Hermoso dementiert.
Die 33-Jährige, die zuletzt in Mexiko ihr Geld verdiente bei CF Pachuca Femenil, stellte auf Instagram klar, wie sich die Sache aus ihrer Sicht verhalten habe: Rubiales’ Darstellung der Geschehnisse als quasi „unglücklicher Vorfall“ sei komplett falsch und fuße auf der üblichen manipulativen Verdrehung, auf die sich Rubiales so gut verstehe.
Weder habe der von Rubiales angeführte Dialog stattgefunden noch sei sie jemals zu einem Kuss bereit gewesen, stellte Hermoso klar: „Ich habe mich verletzlich und als Opfer einer impulsiven, sexistischen und unangebrachten Handlung gefühlt, der ich nicht zugestimmt habe. Einfach ausgedrückt, ich wurde nicht respektiert“, schrieb Hermoso.
Suspendierung durch die Fifa
Die Unterstützung, die sie bekommt, wird derweil immer größer, ebenso wie die Absetzbewegungen von Rubiales, der die längste Zeit Präsident gewesen sein dürfte. Das Disziplinarkomitee des Fußballweltverbandes Fifa hat am Samstag den spanischen Verbandschef vorläufig gesperrt. Die Suspendierung gilt für den nationalen und internationalen Bereich, die Sperre greift ab sofort und für 90 Tage. Die Fifa hatte am Donnerstag ein Verfahren gegen Rubiales eingeleitet.
Die Fifa forderte den 46-Jährigen zudem auf, selbst oder über Dritte keinen Kontakt zu Hermoso oder ihrem Umfeld aufzunehmen. Auch der Versuch einer Kontaktaufnahme solle unterbleiben. „Die Fifa bekräftigt ihr uneingeschränktes Bekenntnis zur Achtung der Integrität aller Personen und verurteilt deshalb jedes gegenteilige Verhalten aufs Schärfste“, unterstrich der Weltverband.
Auch in Spanien formiert sich der Widerstand gegen den übergriffigen Funktionär zu einer undurchlässigen Phalanx. Alle Spielerinnen des spanischen Teams haben verkündet, sie würden so lange nicht mehr antreten, wie Rubiales noch im Amt sei. „Es macht uns sehr traurig, dass ein derart inakzeptables Verhalten den größten sportlichen Erfolg des spanischen Frauenfußballs überlagert“, stand in der auf X, ehedem Twitter, veröffentlichten Erklärung der Spielerinnengewerkschaft Futpro, die von 81 Fußballspielerinnen unterzeichnet war: „Nach allem, was bei der Frauen-WM passiert ist, wollen wir klarstellen, dass alle unterzeichnenden Spielerinnen nicht in der Nationalelf antreten werden, wenn die aktuelle Führungsriege im Amt bleibt.“
Auch die spanische Regierung erhöht den Druck. „Logischerweise werden wir alles in unserer Macht Stehende tun, damit dieser Herr, den man kaum als würdigen Vertreter des spanischen Fußballs bezeichnen kann, nicht länger an der Spitze des spanischen Fußballs steht“, sagte Spaniens geschäftsführende Vize-Regierungschefin und Ministerin für ökologischen Wandel, Teresa Ribera, der Nachrichtenagentur Europa Press.
Die Regierung werde alles tun, was „in ihrer Macht steht“, damit Rubiales sein Amt aufgibt oder verliert. Die oberste spanische Sportbehörde CSD beantragte beim nationalen Sportgerichtshof Tad derweil die Suspendierung von Rubiales. „Herr Rubiales hat in seiner Reaktion enttäuscht, er hat nicht getan, was er hätte tun sollen“, sagte CSD-Chef Víctor Francos im Hinblick auf die Rede von Rubiales.
Ein Gutteil der spanischen Verbandstrainer sind aus Solidarität mit Hermoso zurückgetreten, und selbst Rubiales’ treuester Unterstützer in der Causa, Weltmeister-Trainer Jorge Vilda, sagt nun angesichts des Empörungssturms: „Ich bedauere zutiefst, dass der Sieg des spanischen Frauenfußballs durch das unangemessene Verhalten unseres bisherigen Präsidenten Luis Rubiales, das er selbst zugegeben hat, beschädigt wurde“, hieß es in einer Erklärung Vildas.
Er verurteile „jede Macho-Haltung“, die nicht zu einer fortschrittlichen Gesellschaft gehöre: „Das ist zweifellos inakzeptabel und entspricht in keinster Weise den Prinzipien und Werten, die ich in meinem Leben, im Sport im Allgemeinen und im Fußball im Besonderen vertrete.“ Noch am Freitag hatte Vilda die Erklärungen seines Präsidenten beklatscht. (mit dpa)
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Bis 1,30 Euro pro Kilowattstunde
Dunkelflaute lässt Strompreis explodieren
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“
Studie Paritätischer Wohlfahrtsverband
Wohnst du noch oder verarmst du schon?
Leben ohne Smartphone und Computer
Recht auf analoge Teilhabe
Ansage der Außenministerin an Verbündete
Bravo, Baerbock!
Armut in Deutschland
Wohnen wird zum Luxus